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Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Erstes Quartal.

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Die Illode im alten Griechenland.

Fußknöcheln herab. Der Schlitz, vermittelst dessen man das Gewand anlegte,
war längs der Mitte der Brust angebracht und daselbst durch Fibeln oder
Heftel zusammengehalten. Was uns hier ganz besonders fremdartig erscheint,
weil wir es später nirgends mehr finden, ist der Verschluß des Kleides durch
die den Brnstschlitz zusammenhaltenden Fibeln; die gesamte spätere Tracht der
Griechen wendet die Fibeln an dieser Stelle nie mehr an. Hier liegt denn auch
wahrscheinlich orientalischer Einfluß vor, gerade an Denkmälern mit Darstellungen
orientalischer Völker kommen derartige Brustschlitzc, wie Helbig nachweist, sehr
häufig vor.

Über die Kleidung der Frauen in den auf das homerische Zeitalter
folgenden Jahrhunderten bis zur Periode der Perserkriege liegen uns wenig
schriftliche Nachrichten vor. Die bekannteste Stelle ist die des Herodot (V, 87 fg.),
welcher folgendes berichtet. Bei einem Unternehmen der Athener gegen Ägina,
welches unglücklich verlief, sei bloß ein einziger Athener lebend entkommen, der
daheim von der Niederlage berichtete. Da wären die athenischen Frauen, deren
Männer auf Ägina gefallen waren, ergrimmt darüber, daß dieser eine um Leben
geblieben, über ihn hergefallen und hätten ihn mit den Nadeln ihrer Ge¬
wänder ("Himatien" neunt sie Herodot) so gestochen, daß er davon starb.
Infolge dessen hätten dann die Athener eine Änderung der weiblichen Tracht
von Gesetzeswegen beschlossen: an Stelle der bisher üblichen dorischen Tracht,
welche der korinthischen sehr verwandt war, sei nunmehr die ionische getreten,
ein leinener Chiton, bei welchem man sich keiner Nadeln bediente. Herodot
fügt "och hinzu, streng genommen sei das nicht ionische, sondern karische Tracht;
denn in alter Zeit sei die ganze hellenische Tracht überhaupt eben die gewesen,
welche man jetzt noch zur Zeit Herodots als dorisch bezeichne. Dies Zeugnis
Herodots ist wie das älteste, so auch das klarste unter den uns erhaltenen.
Indem man nun mit dieser Nachricht das kombinirte, was man sonst aus
Schriftstellern und Denkmälern über die Form des dorischen und ionische" Chitons
wußte, nahm ma um der Regel an, daß die altgriechische oder dorische Tracht
aus einem Stück Wollenstoff bestanden habe, welches ziemlich kurz war, auf deu
Schultern durch Spangen festgehalten wurde, ein der linken Seite oben bis zur
Mitte zusammengenäht, nach unter aber offengelassen war, und daß die herab¬
hängenden Zipfel auf der rechten wie auf der linken Seite entweder unverbunden
geblieben oder durch Nadeln zusammengeheftet worden seien. Unter dem ionischen
Chiton dagegen, welchen die Atheuerinnen angeblich nach jenem Unglück von
Ägina angenommen hätten, verstand man einen ganz genähten Chiton von
Leinwand, mit Ärmeln, welche im Gegensatz zum dorischen sehr lang und falten¬
reich war und der Spangen oder Nadeln nicht bedurfte. So wenig es sich
min leugnen läßt, daß sowohl die eine wie die andre der eben beschriebenen
Trachten auf Denkmälern häufig ist und daß namentlich die erstere (die Tracht
der Artemis, der Amazonen u. f. w.) in der spezifisch dorischen Kunst gewöhnlich


Die Illode im alten Griechenland.

Fußknöcheln herab. Der Schlitz, vermittelst dessen man das Gewand anlegte,
war längs der Mitte der Brust angebracht und daselbst durch Fibeln oder
Heftel zusammengehalten. Was uns hier ganz besonders fremdartig erscheint,
weil wir es später nirgends mehr finden, ist der Verschluß des Kleides durch
die den Brnstschlitz zusammenhaltenden Fibeln; die gesamte spätere Tracht der
Griechen wendet die Fibeln an dieser Stelle nie mehr an. Hier liegt denn auch
wahrscheinlich orientalischer Einfluß vor, gerade an Denkmälern mit Darstellungen
orientalischer Völker kommen derartige Brustschlitzc, wie Helbig nachweist, sehr
häufig vor.

