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Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Erstes Quartal.

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Die niederländische Genre- und Landschaftsmalerei.

lich, Ideen durch rein realistische Mittel zu versinnlichen. Seine allegorischen
Gemälde bedurften kaum erläuternder Unterschriften. Wer ein Helles Auge
nud einen klaren Verstand besaß, fand sich ohne Kommentar auf seinen Ge¬
mälden zurecht, obwohl Brueghel jedes Fleckchen ausnutzte, um mit seinem
Pinsel eine seltene Blume, eine Frucht, eine Muschel, ein Tier oder ein Produkt
menschlichen Fleißes anzubringen. Das älteste dieser Bilder, welches eine
Jahreszahl trägt, ist von 1604 datirt und befindet sich, wie wir bereits am
Schlüsse des vierten dieser Aufsätze erwähnt haben, im Wiener Belvedere. Der
Katalog bezeichnet die Darstellung im allgemeinen richtig als "Die Gaben der
Erde und des Wassers." Man kann aber an der Hand der kostbaren
Brueghelschen Korrespondenz mit dem Erzbischofe Federigo Borromeo in Mailand
die Hauptfigur noch näher präzisireu. Das junge blonde Weib mit dem Kranze
von Kornblumen und Ähren im Haar, welches in der Mitte des Bildes sitzt
und ein Füllhorn mit Früchten in den Händen hält, ist die Göttin Ceres. Das
erfahren wir aus einem Briefe, welchen Brueghel am 8. Juli 1605 an den
Erzbischof schrieb und in welchem er ihm ein Bild anbietet, das er mit folgenden
Worten schildert: "Die Geschichte stellt die Göttin Ceres dar mit dem mit
Früchten angefülltem Horne des Überflusses in den Armen, begleitet von vier
kleinen Genien, welche die vier Elemente bedeuten: die Erde mit Früchten,
Blumen und Tieren, das Wasser mit vielen seltenen Muscheln, mannichfaltigen
Fischen nud andern Seltsamkeiten, die Luft mit vielen Arten von Vögeln: und
alles sorgsam vollendet." Das vierte Element, das Feuer, beschreibt Brueghel
nicht, und merkwürdigerweise fehlen auch auf dem Wiener Bilde Figuren oder
Symbole, welche auf das Feuer bezogen werden könnten, obwohl die drei andern
Elemente deutlich personifizirt sind. Zur Linken der Ceres liegt nämlich eine
zweite, von einem Knaben begleitete Frau auf dem Boden, welche der Göttin
eine Traube reicht und nur die Personifikation der fruchttragenden Erde sein
kann. Zur Rechten der Ceres steht eine dritte Fran, welche mit beiden Händen
eine Muschel emporhebt. Ein gleiches thut ein auf der Erde ruhender Knabe.
Das Wasser ist also durch Muscheln charalterisirt. Oben in der Luft schwebt
ein Liebespaar, von zwei Genien, einem Adler und mehreren andern Vögeln
umgeben.") Man darf vielleicht aus diesem Thatbestande schließen, daß es dem
Künstler noch nicht gelingen wollte, alle vier Elemente in einer Komposition zu
vereinigen. Das Verfahren, welches er einschlug, war im allgemeinen folgendes:
er komponirte, natürlich auf Grund realistischer Naturstudien, eine Phantasie-
landschaft. In den Vordergrund derselben plaeirte er diejenigen mythologischen
und allegorischen Figuren, welche den Gedanken zu versinnlichen hatten, also



Wenn der neue Katalog der Belvedercgalerie auf Grund eines Inventars von^1731
sagt, die Figuren seien von Rotteuhcmnner gemalt, so ist das ein Irrtum. Nvttcnhammer
war bis 1605 in Venedig thätig. Die Figuren sind ebenso wie die des Mailänder Bildes
von Hendrik van Bäder nnsgcfnhrt.
Die niederländische Genre- und Landschaftsmalerei.

lich, Ideen durch rein realistische Mittel zu versinnlichen. Seine allegorischen
Gemälde bedurften kaum erläuternder Unterschriften. Wer ein Helles Auge
nud einen klaren Verstand besaß, fand sich ohne Kommentar auf seinen Ge¬
mälden zurecht, obwohl Brueghel jedes Fleckchen ausnutzte, um mit seinem
Pinsel eine seltene Blume, eine Frucht, eine Muschel, ein Tier oder ein Produkt
menschlichen Fleißes anzubringen. Das älteste dieser Bilder, welches eine
Jahreszahl trägt, ist von 1604 datirt und befindet sich, wie wir bereits am
Schlüsse des vierten dieser Aufsätze erwähnt haben, im Wiener Belvedere. Der
Katalog bezeichnet die Darstellung im allgemeinen richtig als „Die Gaben der
Erde und des Wassers." Man kann aber an der Hand der kostbaren
Brueghelschen Korrespondenz mit dem Erzbischofe Federigo Borromeo in Mailand
die Hauptfigur noch näher präzisireu. Das junge blonde Weib mit dem Kranze
von Kornblumen und Ähren im Haar, welches in der Mitte des Bildes sitzt
und ein Füllhorn mit Früchten in den Händen hält, ist die Göttin Ceres. Das
erfahren wir aus einem Briefe, welchen Brueghel am 8. Juli 1605 an den
Erzbischof schrieb und in welchem er ihm ein Bild anbietet, das er mit folgenden
Worten schildert: „Die Geschichte stellt die Göttin Ceres dar mit dem mit
Früchten angefülltem Horne des Überflusses in den Armen, begleitet von vier
kleinen Genien, welche die vier Elemente bedeuten: die Erde mit Früchten,
Blumen und Tieren, das Wasser mit vielen seltenen Muscheln, mannichfaltigen
Fischen nud andern Seltsamkeiten, die Luft mit vielen Arten von Vögeln: und
alles sorgsam vollendet." Das vierte Element, das Feuer, beschreibt Brueghel
nicht, und merkwürdigerweise fehlen auch auf dem Wiener Bilde Figuren oder
Symbole, welche auf das Feuer bezogen werden könnten, obwohl die drei andern
Elemente deutlich personifizirt sind. Zur Linken der Ceres liegt nämlich eine
zweite, von einem Knaben begleitete Frau auf dem Boden, welche der Göttin
eine Traube reicht und nur die Personifikation der fruchttragenden Erde sein
kann. Zur Rechten der Ceres steht eine dritte Fran, welche mit beiden Händen
eine Muschel emporhebt. Ein gleiches thut ein auf der Erde ruhender Knabe.
Das Wasser ist also durch Muscheln charalterisirt. Oben in der Luft schwebt
ein Liebespaar, von zwei Genien, einem Adler und mehreren andern Vögeln
umgeben.") Man darf vielleicht aus diesem Thatbestande schließen, daß es dem
Künstler noch nicht gelingen wollte, alle vier Elemente in einer Komposition zu
vereinigen. Das Verfahren, welches er einschlug, war im allgemeinen folgendes:
er komponirte, natürlich auf Grund realistischer Naturstudien, eine Phantasie-
landschaft. In den Vordergrund derselben plaeirte er diejenigen mythologischen
und allegorischen Figuren, welche den Gedanken zu versinnlichen hatten, also



Wenn der neue Katalog der Belvedercgalerie auf Grund eines Inventars von^1731
sagt, die Figuren seien von Rotteuhcmnner gemalt, so ist das ein Irrtum. Nvttcnhammer
war bis 1605 in Venedig thätig. Die Figuren sind ebenso wie die des Mailänder Bildes
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341841_194675/310>, abgerufen am 26.06.2024.