Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Erstes Quartal.Friedrich HMiels Tcigebüchcr. und entwicklungsfähigen Kräfte des Dichters Hebbel gewesen ist, daß sie sogar Das Beste ist jedenfalls, daß diese Dinge in den "Tagebüchern" doch nnr Friedrich HMiels Tcigebüchcr. und entwicklungsfähigen Kräfte des Dichters Hebbel gewesen ist, daß sie sogar Das Beste ist jedenfalls, daß diese Dinge in den „Tagebüchern" doch nnr <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0040" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/194716"/> <fw type="header" place="top"> Friedrich HMiels Tcigebüchcr.</fw><lb/> <p xml:id="ID_75" prev="#ID_74"> und entwicklungsfähigen Kräfte des Dichters Hebbel gewesen ist, daß sie sogar<lb/> im einzelnen auf ihn einen verhängnisvollen Einfluß gehabt und, da ihm<lb/> „ein bischen leichtes Blut" von der Natur gänzlich versagt war, noch in<lb/> eine Periode seines Lebens und Schaffens nachgewirkt hat, in der er der Sorge<lb/> um das tägliche Brot enthoben war, daß er aber allerdings eine seltene<lb/> Widerstandsfähigkeit im Kampfe mit der langjährigen Unsicherheit seiner Lage<lb/> bewährt hat. Daß die Not Einsichten erschließt und Empfindungen erweckt,<lb/> welche dem Glnckvcrwöhnten ewig fremd bleiben, daß sie den Ernst erhöht<lb/> und den Eifer spornt, ist zum Gemeinplatz geworden, allein zwischen der Not,<lb/> die hier gemeint ist, und der bittersten Dürftigkeit, mit der sich Hebbel herum¬<lb/> schlug, liegt immer noch eine gewaltige Kluft. Die „Tagebücher" enthalten eine<lb/> Reihe unerquicklicher Einzelheiten zur Geschichte dieser dürftigen Lebenslage, bei<lb/> der immer mir das eine unbegreiflich bleibt, daß es dem Dichter niemals in<lb/> den Sinn kam, ein Stuck seiner vermeinten Freiheit zu opfern, um von solchen<lb/> drückenden Fesseln frei zu werden. In der ganzen Jugendgeschichte Hebbels ist<lb/> nichts so dunkel und widerspruchsvoll, als die schier fatalistische Resigna¬<lb/> tion, mit der er harte Entbehrungen und widerwärtige Demütigungen auf<lb/> sich nimmt, nur um im Vollbesitz des Einzigen zu bleiben, woran er Überfluß<lb/> hat — der Zeit. Und ebenso bleibt es dem nachdenkende» eil? Rätsel, daß der¬<lb/> selbe Mensch, der so entschlossen den Konflikt mit der bürgerlichen Sitte seiner<lb/> Heimat und den ganzen Fluch einer wilden Ehe auf sich nimmt, sich ander¬<lb/> seits scheut, für Erhaltung seines Leibes und seiner Kraft auch nur einen Pfennig<lb/> mehr aufzuwenden, als die dringendste Notwendigkeit erheischt. Er lebt von<lb/> Brot und Kaffee und Früchten, damit eine kleine Summe eine möglichst lange<lb/> Zeit hinreiche, und spricht sich die Fähigkeit des Erwerbcns und Verdienens<lb/> ohne weiteres ab.</p><lb/> <p xml:id="ID_76" next="#ID_77"> Das Beste ist jedenfalls, daß diese Dinge in den „Tagebüchern" doch nnr<lb/> eine untergeordnete Rolle spielen, und der größere Teil der Hebbelschen Auf¬<lb/> zeichnungen gilt wichtigern Dingen als den Bedrängnissen einer Literatenexistenz,<lb/> hinter der kein federfertiger und rasch entschlossener Literat, sondern ein Dichter<lb/> stand, der das Höchste wollte und von sich forderte. Felix Bamberg hat voll¬<lb/> kommen Recht, wenn er von den „Tagebüchern" rühmt: „Die gesamte, sowohl<lb/> dein reinen Denken wie dem Schauen angehörende Geisteswelt Hebbels kommt<lb/> in den Tagebüchern mit bewunderungswürdiger Ursprünglichkeit und Festigkeit<lb/> zur Schall. Oft ist durch ganz eng geschriebene Seiten kein Buchstabe aus¬<lb/> gestrichen; auch beim Lesen des gedruckten Textes hat man die lebhafte Em¬<lb/> pfindung, es mit wirklichen Lebensmanifestationen zu thun zu haben, wie sie<lb/> sich ans den jedesmaligen geistigen Zuständen des Dichters entwickelten— Als<lb/> eine hohe Bereicherung für die Wissenschaft der Kunst sind Hebbels Gedanken<lb/> über die Poesie und das poetische Vermögen zu betrachten. Sie sind, wie eben<lb/> die Tagebücher beweisen, keine neuen Formeln nach ältern Systemen der Kunst-</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0040]
Friedrich HMiels Tcigebüchcr.
