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Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Erstes Quartal.

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England und Rußland in Asten.

gegenwärtig einnimmt, erscheint Ssobvlcff als sichere Bcisis für ein derartiges
Unternehmen, "Hütten wir, so behauptet er weiter, in Mittelasien schon 1853
auch nur die Stellung eingenommen, die wir 1874 inne hatten, so würden wir
keinen Krimkrieg erlebt haben oder wenigstens keinen solchen wie damals, sondern
einen Krieg mit Österreich statt einen mit Frankreich. Wir wissen, daß Lord
Beaconsfield 1876, vor dem letzten russisch-türkischen Feldzuge, eine Koalition
zwischen England, Indien, Afghanistan und Persien anstrebte, die ihre Spitze
gegen Rußland kehren sollte. Eines der Hauptziele dieser Allianz bildete die
Errichtung eines großen russenfeindlichen Reiches in Turkestan. Ein Kriegs-
Plau war bis in die Einzelheiten entworfen. England wollte 30 000 britische
Soldaten an das Schwarze Meer, 15000 nebst 45000 indischen Sipoys nach
Bagdad senden, und 100 000 türkische Irreguläre, sowie 95 000 Kurden sollten
unter englischen Offizieren in Russisch-Armenien einbrechen. Indes wurde dies
alles dadurch vereitelt, daß der Emir der Afghanen seinen Beitritt zur Allianz
verweigerte und sich auf Rußlands Seite stellte."

Dieser Artikel machte sowohl in England als in Frankreich viel Aufsehen,
da man wußte, daß die Presse in Rußland nur mit höherer Erlaubnis über
solche und ähnliche Dinge spricht, und da man zu wissen meinte, die Ssoboleff-
schen Gedanken seien sogar inspirirt. Wir glauben nicht an diese Vermutung,
obwohl Ssoboleff eine hcillvffizielle Stellung einnehmen soll, obwohl er die
russische Politik am Hose von Bulgarien eine Zeit lang vertrat, und obwohl
Alsakoff, der Herausgeber des "Nussj" zu den Männern gezählt wird, die sich
beim Kaiser Alexander besonder-: Vertrauens erfreuen. Doch wollen wir einiges
von den Äußerungen mitteilen, welche die MxrchÜMö Nranyiüss infolge
dieses Aufsatzes hinsichtlich der englischen Politik der letzten Jahre thut. Das
Blatt verurteilt die freundschaftliche Haltung Gladstones den Russen gegen¬
über und zeiht den britischen Premier grober Unvorsichtigkeit, weil er Afgha¬
nistan geräumt und Kandcchar aufgegeben habe. Es heißt da: "Im Austausche
für solche bedeutende Zugeständnisse meinte Herr Gladstone auf die Versiche¬
rungen der Frau von Novikoff, dieser panslavistischen Egeria hin, die in der
Bildung der Meinung über Rußland bei den englischen Liberalen eine so her¬
vorragende Rolle gespielt hat, auf eine gleich versöhnliche und friedfertige Hal¬
tung seitens des Kabinets von Se. Petersburg rechnen zu dürfen. Es ist aller¬
dings gestattet, zu glauben, daß Herr von Giers, dessen Politik auf die Erhaltung
und Befestigung des Friedens zwischen den Westmcichtcn gegründet ist, seiner¬
seits sich ehrenhalber verpflichtet gefühlt habe, die Annäherungen des britischen
Kabinets in demselben Geiste zu erwiedern, in welchem sie gemacht worden
>parer, und an die Stelle der eifersüchtigen Wachsamkeit, welche zwischen Ru߬
land und England in Mittelasien herrscht, ein gegenseitiges Einvernehmen treten
ö" lassen, das im Einklange mit den wahren Interessen beider Länder stehen
würde. Allein es giebt zu gleicher Zeit etwas, was stärker ist als der ent-


England und Rußland in Asten.

gegenwärtig einnimmt, erscheint Ssobvlcff als sichere Bcisis für ein derartiges
Unternehmen, „Hütten wir, so behauptet er weiter, in Mittelasien schon 1853
auch nur die Stellung eingenommen, die wir 1874 inne hatten, so würden wir
keinen Krimkrieg erlebt haben oder wenigstens keinen solchen wie damals, sondern
einen Krieg mit Österreich statt einen mit Frankreich. Wir wissen, daß Lord
Beaconsfield 1876, vor dem letzten russisch-türkischen Feldzuge, eine Koalition
zwischen England, Indien, Afghanistan und Persien anstrebte, die ihre Spitze
gegen Rußland kehren sollte. Eines der Hauptziele dieser Allianz bildete die
Errichtung eines großen russenfeindlichen Reiches in Turkestan. Ein Kriegs-
Plau war bis in die Einzelheiten entworfen. England wollte 30 000 britische
Soldaten an das Schwarze Meer, 15000 nebst 45000 indischen Sipoys nach
Bagdad senden, und 100 000 türkische Irreguläre, sowie 95 000 Kurden sollten
unter englischen Offizieren in Russisch-Armenien einbrechen. Indes wurde dies
alles dadurch vereitelt, daß der Emir der Afghanen seinen Beitritt zur Allianz
verweigerte und sich auf Rußlands Seite stellte."

