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Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Erstes Quartal.

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England und Rußland in Asien.

birgig ist und nur von einigen engen und sehr schwierigen Pässen durchschnitten
wird, da es ferner von einem Volke bewohnt ist, welches eifersüchtig auf seine
Freiheit und Unabhängigkeit und stets bereit ist, für dieselbe zu kämpfen, so
scheint es Aar am Tage zu liegen, daß wir den Versuch zu machen haben,
dieses Volk uns zu Bundesgenossen zu gewinnen und sein Land zu einem
Außenwerk für die Verteidiger Indiens zu gestalten. Diese Zwecke würden so¬
fort vereitelt werden, wenn wir darauf ausgingen, uns des Gebietes oder der
Städte Afghanistans zu bemächtigen und sie als Eigentum zu behalte", um
den Russen auf der andern Seite die Spietze bieten zu können. Wir würden
durch ein derartiges Verfahren die Afghanen abermals uns zu Feinden machen,
wie schon zweimal, und wir würden Rußland am äußersten Ende einer sehr
langen, schwierigen und gefahrvollen Operation die Spitze zu bieten haben. Aber
diese Verhältnisse nehmen eine völlig andre Gestalt an, wenn wir uns die Af¬
ghanen zu Freunden machen, indem wir ihnen Sicherheit vor der Unterjochung
durch Rußland verbürgen. In diesem Falle würden sie an unsrer Seite statt
gegen uns kämpfen, alle Schwierigkeiten des Vordringens würden sich gegen
die Russen kehren und alle Vorteile, die das Land dem Militär darbietet, von
vornherein uns gesichert sein. Es ist wahr, der eigentliche Kampf würde immer
noch in sehr großer Entfernung von unsrer eigentlichen Basis stattfinden müssen.
Aber es ist von Wichtigkeit, daß es garnicht zum Kampf kommen würde, wenn
die Russen Klarheit darüber erhielten, daß ihrem Vorrücken eine Macht entgegen
treten würde, welche, von den Afghanen auf deren eignem Grund und Boden
unterstützt, ihnen unzweifelhaft I^I, eine Niederlage beibringen würde.

Es muß folglich unser klares und entschiedenes Ziel sein, für eine Streit¬
macht zu sorgen, die Nußland überzeugt, daß dies der sichere Ausgang eines
von ihm genagten Angriffes sein würde. Ohne in strategische Erörterungen .
einzugehen, betrachte ich es als auf der Hand liegend, daß eine solche Streit¬
macht nicht numerisch geringer sein darf als die der Russen, lind da, wie ge¬
sagt, die gegenwärtige Stärke der letztern 80 000 Mann beträgt, so sollten wir
wenigstens in gleicher Nähe der afghanischen Grenze 50000 Mann stehen haben. Wo
nicht 50 000 Mann britische Truppen, doch wenigstens so viele neben den ein¬
heimischen, daß sie mit diesen 90 000 Russen gleichkämen. Vermutlich giebt es
dermalen keinen General, der 30 000 britische Soldaten mit mindestens ebensv-
bielen indischen zur Verteidigung genügend finden würde. Denn die russischen
Regularen müssen als den indischen überlegen betrachtet werden----Man muß
jedoch bemerken, daß die hier aufgestellte Schätzung und Forderung keinen An¬
spruch darauf macht, gegenüber den größern Streitkräften zu genügen, die Rußland
später hierher dirigiren kann. Wenn dazu die Zeit kommt, so müssen wir ihm
i" der Stärke begegnen, welche die Umstände erfordern werden" -- falls wir
das können mit einer Armeeverfassung wie die jetzige englische, vergißt der
Verfasser hinzuzusetzen, oder nimmt er etwa stillschweigend eine tiefgreifende


Grenzboten I. 1886. 36
England und Rußland in Asien.

birgig ist und nur von einigen engen und sehr schwierigen Pässen durchschnitten
wird, da es ferner von einem Volke bewohnt ist, welches eifersüchtig auf seine
Freiheit und Unabhängigkeit und stets bereit ist, für dieselbe zu kämpfen, so
scheint es Aar am Tage zu liegen, daß wir den Versuch zu machen haben,
dieses Volk uns zu Bundesgenossen zu gewinnen und sein Land zu einem
Außenwerk für die Verteidiger Indiens zu gestalten. Diese Zwecke würden so¬
fort vereitelt werden, wenn wir darauf ausgingen, uns des Gebietes oder der
Städte Afghanistans zu bemächtigen und sie als Eigentum zu behalte», um
den Russen auf der andern Seite die Spietze bieten zu können. Wir würden
durch ein derartiges Verfahren die Afghanen abermals uns zu Feinden machen,
wie schon zweimal, und wir würden Rußland am äußersten Ende einer sehr
langen, schwierigen und gefahrvollen Operation die Spitze zu bieten haben. Aber
diese Verhältnisse nehmen eine völlig andre Gestalt an, wenn wir uns die Af¬
ghanen zu Freunden machen, indem wir ihnen Sicherheit vor der Unterjochung
durch Rußland verbürgen. In diesem Falle würden sie an unsrer Seite statt
gegen uns kämpfen, alle Schwierigkeiten des Vordringens würden sich gegen
die Russen kehren und alle Vorteile, die das Land dem Militär darbietet, von
vornherein uns gesichert sein. Es ist wahr, der eigentliche Kampf würde immer
noch in sehr großer Entfernung von unsrer eigentlichen Basis stattfinden müssen.
Aber es ist von Wichtigkeit, daß es garnicht zum Kampf kommen würde, wenn
die Russen Klarheit darüber erhielten, daß ihrem Vorrücken eine Macht entgegen
treten würde, welche, von den Afghanen auf deren eignem Grund und Boden
unterstützt, ihnen unzweifelhaft I^I, eine Niederlage beibringen würde.

