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Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Erstes Quartal.

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Um eine Perle.

aus Regiment kommen, und es hatte Regenten eins jenem Hause gegeben, die
sich bis zu der Äußerung erniedrigten, sür das Ohr eines Gonzaga dürfe es
keine lieblicher klingende Botschaft geben als die Meldung: der letzte Buvnaeolsi
ist gestorben.

Damals war es denn auch öfter vorgekommen, daß Vravos nach Gelegen¬
heiten ausspähten, die stadtkundiger Wünsche der Gouzagas aus eigner Voll¬
macht zu erfüllen. Aber nachdem mehrere solcher Versuche für den Thäter
übel abgelaufen waren, gewann das Gerücht, es sei den Buonacolsis von den:
Papste eine schützende Reliquie verliehen worden, immer mehr Boden, und in
dem Maße, wie namentlich die unsinnigen Soldatenspielereien Vincenzo Gou¬
zagas und seine kläglich verlaufenden Türkenkriege den Säckel der Stadt mehr
und mehr erschöpften, erinnerten sich die Mißvergnügten immer häufiger des
stillen Palazzo in der düstern engen Gasse, ohne freilich ernstliche Hoffnungen
darauf zu setzen.

Still geworden war er in der That. Er hatte seit drittehalb Jahrhun¬
derten höchstens Neugeborene schreien hören; denn selbst die Kinder dieses
Hauses, wenn sie nur erst irgend zu Verstand kamen, tollten und tobten nicht
nach der Art andrer Kinder; jeder Erwachsene bemühte sich, durch Lautlosig¬
keit des eignen BeHabens sie früh zu leisem Verhalten zu erziehen, und bald
wurde die Gewöhnung dazu eine von selbst sich vererbende. Wie die Herren,
so die Diener: es gab in ganz Mantua keine schweigsameren und, wenn sie
redeten, bescheidner auftretenden Leute als die sämtlich im Dienst ergrauenden
Lakeien des Palazzo Bnonaeolsi; und auch die Mägde, obgleich sie in dem
Dienste nicht gar lange ausdauerten, vielleicht vor allem wegen der altmodisch
unkleidsamen Pfeffer- und Salzfarbe ihrer Kleider, auch die Mägde unterschieden
sich von andern Dienenden, wenigstens in der Öffentlichkeit, durch den gedämpften
Ton ihrer Redeweise. Dabei trugen so die Herren wie die Diener den Kopf hoch,
und aus ihren Augen blitzte Selbstgefühl. Man wußte nicht: war jenes auf¬
fällige Vermeiden aller Lautheit einst der Ausfluß von Furcht und Vorsicht
gewesen und hatte er sich dann aus bloßem Festhalten an einer überlieferten
Familiensitte in den folgenden Geschlechtern festgesetzt, oder aber lag diesem
Benehmen von jeher der Plan zu gründe, das lärmende Treiben vieler der
Gonzagas noch greller und vorlauter erscheinen zu lassen.

Auch hatte es Ausncihmeu von der Regel gegeben. Vittoria Buonacolsi,
die Urgroßmutter Floridas, war eine Veltlinerin ans dem edeln Geschlechte
der Sansalvatorc gewesen, eine fröhlich geartete Natur, die das Herkommen
des stillen Palazzo während zweier Jahrzehnte schier auf den Kopf gestellt
hatte. Man sagte, daß Giulio Romano, der Liebling des Herzogs Federiao
Gonzaga, zuweilen abends in dem Schatten des schmalen Gcißchens del Zodiaeo
verschwunden sei, und es gab Leute, welche in der hüllenlosen Hauptfigur seines be¬
rühmten Deckcnbildes des Palazzo dueale -- der Nacht in einem Wagen mit


Um eine Perle.

aus Regiment kommen, und es hatte Regenten eins jenem Hause gegeben, die
sich bis zu der Äußerung erniedrigten, sür das Ohr eines Gonzaga dürfe es
keine lieblicher klingende Botschaft geben als die Meldung: der letzte Buvnaeolsi
ist gestorben.

Damals war es denn auch öfter vorgekommen, daß Vravos nach Gelegen¬
heiten ausspähten, die stadtkundiger Wünsche der Gouzagas aus eigner Voll¬
macht zu erfüllen. Aber nachdem mehrere solcher Versuche für den Thäter
übel abgelaufen waren, gewann das Gerücht, es sei den Buonacolsis von den:
Papste eine schützende Reliquie verliehen worden, immer mehr Boden, und in
dem Maße, wie namentlich die unsinnigen Soldatenspielereien Vincenzo Gou¬
zagas und seine kläglich verlaufenden Türkenkriege den Säckel der Stadt mehr
und mehr erschöpften, erinnerten sich die Mißvergnügten immer häufiger des
stillen Palazzo in der düstern engen Gasse, ohne freilich ernstliche Hoffnungen
darauf zu setzen.