Dieser Artikel machte sowohl in England als in Frankreich viel Aufsehen,
da man wußte, daß die Presse in Rußland nur mit höherer Erlaubnis über
solche und ähnliche Dinge spricht, und da man zu wissen meinte, die Ssoboleff-
schen Gedanken seien sogar inspirirt. Wir glauben nicht an diese Vermutung,
obwohl Ssoboleff eine hcillvffizielle Stellung einnehmen soll, obwohl er die
russische Politik am Hose von Bulgarien eine Zeit lang vertrat, und obwohl
Alsakoff, der Herausgeber des „Nussj" zu den Männern gezählt wird, die sich
beim Kaiser Alexander besonder-: Vertrauens erfreuen. Doch wollen wir einiges
von den Äußerungen mitteilen, welche die MxrchÜMö Nranyiüss infolge
dieses Aufsatzes hinsichtlich der englischen Politik der letzten Jahre thut. Das
Blatt verurteilt die freundschaftliche Haltung Gladstones den Russen gegen¬
über und zeiht den britischen Premier grober Unvorsichtigkeit, weil er Afgha¬
nistan geräumt und Kandcchar aufgegeben habe. Es heißt da: „Im Austausche
für solche bedeutende Zugeständnisse meinte Herr Gladstone auf die Versiche¬
rungen der Frau von Novikoff, dieser panslavistischen Egeria hin, die in der
Bildung der Meinung über Rußland bei den englischen Liberalen eine so her¬
vorragende Rolle gespielt hat, auf eine gleich versöhnliche und friedfertige Hal¬
tung seitens des Kabinets von Se. Petersburg rechnen zu dürfen. Es ist aller¬
dings gestattet, zu glauben, daß Herr von Giers, dessen Politik auf die Erhaltung
und Befestigung des Friedens zwischen den Westmcichtcn gegründet ist, seiner¬
seits sich ehrenhalber verpflichtet gefühlt habe, die Annäherungen des britischen
Kabinets in demselben Geiste zu erwiedern, in welchem sie gemacht worden
>parer, und an die Stelle der eifersüchtigen Wachsamkeit, welche zwischen Ru߬
land und England in Mittelasien herrscht, ein gegenseitiges Einvernehmen treten
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würde. Allein es giebt zu gleicher Zeit etwas, was stärker ist als der ent-


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[0289] England und Rußland in Asten. gegenwärtig einnimmt, erscheint Ssobvlcff als sichere Bcisis für ein derartiges Unternehmen, „Hütten wir, so behauptet er weiter, in Mittelasien schon 1853 auch nur die Stellung eingenommen, die wir 1874 inne hatten, so würden wir keinen Krimkrieg erlebt haben oder wenigstens keinen solchen wie damals, sondern einen Krieg mit Österreich statt einen mit Frankreich. Wir wissen, daß Lord Beaconsfield 1876, vor dem letzten russisch-türkischen Feldzuge, eine Koalition zwischen England, Indien, Afghanistan und Persien anstrebte, die ihre Spitze gegen Rußland kehren sollte. Eines der Hauptziele dieser Allianz bildete die Errichtung eines großen russenfeindlichen Reiches in Turkestan. Ein Kriegs- Plau war bis in die Einzelheiten entworfen. England wollte 30 000 britische Soldaten an das Schwarze Meer, 15000 nebst 45000 indischen Sipoys nach Bagdad senden, und 100 000 türkische Irreguläre, sowie 95 000 Kurden sollten unter englischen Offizieren in Russisch-Armenien einbrechen. Indes wurde dies alles dadurch vereitelt, daß der Emir der Afghanen seinen Beitritt zur Allianz verweigerte und sich auf Rußlands Seite stellte." Dieser Artikel machte sowohl in England als in Frankreich viel Aufsehen, da man wußte, daß die Presse in Rußland nur mit höherer Erlaubnis über solche und ähnliche Dinge spricht, und da man zu wissen meinte, die Ssoboleff- schen Gedanken seien sogar inspirirt. Wir glauben nicht an diese Vermutung, obwohl Ssoboleff eine hcillvffizielle Stellung einnehmen soll, obwohl er die russische Politik am Hose von Bulgarien eine Zeit lang vertrat, und obwohl Alsakoff, der Herausgeber des „Nussj" zu den Männern gezählt wird, die sich beim Kaiser Alexander besonder-: Vertrauens erfreuen. Doch wollen wir einiges von den Äußerungen mitteilen, welche die MxrchÜMö Nranyiüss infolge dieses Aufsatzes hinsichtlich der englischen Politik der letzten Jahre thut. Das Blatt verurteilt die freundschaftliche Haltung Gladstones den Russen gegen¬ über und zeiht den britischen Premier grober Unvorsichtigkeit, weil er Afgha¬ nistan geräumt und Kandcchar aufgegeben habe. Es heißt da: „Im Austausche für solche bedeutende Zugeständnisse meinte Herr Gladstone auf die Versiche¬ rungen der Frau von Novikoff, dieser panslavistischen Egeria hin, die in der Bildung der Meinung über Rußland bei den englischen Liberalen eine so her¬ vorragende Rolle gespielt hat, auf eine gleich versöhnliche und friedfertige Hal¬ tung seitens des Kabinets von Se. Petersburg rechnen zu dürfen. Es ist aller¬ dings gestattet, zu glauben, daß Herr von Giers, dessen Politik auf die Erhaltung und Befestigung des Friedens zwischen den Westmcichtcn gegründet ist, seiner¬ seits sich ehrenhalber verpflichtet gefühlt habe, die Annäherungen des britischen Kabinets in demselben Geiste zu erwiedern, in welchem sie gemacht worden >parer, und an die Stelle der eifersüchtigen Wachsamkeit, welche zwischen Ru߬ land und England in Mittelasien herrscht, ein gegenseitiges Einvernehmen treten ö» lassen, das im Einklange mit den wahren Interessen beider Länder stehen würde. Allein es giebt zu gleicher Zeit etwas, was stärker ist als der ent-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341841_194675/289>, abgerufen am 23.07.2024.