Es muß folglich unser klares und entschiedenes Ziel sein, für eine Streit¬
macht zu sorgen, die Nußland überzeugt, daß dies der sichere Ausgang eines
von ihm genagten Angriffes sein würde. Ohne in strategische Erörterungen .
einzugehen, betrachte ich es als auf der Hand liegend, daß eine solche Streit¬
macht nicht numerisch geringer sein darf als die der Russen, lind da, wie ge¬
sagt, die gegenwärtige Stärke der letztern 80 000 Mann beträgt, so sollten wir
wenigstens in gleicher Nähe der afghanischen Grenze 50000 Mann stehen haben. Wo
nicht 50 000 Mann britische Truppen, doch wenigstens so viele neben den ein¬
heimischen, daß sie mit diesen 90 000 Russen gleichkämen. Vermutlich giebt es
dermalen keinen General, der 30 000 britische Soldaten mit mindestens ebensv-
bielen indischen zur Verteidigung genügend finden würde. Denn die russischen
Regularen müssen als den indischen überlegen betrachtet werden----Man muß
jedoch bemerken, daß die hier aufgestellte Schätzung und Forderung keinen An¬
spruch darauf macht, gegenüber den größern Streitkräften zu genügen, die Rußland
später hierher dirigiren kann. Wenn dazu die Zeit kommt, so müssen wir ihm
i« der Stärke begegnen, welche die Umstände erfordern werden" — falls wir
das können mit einer Armeeverfassung wie die jetzige englische, vergißt der
Verfasser hinzuzusetzen, oder nimmt er etwa stillschweigend eine tiefgreifende


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[0293] England und Rußland in Asien. birgig ist und nur von einigen engen und sehr schwierigen Pässen durchschnitten wird, da es ferner von einem Volke bewohnt ist, welches eifersüchtig auf seine Freiheit und Unabhängigkeit und stets bereit ist, für dieselbe zu kämpfen, so scheint es Aar am Tage zu liegen, daß wir den Versuch zu machen haben, dieses Volk uns zu Bundesgenossen zu gewinnen und sein Land zu einem Außenwerk für die Verteidiger Indiens zu gestalten. Diese Zwecke würden so¬ fort vereitelt werden, wenn wir darauf ausgingen, uns des Gebietes oder der Städte Afghanistans zu bemächtigen und sie als Eigentum zu behalte», um den Russen auf der andern Seite die Spietze bieten zu können. Wir würden durch ein derartiges Verfahren die Afghanen abermals uns zu Feinden machen, wie schon zweimal, und wir würden Rußland am äußersten Ende einer sehr langen, schwierigen und gefahrvollen Operation die Spitze zu bieten haben. Aber diese Verhältnisse nehmen eine völlig andre Gestalt an, wenn wir uns die Af¬ ghanen zu Freunden machen, indem wir ihnen Sicherheit vor der Unterjochung durch Rußland verbürgen. In diesem Falle würden sie an unsrer Seite statt gegen uns kämpfen, alle Schwierigkeiten des Vordringens würden sich gegen die Russen kehren und alle Vorteile, die das Land dem Militär darbietet, von vornherein uns gesichert sein. Es ist wahr, der eigentliche Kampf würde immer noch in sehr großer Entfernung von unsrer eigentlichen Basis stattfinden müssen. Aber es ist von Wichtigkeit, daß es garnicht zum Kampf kommen würde, wenn die Russen Klarheit darüber erhielten, daß ihrem Vorrücken eine Macht entgegen treten würde, welche, von den Afghanen auf deren eignem Grund und Boden unterstützt, ihnen unzweifelhaft I^I, eine Niederlage beibringen würde. Es muß folglich unser klares und entschiedenes Ziel sein, für eine Streit¬ macht zu sorgen, die Nußland überzeugt, daß dies der sichere Ausgang eines von ihm genagten Angriffes sein würde. Ohne in strategische Erörterungen . einzugehen, betrachte ich es als auf der Hand liegend, daß eine solche Streit¬ macht nicht numerisch geringer sein darf als die der Russen, lind da, wie ge¬ sagt, die gegenwärtige Stärke der letztern 80 000 Mann beträgt, so sollten wir wenigstens in gleicher Nähe der afghanischen Grenze 50000 Mann stehen haben. Wo nicht 50 000 Mann britische Truppen, doch wenigstens so viele neben den ein¬ heimischen, daß sie mit diesen 90 000 Russen gleichkämen. Vermutlich giebt es dermalen keinen General, der 30 000 britische Soldaten mit mindestens ebensv- bielen indischen zur Verteidigung genügend finden würde. Denn die russischen Regularen müssen als den indischen überlegen betrachtet werden----Man muß jedoch bemerken, daß die hier aufgestellte Schätzung und Forderung keinen An¬ spruch darauf macht, gegenüber den größern Streitkräften zu genügen, die Rußland später hierher dirigiren kann. Wenn dazu die Zeit kommt, so müssen wir ihm i« der Stärke begegnen, welche die Umstände erfordern werden" — falls wir das können mit einer Armeeverfassung wie die jetzige englische, vergißt der Verfasser hinzuzusetzen, oder nimmt er etwa stillschweigend eine tiefgreifende Grenzboten I. 1886. 36

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341841_194675/293>, abgerufen am 22.07.2024.