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Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Erstes Quartal.

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von Gitschin, die Herren und Ritter, die Vertreter von sieben Städten, und
sich auf Berufung des Landesherrn in Gitschin versammeln; selbst einen Anteil
an der Rechtspflege wollte er den Mitgliedern des Landtages zugestehen. Die
Rechtspflege aber sollte ihre höchste Instanz in einem besondern Tribunale finden,
nicht in Prag. Alles in allem betrachtet, gewann das Herzogtum Friedland
die Gestalt eines selbständigen Staates, der sich vom Kronlande Böhmen mehr
und mehr löste und nur durch Lehnsrecht mit dem Hause Habsburg zusammen¬
hing, etwa wie die schlesischen Fürstentümer der Piaster. Demselben Ziele strebte
Wallenstein auf kirchlichem Gebiete zu: er wollte für seinen Staat ein eignes
Bistum errichten, indem er sich selbst die Ernennung des künftigen Bischofs vor¬
behielt. Doch ist es dazu so wenig gekommen, wie zur wirklichen Begründung
einer ständischen Verfassung.

Als Landesherr eines ansehnlichen Territoriums hat Wallenstein Tendenzen
verfolgt, die, seiner Zeit vorauseilend, mehr an ein Regiment im Stile der
ersten Jahrzehnte Ludwigs des Vierzehnten als an das eines kleinen Landes¬
herrn im Anfange des siebzehnten Jahrhunderts erinnern. Ganz persönlich war
seine Regierung vom ersten Tage an, das Größte wie das Kleinste im Auge
haltend, gerichtet auf einen prachtvollen Hofhält, auf Förderung der Steuer¬
kraft seiner Unterthanen, auf Beherrschung ihrer Gemüter durch eine reich do
tiree Kirche, die freilich dem Willen des Landesherrn stets gefügig bleiben, als
sein Werkzeug dienen sollte. Mit königlichem Prunk umgab er sich, wenn er
in Prag oder in Gitschin residirte, und selbst im Feldlager. Ein Oberhofmeister,
ein Oberstkämmercr und ein Oberststallmeister, alle glänzend ausgestattet und
besoldet, standen an der Spitze des Hofstaates, der allein 24 Kammerherren
und 60 Pagen, im ganzen 899 Personen zählte, 1072 Pferde brauchte (1633)
und jährlich mindestens 60000 Gulden kostete. An der herzoglichen Tafel
speiste man nur von vergoldetem Silber, und an festlichen Tagen erschien der
Hofstaat in blauem Sammet mit earmoisinroten Aufschlägen und silberner Ver-
schnüruug.

Doch so verschwenderisch sich dies ausnimmt, der Herzog war auch eifrig
bemüht, die'Hilfsquellen seines Landes zu entwickeln, jn er hätte anch als
Oberbefehlshaber des kaiserlichen Heeres schwerlich so großes zu leisten vermocht,
wenn er nicht in seinem eignen Herzogtume die Mittel zur Ausrüstung und
Verpflegung großenteils beschafft hätte. Etwa 150 meist eigenhändige Briefe
und Dekrete, die er in den Jahren 1623 bis 1632 nu seinen Landeshauptmann
in Gitschin erließ, stellen seine unermüdete Sorgfalt ins hellste Licht. Da er¬
läßt er Befehle, in seiner Residenz "allerlei meos von Seiden- und Wollarbeiten zu
introduziren"; er giebt 60000 Gulden Vorschuß, um die Seideniudustrie in Gang
zu bringen, anch die Juden läßt er zu. Im nahen Smrkowitz richtet er ein
Gestüt ein' und schickt mecklenburgische Pferde dorthin; er kümmert sich ge¬
legentlich um jede einzelne Stute und ist eifrig dahinterher, seinen Hauptleuten


von Gitschin, die Herren und Ritter, die Vertreter von sieben Städten, und
sich auf Berufung des Landesherrn in Gitschin versammeln; selbst einen Anteil
an der Rechtspflege wollte er den Mitgliedern des Landtages zugestehen. Die
Rechtspflege aber sollte ihre höchste Instanz in einem besondern Tribunale finden,
nicht in Prag. Alles in allem betrachtet, gewann das Herzogtum Friedland
die Gestalt eines selbständigen Staates, der sich vom Kronlande Böhmen mehr
und mehr löste und nur durch Lehnsrecht mit dem Hause Habsburg zusammen¬
hing, etwa wie die schlesischen Fürstentümer der Piaster. Demselben Ziele strebte
Wallenstein auf kirchlichem Gebiete zu: er wollte für seinen Staat ein eignes
Bistum errichten, indem er sich selbst die Ernennung des künftigen Bischofs vor¬
behielt. Doch ist es dazu so wenig gekommen, wie zur wirklichen Begründung
einer ständischen Verfassung.

Als Landesherr eines ansehnlichen Territoriums hat Wallenstein Tendenzen
verfolgt, die, seiner Zeit vorauseilend, mehr an ein Regiment im Stile der
ersten Jahrzehnte Ludwigs des Vierzehnten als an das eines kleinen Landes¬
herrn im Anfange des siebzehnten Jahrhunderts erinnern. Ganz persönlich war
seine Regierung vom ersten Tage an, das Größte wie das Kleinste im Auge
haltend, gerichtet auf einen prachtvollen Hofhält, auf Förderung der Steuer¬
kraft seiner Unterthanen, auf Beherrschung ihrer Gemüter durch eine reich do
tiree Kirche, die freilich dem Willen des Landesherrn stets gefügig bleiben, als
sein Werkzeug dienen sollte. Mit königlichem Prunk umgab er sich, wenn er
in Prag oder in Gitschin residirte, und selbst im Feldlager. Ein Oberhofmeister,
ein Oberstkämmercr und ein Oberststallmeister, alle glänzend ausgestattet und
besoldet, standen an der Spitze des Hofstaates, der allein 24 Kammerherren
und 60 Pagen, im ganzen 899 Personen zählte, 1072 Pferde brauchte (1633)
und jährlich mindestens 60000 Gulden kostete. An der herzoglichen Tafel
speiste man nur von vergoldetem Silber, und an festlichen Tagen erschien der
Hofstaat in blauem Sammet mit earmoisinroten Aufschlägen und silberner Ver-
schnüruug.

Doch so verschwenderisch sich dies ausnimmt, der Herzog war auch eifrig
bemüht, die'Hilfsquellen seines Landes zu entwickeln, jn er hätte anch als
Oberbefehlshaber des kaiserlichen Heeres schwerlich so großes zu leisten vermocht,
wenn er nicht in seinem eignen Herzogtume die Mittel zur Ausrüstung und
Verpflegung großenteils beschafft hätte. Etwa 150 meist eigenhändige Briefe
und Dekrete, die er in den Jahren 1623 bis 1632 nu seinen Landeshauptmann
in Gitschin erließ, stellen seine unermüdete Sorgfalt ins hellste Licht. Da er¬
läßt er Befehle, in seiner Residenz „allerlei meos von Seiden- und Wollarbeiten zu
introduziren"; er giebt 60000 Gulden Vorschuß, um die Seideniudustrie in Gang
zu bringen, anch die Juden läßt er zu. Im nahen Smrkowitz richtet er ein
Gestüt ein' und schickt mecklenburgische Pferde dorthin; er kümmert sich ge¬
legentlich um jede einzelne Stute und ist eifrig dahinterher, seinen Hauptleuten


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341841_194675/232>, abgerufen am 22.07.2024.