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Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Erstes Quartal.

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Analogen zur Geschichte der neueren deutschen Kunst.

Kupferstecher Daniel Chodowiecki zu gewinnen, welcher wiederholt seine Kunst
in den Dienst von Nicolais literarischen Unternehmungen gestellt hat. Chodowiecki
schuf für den "Sebaldus Nothanker" in seinen verschiednen Auflagen im ganzen
einundzwanzig Blätter, die sich den besten seiner Schöpfungen ans dein Gebiete
der Vnchillnstration würdig an die Seite stellen/")

Chodowiecki ging nur mit Widerstreben an diese Arbeit. Nicolais unge¬
stüme Angriffe gegen die Prediger des göttlichen Wortes waren dem frommen
Anhänger der ealvinistischen Kirche überaus bedenklich, da er annahm, daß die
Religion selbst durch die Verspottung ihrer Diener herabgesetzt würde. Dennoch
vermochte er die Bedenken, welche ihm bei der Lektüre der ersten beiden Bände
des "Sebaldus Nothanker" aufstießen, zu überwinden; als ihm aber Nicolai
das Manuskript des dritten Bandes übersandte, fand er sich durch die darin
enthaltenen frcigeistigen Ausführungen so unangenehm berührt, daß er dem
Verfasser seine Mitarbeiterschaft an dem Werke verweigern zu müssen glaubte.
Er schrieb deshalb einen längern Brief nu Nicolai und legte in demselben alle
die Gründe für die Ablehnung des ihm erteilten Auftrages dar. Namentlich
an dem sechsten Abschnitte nahm er Anstoß. Dieser enthielt Proben einer Über¬
setzung, welche Sebaldus von dem Werke eines englischen Deisten gefertigt hatte,
nur sie dem holländischen Buchhändler van der Nun zum Verlage anzubieten,
und in der That hat Nicolai in diesem Abschnitte das schärfste Geschütz auf¬
gefahren, mit dem er überhaupt in seinein Romane operirt. Er legt in dem¬
selben nicht nur dar, welcher Widersinn es sei, die Prediger eidlich auf fest
formulirte Bekenntnisschriften zu verpflichten, ein Herkommen, gegen welches an
zahlreichen Stellen des Werkes Protest erhoben wird; auch die Autorität der
Bibel, ihre göttliche Eingebung, die Notwendigkeit, alle ihre Lehren anzunehmen,
wird in Frage gestellt und dabei hervorgehoben, wie wenig sicher die Über¬
lieferung des biblischen Textes sei. Chodowiecki bemüht sich daher, Nicolai von
der Verkehrtheit solcher Anschauungen zu überzeugen, und liefert in seinem
Schreiben den Beweis, wie ernst es ihm um seine Kunst war, die er nicht in
den Dienst desjenigen stellen wollte, der seiner innersten religiösen Überzeugung
reich durch seine Schriftstellern nur entchristlichend wirken konnte.

Dieser Brief Chodowieckis ist uns erhalten geblieben, scheint jedoch bisher
nirgends durch den Druck bekannt gemacht zu sein. Daß man schon früher
daran gedacht hat, ihn zu veröffentlichen, beweist eine Abschrift desselben von
der Hemd L. F. G. von Göckingks, welche sich unter der großen Menge von
Briefen des C. A. Böttigerschen Nachlasses auf der königlichen öffentlichen Bi¬
bliothek zu Dresden befindet. Es ist augenscheinlich, daß Göckingk bei der An¬
fügung desselben daran dachte, das interessante Dokument von Chodowieckis



") Sie sind aufs genaueste verzeichnet in dem trefflichen Werke von Wilhelm Engel-
'"rinn Daniel Chodowieckis sämtliche Kupferstiche. Leipzig, 1867.
Analogen zur Geschichte der neueren deutschen Kunst.

Kupferstecher Daniel Chodowiecki zu gewinnen, welcher wiederholt seine Kunst
in den Dienst von Nicolais literarischen Unternehmungen gestellt hat. Chodowiecki
schuf für den „Sebaldus Nothanker" in seinen verschiednen Auflagen im ganzen
einundzwanzig Blätter, die sich den besten seiner Schöpfungen ans dein Gebiete
der Vnchillnstration würdig an die Seite stellen/")

Chodowiecki ging nur mit Widerstreben an diese Arbeit. Nicolais unge¬
stüme Angriffe gegen die Prediger des göttlichen Wortes waren dem frommen
Anhänger der ealvinistischen Kirche überaus bedenklich, da er annahm, daß die
Religion selbst durch die Verspottung ihrer Diener herabgesetzt würde. Dennoch
vermochte er die Bedenken, welche ihm bei der Lektüre der ersten beiden Bände
des „Sebaldus Nothanker" aufstießen, zu überwinden; als ihm aber Nicolai
das Manuskript des dritten Bandes übersandte, fand er sich durch die darin
enthaltenen frcigeistigen Ausführungen so unangenehm berührt, daß er dem
Verfasser seine Mitarbeiterschaft an dem Werke verweigern zu müssen glaubte.
Er schrieb deshalb einen längern Brief nu Nicolai und legte in demselben alle
die Gründe für die Ablehnung des ihm erteilten Auftrages dar. Namentlich
an dem sechsten Abschnitte nahm er Anstoß. Dieser enthielt Proben einer Über¬
setzung, welche Sebaldus von dem Werke eines englischen Deisten gefertigt hatte,
nur sie dem holländischen Buchhändler van der Nun zum Verlage anzubieten,
und in der That hat Nicolai in diesem Abschnitte das schärfste Geschütz auf¬
gefahren, mit dem er überhaupt in seinein Romane operirt. Er legt in dem¬
selben nicht nur dar, welcher Widersinn es sei, die Prediger eidlich auf fest
formulirte Bekenntnisschriften zu verpflichten, ein Herkommen, gegen welches an
zahlreichen Stellen des Werkes Protest erhoben wird; auch die Autorität der
Bibel, ihre göttliche Eingebung, die Notwendigkeit, alle ihre Lehren anzunehmen,
wird in Frage gestellt und dabei hervorgehoben, wie wenig sicher die Über¬
lieferung des biblischen Textes sei. Chodowiecki bemüht sich daher, Nicolai von
der Verkehrtheit solcher Anschauungen zu überzeugen, und liefert in seinem
Schreiben den Beweis, wie ernst es ihm um seine Kunst war, die er nicht in
den Dienst desjenigen stellen wollte, der seiner innersten religiösen Überzeugung
reich durch seine Schriftstellern nur entchristlichend wirken konnte.

