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Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Erstes Quartal.

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Die Stellung der Polizei in" Strafverfahren.

Verdunkeln, dem Polizeibeamten, sofern er nur nicht formell beleidigend wird, die
ärgsten Dinge öffentlich sagen, es kann ihm nichts geschehen, er macht mir von
seinem Rechte Gebrauch. So muß denn schließlich der Richter von seinem
Standpunkte aus freisprechen, obwohl die Sache nicht im entferntesten dazu an¬
gethan ist. und die Gesetzgebung erreicht gerade das, was sie nicht will:
gegenüber dem gewissenhafteren Polizeibeamten hat der Angeklagte mehr Schutz
als gegenüber dem weniger gewissenhaften, welcher deshalb auch weniger Be¬
deuten bei Abgabe seiner Aussagen hat.

Die gerügte, bei der Verhandlung der polizeilichen Sachen vor Gericht
unausbleibliche Verzögerung der Sachen hat aber nicht uur für die einzelnen
vor Gericht auftretenden Polizeibeamten, nein für die gesamte Polizei sehr üble
Folgen. Sieht es nicht wie eine reine Gehässigkeit aus, wenn jemand wegen
irgend einer kleinen, noch dazu ohne Nachteil für das Gemeindewohl abge¬
laufenen Polizeiübertretung uach Monaten erst gestraft wird? Hat die Über¬
tretung schlimme Folgen gehabt, hat z. B. jemand durch zu schnelles Fahren
einen Menschen überfahren, dann tritt ja das polizeiliche Mandat überhaupt
iMriick, dann liegt eine der richterlichen Entscheidung vorbehalten? Strafthat
vor. Das VollMewußtsein faßt hier den oben angedeuteten Unterschied zwischen
den zur Aufrechthaltung der polizeilichen Ordnung dienenden Polizeiverfügnngcn
und dem zur Sühne eines begangenen Rechtsbrnches bestimmten Strafverfahren
scharf ans, die dnrch unsre Gesetzgebung herbeigeführte Vermengung beider Insti¬
tutionen will ihm nicht einleuchten. Niemand wird etwas dagegen einwenden,
wenn jemand, frisch bei Übertretung einer Pvlizeiverorduung betroffen, zur Ver¬
meidung ähnlicher Übertretungen alsbald polizeilich gestraft wird; jedem aber
erscheint es kleinlich, wenn solche an und für sich geringfügig erscheinende
Handlungen nach längerer Zeit, wo sie bereits in Vergessenheit geraten sind,
"ur Erörterung vor Gericht mit allem Apparat einer Strafgerichtssitznng ge¬
bracht werden. Mit Rücksicht hierauf liegt es auf der Hand, daß ein solches
Verfahren nur geeignet ist, die Polizei in den Augen des Volkes herabzusetzen,
sie als von Verfolgungssucht beseelt erscheinen zu lassen, und ihr das gerade
ihr bei ihrer so tief in das Leben eines jeden Einzelnen eingreifenden Thätig¬
keit so unbedingt nötige Vertrauen der Bevölkerung zu entziehen. Die Strafe
selbst aber verliert uach so langem Zwischenraume zwischen ihrer Erkennung
und zwischen der zu gründe liegenden Handlung alle Wirkung ans den Ange¬
klagten, der sich jetzt selbst mehr als einen gehässig Verfolgten denn als einen
>"it Recht Bestraften ansieht.

Es kann aber auch durch eine solche Verspätung der Verhandlung die
polizeiliche Thätigkeit vollständig lahmgelegt werden, denn sowie der Ange¬
schuldigte gegen die Strafverfugung Widerspruch erhoben hat, weil etwa die
der Strafverfolgung zik gründe liegende Handlung nicht strafbar sei, so ist die
Polizei nicht in der Lage, bis zum Erlaß einer gerichtliche" Entscheidung die


Grenzlwtm I. 1885. 50
Die Stellung der Polizei in» Strafverfahren.

Verdunkeln, dem Polizeibeamten, sofern er nur nicht formell beleidigend wird, die
ärgsten Dinge öffentlich sagen, es kann ihm nichts geschehen, er macht mir von
seinem Rechte Gebrauch. So muß denn schließlich der Richter von seinem
Standpunkte aus freisprechen, obwohl die Sache nicht im entferntesten dazu an¬
gethan ist. und die Gesetzgebung erreicht gerade das, was sie nicht will:
gegenüber dem gewissenhafteren Polizeibeamten hat der Angeklagte mehr Schutz
als gegenüber dem weniger gewissenhaften, welcher deshalb auch weniger Be¬
deuten bei Abgabe seiner Aussagen hat.

