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Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Erstes Quartal.

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Die Kommilitonen.

ihn um; den sonst schwer zu überzeugenden, immer sichergehenden Schulvorsteher
erfüllte sie mit einer Zuversicht, welche auch durch die zurückhaltende Bemerkung
der Dame, sie müsse erst das Instrument besichtigen, nicht beeinträchtigt wurde.
Und selbst, als sich bei der Besichtigung der Orgel ergab, daß in der That
Eigentümlichkeiten der Register aufzuklären wären, war der Gymnasialdirektor
der erste, welcher das Hemmnis zu beseitigen übernahm. Es sollte dies
einfach durch den herbeizuholenden "Jnhaftaten" geschehen, den orgelknndigen
sekundärer. Der junge Mensch war nachmittags bei Aufhebung eines Zech¬
gelages von dem Pedell unterm Tische hervorgeholt, festgenommen und ins
Kärzer gesteckt worden. Aber es war anzunehmen, daß er seinen Rausch jetzt
einigermaßen verschlafen haben und so weit zur Vernunft gekommen sein werde,
um die nötigen kunst- oder handwerksmäßigen Griffe zu offenbaren.

Er wird alles wieder gutmachen! frohlockte Barbara und ließ sich auch
von der strengen Miene des Schuldirektors nicht zurückschrecken Und dann
möchte ihm vielleicht zuletzt doch uoch zum heutigen Feste ein Gnadcncckt zu teil
werden! fügte sie mit weicher, einschmeichelnder Stimme hinzu. -- Ein phan¬
tastischer Oberlehrer fand, daß sie von der Unwiderstehlichkeit jener Bittenden
ans der Heiligenlegende sei, die Unmenschen zu Christen gemacht haben sollen.

Wirklich bewegte Barbara den harten Römer. Es solle der Straferlaß
erfolgen, dekretirte der Direktor, wenn das Fräulein dnrch die Explikation
des Sünders zur endgiltigen Übernahme des Begleitspiels ausgerüstet worden
sein würde.

Hierauf spielte sich eine für Kleinmalerei geeignete allerliebste Zwischen-
szenc ab. Der aus dein Kärzer hervorgeholte Baechantc war ein schmächtiger
sechzehnjähriger, ein Trotzkopf mit krausem Langhaar und großen Augen, in deuen
der Dämon noch sein Wesen trieb. Der Direktor maß ihn mit Strenge und
gab ihm dann seine Weisung, worauf er sich zu einem andern Geschäfte in den:
immer mehr sich füllenden Saale wandte; er setzte voraus, sein Gebot könne
hier auf keinen Widerstand stoßen.

Allein dem Missethäter hatten in der Thür die Gefährten eindringlich zu¬
geraunt: Laß dich nicht --

Barbara verlangte freundlich Aufklärung über die Register.

Er hatte darauf nur ein kurzes verbissenes Nein.

Sie bat: O nicht doch, Sie sollen auch freikomme!?.

Er trotzte aber lauter und sagte: Ich will nicht.

Als Barbara darauf sich hilfesuchend umsah, war der "blasse Heinrich"
zur Hand, der mit sichtlicher Teilnahme den Vorgang beobachtet hatte.

Kennen Sie mich, Freund? fragte er deu Schüler.

Dieser nickte.

Glauben Sie, ich meine es böse mit Ihnen?

Der Angeredete schüttelte den Kops.


Die Kommilitonen.

ihn um; den sonst schwer zu überzeugenden, immer sichergehenden Schulvorsteher
erfüllte sie mit einer Zuversicht, welche auch durch die zurückhaltende Bemerkung
der Dame, sie müsse erst das Instrument besichtigen, nicht beeinträchtigt wurde.
Und selbst, als sich bei der Besichtigung der Orgel ergab, daß in der That
Eigentümlichkeiten der Register aufzuklären wären, war der Gymnasialdirektor
der erste, welcher das Hemmnis zu beseitigen übernahm. Es sollte dies
einfach durch den herbeizuholenden „Jnhaftaten" geschehen, den orgelknndigen
sekundärer. Der junge Mensch war nachmittags bei Aufhebung eines Zech¬
gelages von dem Pedell unterm Tische hervorgeholt, festgenommen und ins
Kärzer gesteckt worden. Aber es war anzunehmen, daß er seinen Rausch jetzt
einigermaßen verschlafen haben und so weit zur Vernunft gekommen sein werde,
um die nötigen kunst- oder handwerksmäßigen Griffe zu offenbaren.

Er wird alles wieder gutmachen! frohlockte Barbara und ließ sich auch
von der strengen Miene des Schuldirektors nicht zurückschrecken Und dann
möchte ihm vielleicht zuletzt doch uoch zum heutigen Feste ein Gnadcncckt zu teil
werden! fügte sie mit weicher, einschmeichelnder Stimme hinzu. — Ein phan¬
tastischer Oberlehrer fand, daß sie von der Unwiderstehlichkeit jener Bittenden
ans der Heiligenlegende sei, die Unmenschen zu Christen gemacht haben sollen.

