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Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Erstes Quartal.

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Die Stellung der Polizei im Strafverfahren.

und Landgemeinden nicht der Fall ist, in welchen man deshalb nicht auf eine
ordnungsmäßige Leitung der Polizeivcrwaltung rechnen kann, da entziehe man
diesen lieber die Polizeiverwaltung und lege diese in die Hand der Landräte oder
juristisch vorgebildeter Amtmänner, als daß man unter dieser mangelhaften
Einrichtung die ganze Polizei leiden läßt. Hat der Polizeivorstand die genügende
sachliche Ausbildung, so wird ihm und dem von ihm geleiteten Personal so leicht
keine Neigung zu Gewaltthätigkeiten oder Überschreitung der Amtsbefugnis
kommen: die abwechselnd möglichen Beschwerden an die Oberbehördc, Verwal¬
tungsklagen und Provokationen auf gerichtliche Entscheidung, die drohenden Be¬
stimmungen der Paragraphen 339 bis 349 und 357 bis 359 des Strafgesetz¬
buches, ja endlich die große Vorliebe der Presse und des Lesepublikums für
"wieder einmal" vorgekommene Übergriffe der Polizeibehörden, die sich dann
regelmäßig bei näherer Betrachtung ganz anders darstellen, wirken wahrlich
genügend dämpfend auf den Diensteifer. Mißgriffe einzelner Polizeibeamten
werden immer vorkommen; darunter aber darf man wiederum nicht das ganze
Institut leiden lassen, ebensowenig wie man unsre Post- und Kasseubeamten im
allgemeinen für die Veruntreuungen einzelner ihrer Kollegen oder die Richter
und Staatsanwälte dafür verantwortlich machen will, daß bisweilen ungerecht¬
fertigte Verhaftungen oder Gefangenhaltungen einzelner Personen vorkommen,
oder daß aus den Gefängnissen von Zeit zu Zeit Klagen über die zu milde
oder zu stramme Thätigkeit der Gefangenaufseher erschallen.

Aber es entsteht endlich die Frage, ob denn das Ermittlungsverfahren
außer in betreff der Feststellung der ersten Spuren, welche, wie bemerkt, naturgemäß
der Polizei verbleiben muß, nicht überhaupt einer andern Behörde übertragen
werden kann. Damit knüpfen wir um die obengemachte Bemerkung an, daß
man das Ermittlungsverfahren den Gerichten übertragen könne. Das System
hatte in Hannover und Kurhessen schon lange Geltung gehabt, war durch die
dortigen Strafprozeßordnungen von 1859 und 1863 aufrecht erhalten worden,
wurde aber durch die Strafprozeßordnung für die neuen preußischen Landes¬
teile vom 25. Mai 1867 beseitigt. Es einzuführen, wurde in der Reichstags-
kommission beantragt, der Antrag wurde aber abgelehnt.^) Dies ist das einzig
richtige und zweckmäßige System, nach welchem also der Staatsanwalt die an
ihn abgegebenen vorläufigen Ermittlungen der Polizeibehörden zur Vornahme der
weiter erforderlich befundenen Ermittlungen an die Gerichte abgiebt. Die
Aufklärung von Rechtsverhältnissen, namentlich, wenn daraufhin Richtersprüche
ergehen sollen, ist in Wahrheit ein Zweig der richterlichen Thätigkeit und hat
mit der Thätigkeit der Sicherheitspolizei garnichts gemein, da diese Thätigkeit
mit der Vereitlung oder Entdeckung der Gesetzesübertretung, sowie der ersten
Sicherung der Spuren und AnHaltung des Thäters vollendet ist. Für die



Schwarze a. a. O. S. 301, Anmerkung 3".
Die Stellung der Polizei im Strafverfahren.

und Landgemeinden nicht der Fall ist, in welchen man deshalb nicht auf eine
ordnungsmäßige Leitung der Polizeivcrwaltung rechnen kann, da entziehe man
diesen lieber die Polizeiverwaltung und lege diese in die Hand der Landräte oder
juristisch vorgebildeter Amtmänner, als daß man unter dieser mangelhaften
Einrichtung die ganze Polizei leiden läßt. Hat der Polizeivorstand die genügende
sachliche Ausbildung, so wird ihm und dem von ihm geleiteten Personal so leicht
keine Neigung zu Gewaltthätigkeiten oder Überschreitung der Amtsbefugnis
kommen: die abwechselnd möglichen Beschwerden an die Oberbehördc, Verwal¬
tungsklagen und Provokationen auf gerichtliche Entscheidung, die drohenden Be¬
stimmungen der Paragraphen 339 bis 349 und 357 bis 359 des Strafgesetz¬
buches, ja endlich die große Vorliebe der Presse und des Lesepublikums für
„wieder einmal" vorgekommene Übergriffe der Polizeibehörden, die sich dann
regelmäßig bei näherer Betrachtung ganz anders darstellen, wirken wahrlich
genügend dämpfend auf den Diensteifer. Mißgriffe einzelner Polizeibeamten
werden immer vorkommen; darunter aber darf man wiederum nicht das ganze
Institut leiden lassen, ebensowenig wie man unsre Post- und Kasseubeamten im
allgemeinen für die Veruntreuungen einzelner ihrer Kollegen oder die Richter
und Staatsanwälte dafür verantwortlich machen will, daß bisweilen ungerecht¬
fertigte Verhaftungen oder Gefangenhaltungen einzelner Personen vorkommen,
oder daß aus den Gefängnissen von Zeit zu Zeit Klagen über die zu milde
oder zu stramme Thätigkeit der Gefangenaufseher erschallen.

Aber es entsteht endlich die Frage, ob denn das Ermittlungsverfahren
außer in betreff der Feststellung der ersten Spuren, welche, wie bemerkt, naturgemäß
der Polizei verbleiben muß, nicht überhaupt einer andern Behörde übertragen
werden kann. Damit knüpfen wir um die obengemachte Bemerkung an, daß
man das Ermittlungsverfahren den Gerichten übertragen könne. Das System
hatte in Hannover und Kurhessen schon lange Geltung gehabt, war durch die
dortigen Strafprozeßordnungen von 1859 und 1863 aufrecht erhalten worden,
wurde aber durch die Strafprozeßordnung für die neuen preußischen Landes¬
teile vom 25. Mai 1867 beseitigt. Es einzuführen, wurde in der Reichstags-
kommission beantragt, der Antrag wurde aber abgelehnt.^) Dies ist das einzig
richtige und zweckmäßige System, nach welchem also der Staatsanwalt die an
ihn abgegebenen vorläufigen Ermittlungen der Polizeibehörden zur Vornahme der
weiter erforderlich befundenen Ermittlungen an die Gerichte abgiebt. Die
Aufklärung von Rechtsverhältnissen, namentlich, wenn daraufhin Richtersprüche
ergehen sollen, ist in Wahrheit ein Zweig der richterlichen Thätigkeit und hat
mit der Thätigkeit der Sicherheitspolizei garnichts gemein, da diese Thätigkeit
mit der Vereitlung oder Entdeckung der Gesetzesübertretung, sowie der ersten
Sicherung der Spuren und AnHaltung des Thäters vollendet ist. Für die



Schwarze a. a. O. S. 301, Anmerkung 3».
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341841_194675/344>, abgerufen am 23.07.2024.