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Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Erstes Quartal.

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Zur Revision manchesterlicher Lehren.

In Schottland sind es nur zwölf Personen, welche 70 Prozent des ganzen
Landes besitzen, und in Irland fallen 98 Prozent der Oberfläche auf 19 547 Eigen¬
tümer, von welchen 100 mehr als und 300 die Hälfte des Landes zu
Eigentum haben.

Sieht man von Mecklenburg ab. wo allerdings der gesamte Boden sich in
der festen Hand des Domaniums (43 Prozent), der Ritterschaft (42 Prozent),
der Städte (11 Prozent) und der Klöster (3 Prozent) befindet, so haben selbst
die östlichen Provinzen Preußens, wo der Großgrundbesitz überwiegt, keine
entfernte Ähnlichkeit mit den Zustünden Großbritanniens. In Pommern be¬
tragen die Güter über 600 Morgen nur 62^, Prozent, in Posen 57^ Prozent,
wogegen in den übrigen Provinzen die kleinen Besitzungen unter 600 Morgen
in der Mehrzahl sind und die ganz kleinen unter 30 Morgen beispielsweise in
Westfalen 34 Prozent und in der Rheinprovinz 37 Prozent betragen. In
Sachsen nehmen die mittleren Güter von 20 bis 100 sächsischen Ackern 58 Prozent
des Bodens ein; vollends überwiegt der kleine Besitz in Baiern und in Würtem-
berg, wo die Güter unter 10 Acker S3,8 Prozent ausmachen.

Hiernach ist es einleuchtend, daß schon die äußeren Verhältnisse der Boden¬
verteilung einen Vergleich zwischen Großbritannien und Deutschland (von
Frankreich garnicht zu reden) in keiner Weise zulassen. Dazu kommt aber
"och ein weiterer Umstand. Während nämlich der englische Grundbesitz nicht
nur rechtlich geschlossen ist, sondern sich auch im unveräußerlichen Besitze weniger
Familien befindet, demnach dem Austausch gegen Kapital, dem Verkauf gänzlich
entzogen bleibt, bildet die Geschlossenheit in Deutschland, da wo sie besteht, mehr
bloß 'eine Teilungsgrenze, ohne die Güter selbst dem Austausche und Besitz-
Achsel zu entziehen. Unsre Rittergüter bilden fast eine stehende Waare auf
dem Markte, und nnr der Grundbesitz weniger altfürstlichen Häuser mag sich
n> gleicher Lage wie der englische befinden.

Wenn ich demnach anf dein Kontinente mit Kapital, d. h. mit Vermögen,
welches durch meine oder meiner Borfahren Arbeit gewonnen ist, jederzeit Land
eintauschen kaun und wenn dieser Austausch tagtäglich stattfindet. also Laud sich
als knrante Waare auf dem Markte befindet, so kann die wirtschaftliche Natur von
Land und Kapital nicht grundsätzlich verschieden sein, so können beide nicht
widersprechenden Gesetzen solgen. Ich will das Nicnrdosche Gesetz der Grund-
^e>'te für England nicht bekämpfen, wo es den Verhältnissen entsprechen mag.
""r für Deutschland kann ich es nicht ohne weiteres gelten lassen, wie denn
"und die Folgen und Wirkungen jenes Gesetzes bei uns nicht erkennbar sind.
Diese Folgen sollen und müssen bei steigernder Kulturentwicklung nnter englischem
System ein stetiges Steigen der Grundrente sein und, wie George richtig bemerkt,
ein ebenso stetiges Sinken von Zins und Arbeitslohn, weil beide sich und dem¬
jenigen Reste der produzirten Werte begnügen müssen, welchen die Grundrente
i'brig läßt. Wenn George aber hieraus den Schluß zieht, daß in der Ab-


Grenzvotml. 1885. 56
Zur Revision manchesterlicher Lehren.

In Schottland sind es nur zwölf Personen, welche 70 Prozent des ganzen
Landes besitzen, und in Irland fallen 98 Prozent der Oberfläche auf 19 547 Eigen¬
tümer, von welchen 100 mehr als und 300 die Hälfte des Landes zu
Eigentum haben.

Sieht man von Mecklenburg ab. wo allerdings der gesamte Boden sich in
der festen Hand des Domaniums (43 Prozent), der Ritterschaft (42 Prozent),
der Städte (11 Prozent) und der Klöster (3 Prozent) befindet, so haben selbst
die östlichen Provinzen Preußens, wo der Großgrundbesitz überwiegt, keine
entfernte Ähnlichkeit mit den Zustünden Großbritanniens. In Pommern be¬
tragen die Güter über 600 Morgen nur 62^, Prozent, in Posen 57^ Prozent,
wogegen in den übrigen Provinzen die kleinen Besitzungen unter 600 Morgen
in der Mehrzahl sind und die ganz kleinen unter 30 Morgen beispielsweise in
Westfalen 34 Prozent und in der Rheinprovinz 37 Prozent betragen. In
Sachsen nehmen die mittleren Güter von 20 bis 100 sächsischen Ackern 58 Prozent
des Bodens ein; vollends überwiegt der kleine Besitz in Baiern und in Würtem-
berg, wo die Güter unter 10 Acker S3,8 Prozent ausmachen.