Wirklich bewegte Barbara den harten Römer. Es solle der Straferlaß
erfolgen, dekretirte der Direktor, wenn das Fräulein dnrch die Explikation
des Sünders zur endgiltigen Übernahme des Begleitspiels ausgerüstet worden
sein würde.

Hierauf spielte sich eine für Kleinmalerei geeignete allerliebste Zwischen-
szenc ab. Der aus dein Kärzer hervorgeholte Baechantc war ein schmächtiger
sechzehnjähriger, ein Trotzkopf mit krausem Langhaar und großen Augen, in deuen
der Dämon noch sein Wesen trieb. Der Direktor maß ihn mit Strenge und
gab ihm dann seine Weisung, worauf er sich zu einem andern Geschäfte in den:
immer mehr sich füllenden Saale wandte; er setzte voraus, sein Gebot könne
hier auf keinen Widerstand stoßen.

Allein dem Missethäter hatten in der Thür die Gefährten eindringlich zu¬
geraunt: Laß dich nicht —

Barbara verlangte freundlich Aufklärung über die Register.

Er hatte darauf nur ein kurzes verbissenes Nein.

Sie bat: O nicht doch, Sie sollen auch freikomme!?.

Er trotzte aber lauter und sagte: Ich will nicht.

Als Barbara darauf sich hilfesuchend umsah, war der „blasse Heinrich"
zur Hand, der mit sichtlicher Teilnahme den Vorgang beobachtet hatte.

Kennen Sie mich, Freund? fragte er deu Schüler.

Dieser nickte.

Glauben Sie, ich meine es böse mit Ihnen?

Der Angeredete schüttelte den Kops.


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[0375] Die Kommilitonen. ihn um; den sonst schwer zu überzeugenden, immer sichergehenden Schulvorsteher erfüllte sie mit einer Zuversicht, welche auch durch die zurückhaltende Bemerkung der Dame, sie müsse erst das Instrument besichtigen, nicht beeinträchtigt wurde. Und selbst, als sich bei der Besichtigung der Orgel ergab, daß in der That Eigentümlichkeiten der Register aufzuklären wären, war der Gymnasialdirektor der erste, welcher das Hemmnis zu beseitigen übernahm. Es sollte dies einfach durch den herbeizuholenden „Jnhaftaten" geschehen, den orgelknndigen sekundärer. Der junge Mensch war nachmittags bei Aufhebung eines Zech¬ gelages von dem Pedell unterm Tische hervorgeholt, festgenommen und ins Kärzer gesteckt worden. Aber es war anzunehmen, daß er seinen Rausch jetzt einigermaßen verschlafen haben und so weit zur Vernunft gekommen sein werde, um die nötigen kunst- oder handwerksmäßigen Griffe zu offenbaren. Er wird alles wieder gutmachen! frohlockte Barbara und ließ sich auch von der strengen Miene des Schuldirektors nicht zurückschrecken Und dann möchte ihm vielleicht zuletzt doch uoch zum heutigen Feste ein Gnadcncckt zu teil werden! fügte sie mit weicher, einschmeichelnder Stimme hinzu. — Ein phan¬ tastischer Oberlehrer fand, daß sie von der Unwiderstehlichkeit jener Bittenden ans der Heiligenlegende sei, die Unmenschen zu Christen gemacht haben sollen. Wirklich bewegte Barbara den harten Römer. Es solle der Straferlaß erfolgen, dekretirte der Direktor, wenn das Fräulein dnrch die Explikation des Sünders zur endgiltigen Übernahme des Begleitspiels ausgerüstet worden sein würde. Hierauf spielte sich eine für Kleinmalerei geeignete allerliebste Zwischen- szenc ab. Der aus dein Kärzer hervorgeholte Baechantc war ein schmächtiger sechzehnjähriger, ein Trotzkopf mit krausem Langhaar und großen Augen, in deuen der Dämon noch sein Wesen trieb. Der Direktor maß ihn mit Strenge und gab ihm dann seine Weisung, worauf er sich zu einem andern Geschäfte in den: immer mehr sich füllenden Saale wandte; er setzte voraus, sein Gebot könne hier auf keinen Widerstand stoßen. Allein dem Missethäter hatten in der Thür die Gefährten eindringlich zu¬ geraunt: Laß dich nicht — Barbara verlangte freundlich Aufklärung über die Register. Er hatte darauf nur ein kurzes verbissenes Nein. Sie bat: O nicht doch, Sie sollen auch freikomme!?. Er trotzte aber lauter und sagte: Ich will nicht. Als Barbara darauf sich hilfesuchend umsah, war der „blasse Heinrich" zur Hand, der mit sichtlicher Teilnahme den Vorgang beobachtet hatte. Kennen Sie mich, Freund? fragte er deu Schüler. Dieser nickte. Glauben Sie, ich meine es böse mit Ihnen? Der Angeredete schüttelte den Kops.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341841_194675/375>, abgerufen am 22.07.2024.