Dieser Brief Chodowieckis ist uns erhalten geblieben, scheint jedoch bisher
nirgends durch den Druck bekannt gemacht zu sein. Daß man schon früher
daran gedacht hat, ihn zu veröffentlichen, beweist eine Abschrift desselben von
der Hemd L. F. G. von Göckingks, welche sich unter der großen Menge von
Briefen des C. A. Böttigerschen Nachlasses auf der königlichen öffentlichen Bi¬
bliothek zu Dresden befindet. Es ist augenscheinlich, daß Göckingk bei der An¬
fügung desselben daran dachte, das interessante Dokument von Chodowieckis



") Sie sind aufs genaueste verzeichnet in dem trefflichen Werke von Wilhelm Engel-
'"rinn Daniel Chodowieckis sämtliche Kupferstiche. Leipzig, 1867.
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[0423] Analogen zur Geschichte der neueren deutschen Kunst. Kupferstecher Daniel Chodowiecki zu gewinnen, welcher wiederholt seine Kunst in den Dienst von Nicolais literarischen Unternehmungen gestellt hat. Chodowiecki schuf für den „Sebaldus Nothanker" in seinen verschiednen Auflagen im ganzen einundzwanzig Blätter, die sich den besten seiner Schöpfungen ans dein Gebiete der Vnchillnstration würdig an die Seite stellen/") Chodowiecki ging nur mit Widerstreben an diese Arbeit. Nicolais unge¬ stüme Angriffe gegen die Prediger des göttlichen Wortes waren dem frommen Anhänger der ealvinistischen Kirche überaus bedenklich, da er annahm, daß die Religion selbst durch die Verspottung ihrer Diener herabgesetzt würde. Dennoch vermochte er die Bedenken, welche ihm bei der Lektüre der ersten beiden Bände des „Sebaldus Nothanker" aufstießen, zu überwinden; als ihm aber Nicolai das Manuskript des dritten Bandes übersandte, fand er sich durch die darin enthaltenen frcigeistigen Ausführungen so unangenehm berührt, daß er dem Verfasser seine Mitarbeiterschaft an dem Werke verweigern zu müssen glaubte. Er schrieb deshalb einen längern Brief nu Nicolai und legte in demselben alle die Gründe für die Ablehnung des ihm erteilten Auftrages dar. Namentlich an dem sechsten Abschnitte nahm er Anstoß. Dieser enthielt Proben einer Über¬ setzung, welche Sebaldus von dem Werke eines englischen Deisten gefertigt hatte, nur sie dem holländischen Buchhändler van der Nun zum Verlage anzubieten, und in der That hat Nicolai in diesem Abschnitte das schärfste Geschütz auf¬ gefahren, mit dem er überhaupt in seinein Romane operirt. Er legt in dem¬ selben nicht nur dar, welcher Widersinn es sei, die Prediger eidlich auf fest formulirte Bekenntnisschriften zu verpflichten, ein Herkommen, gegen welches an zahlreichen Stellen des Werkes Protest erhoben wird; auch die Autorität der Bibel, ihre göttliche Eingebung, die Notwendigkeit, alle ihre Lehren anzunehmen, wird in Frage gestellt und dabei hervorgehoben, wie wenig sicher die Über¬ lieferung des biblischen Textes sei. Chodowiecki bemüht sich daher, Nicolai von der Verkehrtheit solcher Anschauungen zu überzeugen, und liefert in seinem Schreiben den Beweis, wie ernst es ihm um seine Kunst war, die er nicht in den Dienst desjenigen stellen wollte, der seiner innersten religiösen Überzeugung reich durch seine Schriftstellern nur entchristlichend wirken konnte. Dieser Brief Chodowieckis ist uns erhalten geblieben, scheint jedoch bisher nirgends durch den Druck bekannt gemacht zu sein. Daß man schon früher daran gedacht hat, ihn zu veröffentlichen, beweist eine Abschrift desselben von der Hemd L. F. G. von Göckingks, welche sich unter der großen Menge von Briefen des C. A. Böttigerschen Nachlasses auf der königlichen öffentlichen Bi¬ bliothek zu Dresden befindet. Es ist augenscheinlich, daß Göckingk bei der An¬ fügung desselben daran dachte, das interessante Dokument von Chodowieckis ") Sie sind aufs genaueste verzeichnet in dem trefflichen Werke von Wilhelm Engel- '"rinn Daniel Chodowieckis sämtliche Kupferstiche. Leipzig, 1867.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341841_194675/423>, abgerufen am 22.07.2024.