Hiernach ist es einleuchtend, daß schon die äußeren Verhältnisse der Boden¬
verteilung einen Vergleich zwischen Großbritannien und Deutschland (von
Frankreich garnicht zu reden) in keiner Weise zulassen. Dazu kommt aber
"och ein weiterer Umstand. Während nämlich der englische Grundbesitz nicht
nur rechtlich geschlossen ist, sondern sich auch im unveräußerlichen Besitze weniger
Familien befindet, demnach dem Austausch gegen Kapital, dem Verkauf gänzlich
entzogen bleibt, bildet die Geschlossenheit in Deutschland, da wo sie besteht, mehr
bloß 'eine Teilungsgrenze, ohne die Güter selbst dem Austausche und Besitz-
Achsel zu entziehen. Unsre Rittergüter bilden fast eine stehende Waare auf
dem Markte, und nnr der Grundbesitz weniger altfürstlichen Häuser mag sich
n> gleicher Lage wie der englische befinden.

Wenn ich demnach anf dein Kontinente mit Kapital, d. h. mit Vermögen,
welches durch meine oder meiner Borfahren Arbeit gewonnen ist, jederzeit Land
eintauschen kaun und wenn dieser Austausch tagtäglich stattfindet. also Laud sich
als knrante Waare auf dem Markte befindet, so kann die wirtschaftliche Natur von
Land und Kapital nicht grundsätzlich verschieden sein, so können beide nicht
widersprechenden Gesetzen solgen. Ich will das Nicnrdosche Gesetz der Grund-
^e>'te für England nicht bekämpfen, wo es den Verhältnissen entsprechen mag.
""r für Deutschland kann ich es nicht ohne weiteres gelten lassen, wie denn
«und die Folgen und Wirkungen jenes Gesetzes bei uns nicht erkennbar sind.
Diese Folgen sollen und müssen bei steigernder Kulturentwicklung nnter englischem
System ein stetiges Steigen der Grundrente sein und, wie George richtig bemerkt,
ein ebenso stetiges Sinken von Zins und Arbeitslohn, weil beide sich und dem¬
jenigen Reste der produzirten Werte begnügen müssen, welchen die Grundrente
i'brig läßt. Wenn George aber hieraus den Schluß zieht, daß in der Ab-


Grenzvotml. 1885. 56
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[0453] Zur Revision manchesterlicher Lehren. In Schottland sind es nur zwölf Personen, welche 70 Prozent des ganzen Landes besitzen, und in Irland fallen 98 Prozent der Oberfläche auf 19 547 Eigen¬ tümer, von welchen 100 mehr als und 300 die Hälfte des Landes zu Eigentum haben. Sieht man von Mecklenburg ab. wo allerdings der gesamte Boden sich in der festen Hand des Domaniums (43 Prozent), der Ritterschaft (42 Prozent), der Städte (11 Prozent) und der Klöster (3 Prozent) befindet, so haben selbst die östlichen Provinzen Preußens, wo der Großgrundbesitz überwiegt, keine entfernte Ähnlichkeit mit den Zustünden Großbritanniens. In Pommern be¬ tragen die Güter über 600 Morgen nur 62^, Prozent, in Posen 57^ Prozent, wogegen in den übrigen Provinzen die kleinen Besitzungen unter 600 Morgen in der Mehrzahl sind und die ganz kleinen unter 30 Morgen beispielsweise in Westfalen 34 Prozent und in der Rheinprovinz 37 Prozent betragen. In Sachsen nehmen die mittleren Güter von 20 bis 100 sächsischen Ackern 58 Prozent des Bodens ein; vollends überwiegt der kleine Besitz in Baiern und in Würtem- berg, wo die Güter unter 10 Acker S3,8 Prozent ausmachen. Hiernach ist es einleuchtend, daß schon die äußeren Verhältnisse der Boden¬ verteilung einen Vergleich zwischen Großbritannien und Deutschland (von Frankreich garnicht zu reden) in keiner Weise zulassen. Dazu kommt aber "och ein weiterer Umstand. Während nämlich der englische Grundbesitz nicht nur rechtlich geschlossen ist, sondern sich auch im unveräußerlichen Besitze weniger Familien befindet, demnach dem Austausch gegen Kapital, dem Verkauf gänzlich entzogen bleibt, bildet die Geschlossenheit in Deutschland, da wo sie besteht, mehr bloß 'eine Teilungsgrenze, ohne die Güter selbst dem Austausche und Besitz- Achsel zu entziehen. Unsre Rittergüter bilden fast eine stehende Waare auf dem Markte, und nnr der Grundbesitz weniger altfürstlichen Häuser mag sich n> gleicher Lage wie der englische befinden. Wenn ich demnach anf dein Kontinente mit Kapital, d. h. mit Vermögen, welches durch meine oder meiner Borfahren Arbeit gewonnen ist, jederzeit Land eintauschen kaun und wenn dieser Austausch tagtäglich stattfindet. also Laud sich als knrante Waare auf dem Markte befindet, so kann die wirtschaftliche Natur von Land und Kapital nicht grundsätzlich verschieden sein, so können beide nicht widersprechenden Gesetzen solgen. Ich will das Nicnrdosche Gesetz der Grund- ^e>'te für England nicht bekämpfen, wo es den Verhältnissen entsprechen mag. ""r für Deutschland kann ich es nicht ohne weiteres gelten lassen, wie denn «und die Folgen und Wirkungen jenes Gesetzes bei uns nicht erkennbar sind. Diese Folgen sollen und müssen bei steigernder Kulturentwicklung nnter englischem System ein stetiges Steigen der Grundrente sein und, wie George richtig bemerkt, ein ebenso stetiges Sinken von Zins und Arbeitslohn, weil beide sich und dem¬ jenigen Reste der produzirten Werte begnügen müssen, welchen die Grundrente i'brig läßt. Wenn George aber hieraus den Schluß zieht, daß in der Ab- Grenzvotml. 1885. 56

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341841_194675/453>, abgerufen am 22.07.2024.