Über die Kleidung der Frauen in den auf das homerische Zeitalter
folgenden Jahrhunderten bis zur Periode der Perserkriege liegen uns wenig
schriftliche Nachrichten vor. Die bekannteste Stelle ist die des Herodot (V, 87 fg.),
welcher folgendes berichtet. Bei einem Unternehmen der Athener gegen Ägina,
welches unglücklich verlief, sei bloß ein einziger Athener lebend entkommen, der
daheim von der Niederlage berichtete. Da wären die athenischen Frauen, deren
Männer auf Ägina gefallen waren, ergrimmt darüber, daß dieser eine um Leben
geblieben, über ihn hergefallen und hätten ihn mit den Nadeln ihrer Ge¬
wänder („Himatien" neunt sie Herodot) so gestochen, daß er davon starb.
Infolge dessen hätten dann die Athener eine Änderung der weiblichen Tracht
von Gesetzeswegen beschlossen: an Stelle der bisher üblichen dorischen Tracht,
welche der korinthischen sehr verwandt war, sei nunmehr die ionische getreten,
ein leinener Chiton, bei welchem man sich keiner Nadeln bediente. Herodot
fügt »och hinzu, streng genommen sei das nicht ionische, sondern karische Tracht;
denn in alter Zeit sei die ganze hellenische Tracht überhaupt eben die gewesen,
welche man jetzt noch zur Zeit Herodots als dorisch bezeichne. Dies Zeugnis
Herodots ist wie das älteste, so auch das klarste unter den uns erhaltenen.
Indem man nun mit dieser Nachricht das kombinirte, was man sonst aus
Schriftstellern und Denkmälern über die Form des dorischen und ionische» Chitons
wußte, nahm ma um der Regel an, daß die altgriechische oder dorische Tracht
aus einem Stück Wollenstoff bestanden habe, welches ziemlich kurz war, auf deu
Schultern durch Spangen festgehalten wurde, ein der linken Seite oben bis zur
Mitte zusammengenäht, nach unter aber offengelassen war, und daß die herab¬
hängenden Zipfel auf der rechten wie auf der linken Seite entweder unverbunden
geblieben oder durch Nadeln zusammengeheftet worden seien. Unter dem ionischen
Chiton dagegen, welchen die Atheuerinnen angeblich nach jenem Unglück von
Ägina angenommen hätten, verstand man einen ganz genähten Chiton von
Leinwand, mit Ärmeln, welche im Gegensatz zum dorischen sehr lang und falten¬
reich war und der Spangen oder Nadeln nicht bedurfte. So wenig es sich
min leugnen läßt, daß sowohl die eine wie die andre der eben beschriebenen
Trachten auf Denkmälern häufig ist und daß namentlich die erstere (die Tracht
der Artemis, der Amazonen u. f. w.) in der spezifisch dorischen Kunst gewöhnlich


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[0414] Die Illode im alten Griechenland. Fußknöcheln herab. Der Schlitz, vermittelst dessen man das Gewand anlegte, war längs der Mitte der Brust angebracht und daselbst durch Fibeln oder Heftel zusammengehalten. Was uns hier ganz besonders fremdartig erscheint, weil wir es später nirgends mehr finden, ist der Verschluß des Kleides durch die den Brnstschlitz zusammenhaltenden Fibeln; die gesamte spätere Tracht der Griechen wendet die Fibeln an dieser Stelle nie mehr an. Hier liegt denn auch wahrscheinlich orientalischer Einfluß vor, gerade an Denkmälern mit Darstellungen orientalischer Völker kommen derartige Brustschlitzc, wie Helbig nachweist, sehr häufig vor. Über die Kleidung der Frauen in den auf das homerische Zeitalter folgenden Jahrhunderten bis zur Periode der Perserkriege liegen uns wenig schriftliche Nachrichten vor. Die bekannteste Stelle ist die des Herodot (V, 87 fg.), welcher folgendes berichtet. Bei einem Unternehmen der Athener gegen Ägina, welches unglücklich verlief, sei bloß ein einziger Athener lebend entkommen, der daheim von der Niederlage berichtete. Da wären die athenischen Frauen, deren Männer auf Ägina gefallen waren, ergrimmt darüber, daß dieser eine um Leben geblieben, über ihn hergefallen und hätten ihn mit den Nadeln ihrer Ge¬ wänder („Himatien" neunt sie Herodot) so gestochen, daß er davon starb. Infolge dessen hätten dann die Athener eine Änderung der weiblichen Tracht von Gesetzeswegen beschlossen: an Stelle der bisher üblichen dorischen Tracht, welche der korinthischen sehr verwandt war, sei nunmehr die ionische getreten, ein leinener Chiton, bei welchem man sich keiner Nadeln bediente. Herodot fügt »och hinzu, streng genommen sei das nicht ionische, sondern karische Tracht; denn in alter Zeit sei die ganze hellenische Tracht überhaupt eben die gewesen, welche man jetzt noch zur Zeit Herodots als dorisch bezeichne. Dies Zeugnis Herodots ist wie das älteste, so auch das klarste unter den uns erhaltenen. Indem man nun mit dieser Nachricht das kombinirte, was man sonst aus Schriftstellern und Denkmälern über die Form des dorischen und ionische» Chitons wußte, nahm ma um der Regel an, daß die altgriechische oder dorische Tracht aus einem Stück Wollenstoff bestanden habe, welches ziemlich kurz war, auf deu Schultern durch Spangen festgehalten wurde, ein der linken Seite oben bis zur Mitte zusammengenäht, nach unter aber offengelassen war, und daß die herab¬ hängenden Zipfel auf der rechten wie auf der linken Seite entweder unverbunden geblieben oder durch Nadeln zusammengeheftet worden seien. Unter dem ionischen Chiton dagegen, welchen die Atheuerinnen angeblich nach jenem Unglück von Ägina angenommen hätten, verstand man einen ganz genähten Chiton von Leinwand, mit Ärmeln, welche im Gegensatz zum dorischen sehr lang und falten¬ reich war und der Spangen oder Nadeln nicht bedurfte. So wenig es sich min leugnen läßt, daß sowohl die eine wie die andre der eben beschriebenen Trachten auf Denkmälern häufig ist und daß namentlich die erstere (die Tracht der Artemis, der Amazonen u. f. w.) in der spezifisch dorischen Kunst gewöhnlich

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341841_194675/414>, abgerufen am 23.07.2024.