und entwicklungsfähigen Kräfte des Dichters Hebbel gewesen ist, daß sie sogar
im einzelnen auf ihn einen verhängnisvollen Einfluß gehabt und, da ihm
„ein bischen leichtes Blut" von der Natur gänzlich versagt war, noch in
eine Periode seines Lebens und Schaffens nachgewirkt hat, in der er der Sorge
um das tägliche Brot enthoben war, daß er aber allerdings eine seltene
Widerstandsfähigkeit im Kampfe mit der langjährigen Unsicherheit seiner Lage
bewährt hat. Daß die Not Einsichten erschließt und Empfindungen erweckt,
welche dem Glnckvcrwöhnten ewig fremd bleiben, daß sie den Ernst erhöht
und den Eifer spornt, ist zum Gemeinplatz geworden, allein zwischen der Not,
die hier gemeint ist, und der bittersten Dürftigkeit, mit der sich Hebbel herum¬
schlug, liegt immer noch eine gewaltige Kluft. Die „Tagebücher" enthalten eine
Reihe unerquicklicher Einzelheiten zur Geschichte dieser dürftigen Lebenslage, bei
der immer mir das eine unbegreiflich bleibt, daß es dem Dichter niemals in
den Sinn kam, ein Stuck seiner vermeinten Freiheit zu opfern, um von solchen
drückenden Fesseln frei zu werden. In der ganzen Jugendgeschichte Hebbels ist
nichts so dunkel und widerspruchsvoll, als die schier fatalistische Resigna¬
tion, mit der er harte Entbehrungen und widerwärtige Demütigungen auf
sich nimmt, nur um im Vollbesitz des Einzigen zu bleiben, woran er Überfluß
hat — der Zeit. Und ebenso bleibt es dem nachdenkende» eil? Rätsel, daß der¬
selbe Mensch, der so entschlossen den Konflikt mit der bürgerlichen Sitte seiner
Heimat und den ganzen Fluch einer wilden Ehe auf sich nimmt, sich ander¬
seits scheut, für Erhaltung seines Leibes und seiner Kraft auch nur einen Pfennig
mehr aufzuwenden, als die dringendste Notwendigkeit erheischt. Er lebt von
Brot und Kaffee und Früchten, damit eine kleine Summe eine möglichst lange
Zeit hinreiche, und spricht sich die Fähigkeit des Erwerbcns und Verdienens
ohne weiteres ab.
Das Beste ist jedenfalls, daß diese Dinge in den „Tagebüchern" doch nnr
eine untergeordnete Rolle spielen, und der größere Teil der Hebbelschen Auf¬
zeichnungen gilt wichtigern Dingen als den Bedrängnissen einer Literatenexistenz,
hinter der kein federfertiger und rasch entschlossener Literat, sondern ein Dichter
stand, der das Höchste wollte und von sich forderte. Felix Bamberg hat voll¬
kommen Recht, wenn er von den „Tagebüchern" rühmt: „Die gesamte, sowohl
dein reinen Denken wie dem Schauen angehörende Geisteswelt Hebbels kommt
in den Tagebüchern mit bewunderungswürdiger Ursprünglichkeit und Festigkeit
zur Schall. Oft ist durch ganz eng geschriebene Seiten kein Buchstabe aus¬
gestrichen; auch beim Lesen des gedruckten Textes hat man die lebhafte Em¬
pfindung, es mit wirklichen Lebensmanifestationen zu thun zu haben, wie sie
sich ans den jedesmaligen geistigen Zuständen des Dichters entwickelten— Als
eine hohe Bereicherung für die Wissenschaft der Kunst sind Hebbels Gedanken
über die Poesie und das poetische Vermögen zu betrachten. Sie sind, wie eben
die Tagebücher beweisen, keine neuen Formeln nach ältern Systemen der Kunst-
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