Die gerügte, bei der Verhandlung der polizeilichen Sachen vor Gericht
unausbleibliche Verzögerung der Sachen hat aber nicht uur für die einzelnen
vor Gericht auftretenden Polizeibeamten, nein für die gesamte Polizei sehr üble
Folgen. Sieht es nicht wie eine reine Gehässigkeit aus, wenn jemand wegen
irgend einer kleinen, noch dazu ohne Nachteil für das Gemeindewohl abge¬
laufenen Polizeiübertretung uach Monaten erst gestraft wird? Hat die Über¬
tretung schlimme Folgen gehabt, hat z. B. jemand durch zu schnelles Fahren
einen Menschen überfahren, dann tritt ja das polizeiliche Mandat überhaupt
iMriick, dann liegt eine der richterlichen Entscheidung vorbehalten? Strafthat
vor. Das VollMewußtsein faßt hier den oben angedeuteten Unterschied zwischen
den zur Aufrechthaltung der polizeilichen Ordnung dienenden Polizeiverfügnngcn
und dem zur Sühne eines begangenen Rechtsbrnches bestimmten Strafverfahren
scharf ans, die dnrch unsre Gesetzgebung herbeigeführte Vermengung beider Insti¬
tutionen will ihm nicht einleuchten. Niemand wird etwas dagegen einwenden,
wenn jemand, frisch bei Übertretung einer Pvlizeiverorduung betroffen, zur Ver¬
meidung ähnlicher Übertretungen alsbald polizeilich gestraft wird; jedem aber
erscheint es kleinlich, wenn solche an und für sich geringfügig erscheinende
Handlungen nach längerer Zeit, wo sie bereits in Vergessenheit geraten sind,
»ur Erörterung vor Gericht mit allem Apparat einer Strafgerichtssitznng ge¬
bracht werden. Mit Rücksicht hierauf liegt es auf der Hand, daß ein solches
Verfahren nur geeignet ist, die Polizei in den Augen des Volkes herabzusetzen,
sie als von Verfolgungssucht beseelt erscheinen zu lassen, und ihr das gerade
ihr bei ihrer so tief in das Leben eines jeden Einzelnen eingreifenden Thätig¬
keit so unbedingt nötige Vertrauen der Bevölkerung zu entziehen. Die Strafe
selbst aber verliert uach so langem Zwischenraume zwischen ihrer Erkennung
und zwischen der zu gründe liegenden Handlung alle Wirkung ans den Ange¬
klagten, der sich jetzt selbst mehr als einen gehässig Verfolgten denn als einen
>"it Recht Bestraften ansieht.

Es kann aber auch durch eine solche Verspätung der Verhandlung die
polizeiliche Thätigkeit vollständig lahmgelegt werden, denn sowie der Ange¬
schuldigte gegen die Strafverfugung Widerspruch erhoben hat, weil etwa die
der Strafverfolgung zik gründe liegende Handlung nicht strafbar sei, so ist die
Polizei nicht in der Lage, bis zum Erlaß einer gerichtliche« Entscheidung die


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[0405] Die Stellung der Polizei in» Strafverfahren. Verdunkeln, dem Polizeibeamten, sofern er nur nicht formell beleidigend wird, die ärgsten Dinge öffentlich sagen, es kann ihm nichts geschehen, er macht mir von seinem Rechte Gebrauch. So muß denn schließlich der Richter von seinem Standpunkte aus freisprechen, obwohl die Sache nicht im entferntesten dazu an¬ gethan ist. und die Gesetzgebung erreicht gerade das, was sie nicht will: gegenüber dem gewissenhafteren Polizeibeamten hat der Angeklagte mehr Schutz als gegenüber dem weniger gewissenhaften, welcher deshalb auch weniger Be¬ deuten bei Abgabe seiner Aussagen hat. Die gerügte, bei der Verhandlung der polizeilichen Sachen vor Gericht unausbleibliche Verzögerung der Sachen hat aber nicht uur für die einzelnen vor Gericht auftretenden Polizeibeamten, nein für die gesamte Polizei sehr üble Folgen. Sieht es nicht wie eine reine Gehässigkeit aus, wenn jemand wegen irgend einer kleinen, noch dazu ohne Nachteil für das Gemeindewohl abge¬ laufenen Polizeiübertretung uach Monaten erst gestraft wird? Hat die Über¬ tretung schlimme Folgen gehabt, hat z. B. jemand durch zu schnelles Fahren einen Menschen überfahren, dann tritt ja das polizeiliche Mandat überhaupt iMriick, dann liegt eine der richterlichen Entscheidung vorbehalten? Strafthat vor. Das VollMewußtsein faßt hier den oben angedeuteten Unterschied zwischen den zur Aufrechthaltung der polizeilichen Ordnung dienenden Polizeiverfügnngcn und dem zur Sühne eines begangenen Rechtsbrnches bestimmten Strafverfahren scharf ans, die dnrch unsre Gesetzgebung herbeigeführte Vermengung beider Insti¬ tutionen will ihm nicht einleuchten. Niemand wird etwas dagegen einwenden, wenn jemand, frisch bei Übertretung einer Pvlizeiverorduung betroffen, zur Ver¬ meidung ähnlicher Übertretungen alsbald polizeilich gestraft wird; jedem aber erscheint es kleinlich, wenn solche an und für sich geringfügig erscheinende Handlungen nach längerer Zeit, wo sie bereits in Vergessenheit geraten sind, »ur Erörterung vor Gericht mit allem Apparat einer Strafgerichtssitznng ge¬ bracht werden. Mit Rücksicht hierauf liegt es auf der Hand, daß ein solches Verfahren nur geeignet ist, die Polizei in den Augen des Volkes herabzusetzen, sie als von Verfolgungssucht beseelt erscheinen zu lassen, und ihr das gerade ihr bei ihrer so tief in das Leben eines jeden Einzelnen eingreifenden Thätig¬ keit so unbedingt nötige Vertrauen der Bevölkerung zu entziehen. Die Strafe selbst aber verliert uach so langem Zwischenraume zwischen ihrer Erkennung und zwischen der zu gründe liegenden Handlung alle Wirkung ans den Ange¬ klagten, der sich jetzt selbst mehr als einen gehässig Verfolgten denn als einen >"it Recht Bestraften ansieht. Es kann aber auch durch eine solche Verspätung der Verhandlung die polizeiliche Thätigkeit vollständig lahmgelegt werden, denn sowie der Ange¬ schuldigte gegen die Strafverfugung Widerspruch erhoben hat, weil etwa die der Strafverfolgung zik gründe liegende Handlung nicht strafbar sei, so ist die Polizei nicht in der Lage, bis zum Erlaß einer gerichtliche« Entscheidung die Grenzlwtm I. 1885. 50

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341841_194675/405>, abgerufen am 23.07.2024.