Still geworden war er in der That. Er hatte seit drittehalb Jahrhun¬
derten höchstens Neugeborene schreien hören; denn selbst die Kinder dieses
Hauses, wenn sie nur erst irgend zu Verstand kamen, tollten und tobten nicht
nach der Art andrer Kinder; jeder Erwachsene bemühte sich, durch Lautlosig¬
keit des eignen BeHabens sie früh zu leisem Verhalten zu erziehen, und bald
wurde die Gewöhnung dazu eine von selbst sich vererbende. Wie die Herren,
so die Diener: es gab in ganz Mantua keine schweigsameren und, wenn sie
redeten, bescheidner auftretenden Leute als die sämtlich im Dienst ergrauenden
Lakeien des Palazzo Bnonaeolsi; und auch die Mägde, obgleich sie in dem
Dienste nicht gar lange ausdauerten, vielleicht vor allem wegen der altmodisch
unkleidsamen Pfeffer- und Salzfarbe ihrer Kleider, auch die Mägde unterschieden
sich von andern Dienenden, wenigstens in der Öffentlichkeit, durch den gedämpften
Ton ihrer Redeweise. Dabei trugen so die Herren wie die Diener den Kopf hoch,
und aus ihren Augen blitzte Selbstgefühl. Man wußte nicht: war jenes auf¬
fällige Vermeiden aller Lautheit einst der Ausfluß von Furcht und Vorsicht
gewesen und hatte er sich dann aus bloßem Festhalten an einer überlieferten
Familiensitte in den folgenden Geschlechtern festgesetzt, oder aber lag diesem
Benehmen von jeher der Plan zu gründe, das lärmende Treiben vieler der
Gonzagas noch greller und vorlauter erscheinen zu lassen.

Auch hatte es Ausncihmeu von der Regel gegeben. Vittoria Buonacolsi,
die Urgroßmutter Floridas, war eine Veltlinerin ans dem edeln Geschlechte
der Sansalvatorc gewesen, eine fröhlich geartete Natur, die das Herkommen
des stillen Palazzo während zweier Jahrzehnte schier auf den Kopf gestellt
hatte. Man sagte, daß Giulio Romano, der Liebling des Herzogs Federiao
Gonzaga, zuweilen abends in dem Schatten des schmalen Gcißchens del Zodiaeo
verschwunden sei, und es gab Leute, welche in der hüllenlosen Hauptfigur seines be¬
rühmten Deckcnbildes des Palazzo dueale — der Nacht in einem Wagen mit


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[0436] Um eine Perle. aus Regiment kommen, und es hatte Regenten eins jenem Hause gegeben, die sich bis zu der Äußerung erniedrigten, sür das Ohr eines Gonzaga dürfe es keine lieblicher klingende Botschaft geben als die Meldung: der letzte Buvnaeolsi ist gestorben. Damals war es denn auch öfter vorgekommen, daß Vravos nach Gelegen¬ heiten ausspähten, die stadtkundiger Wünsche der Gouzagas aus eigner Voll¬ macht zu erfüllen. Aber nachdem mehrere solcher Versuche für den Thäter übel abgelaufen waren, gewann das Gerücht, es sei den Buonacolsis von den: Papste eine schützende Reliquie verliehen worden, immer mehr Boden, und in dem Maße, wie namentlich die unsinnigen Soldatenspielereien Vincenzo Gou¬ zagas und seine kläglich verlaufenden Türkenkriege den Säckel der Stadt mehr und mehr erschöpften, erinnerten sich die Mißvergnügten immer häufiger des stillen Palazzo in der düstern engen Gasse, ohne freilich ernstliche Hoffnungen darauf zu setzen. Still geworden war er in der That. Er hatte seit drittehalb Jahrhun¬ derten höchstens Neugeborene schreien hören; denn selbst die Kinder dieses Hauses, wenn sie nur erst irgend zu Verstand kamen, tollten und tobten nicht nach der Art andrer Kinder; jeder Erwachsene bemühte sich, durch Lautlosig¬ keit des eignen BeHabens sie früh zu leisem Verhalten zu erziehen, und bald wurde die Gewöhnung dazu eine von selbst sich vererbende. Wie die Herren, so die Diener: es gab in ganz Mantua keine schweigsameren und, wenn sie redeten, bescheidner auftretenden Leute als die sämtlich im Dienst ergrauenden Lakeien des Palazzo Bnonaeolsi; und auch die Mägde, obgleich sie in dem Dienste nicht gar lange ausdauerten, vielleicht vor allem wegen der altmodisch unkleidsamen Pfeffer- und Salzfarbe ihrer Kleider, auch die Mägde unterschieden sich von andern Dienenden, wenigstens in der Öffentlichkeit, durch den gedämpften Ton ihrer Redeweise. Dabei trugen so die Herren wie die Diener den Kopf hoch, und aus ihren Augen blitzte Selbstgefühl. Man wußte nicht: war jenes auf¬ fällige Vermeiden aller Lautheit einst der Ausfluß von Furcht und Vorsicht gewesen und hatte er sich dann aus bloßem Festhalten an einer überlieferten Familiensitte in den folgenden Geschlechtern festgesetzt, oder aber lag diesem Benehmen von jeher der Plan zu gründe, das lärmende Treiben vieler der Gonzagas noch greller und vorlauter erscheinen zu lassen. Auch hatte es Ausncihmeu von der Regel gegeben. Vittoria Buonacolsi, die Urgroßmutter Floridas, war eine Veltlinerin ans dem edeln Geschlechte der Sansalvatorc gewesen, eine fröhlich geartete Natur, die das Herkommen des stillen Palazzo während zweier Jahrzehnte schier auf den Kopf gestellt hatte. Man sagte, daß Giulio Romano, der Liebling des Herzogs Federiao Gonzaga, zuweilen abends in dem Schatten des schmalen Gcißchens del Zodiaeo verschwunden sei, und es gab Leute, welche in der hüllenlosen Hauptfigur seines be¬ rühmten Deckcnbildes des Palazzo dueale — der Nacht in einem Wagen mit

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341841_194675/436>, abgerufen am 22.07.2024.