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Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Erstes Quartal.

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Sie Aommilitonen,

Wie? auch der bleibt aus? riefen alle.

Kautschuk schien einen Erfolg verzeichne,, zu wollen, Mirbl aber fuhr fort,
der "blasse Heinrich" lasse sich nur für eine halbe Stunde entschuldigen, "behufs
Materialsammlung."

Ach so! hieß es. Man beschloß nun, ohne ihn nicht zu beginnen, inzwischen
sollte ein Robber abgespielt werden. Mirbl, Pipin und Archimedes setzten sich
zusammen, ließen Karten kommen und begannen alsbald ihr Spiel.

Am Svfatische ging inzwischen die Unterhaltung fort. Genserich sagte zu
Ratz und Kautschuk: Er ist ein Kraftmensch, der etwas leistet, wir können stolz
auf ihn sein. Er hat den Vogel abgeschossen, sein Vortrag heute früh wäre
wert, daß er gedruckt und veröffentlicht würde.

I ja, entgegnete der Pastor, es möchte sich wohl kaum einer finden, der
ihm gleichkäme oder ihn gar überträfe an Beredsamkeit; ich selbst erkenne be¬
scheiden seine Übergewalt an in -- na in Eloquenz (er selbst hatte die Früh-
Predigt gehalten und war dabei stecken geblieben); allein, fuhr er fort, und das
will ich nicht hinter seineu, Rucke", sondern ihm ehrlich ins Gesicht sagen, damit
auch er nicht ohne Vorteil heimgehe, der doch so vielen hier ein Licht aufgesteckt
hat: ich meine, daß er sich in seiner Rede nicht innerhalb des Christentums befand.

Liebster Ratz, sagte der Parlamentarier von, Whisttische herüber, ich fasse
nicht recht, wie er seinen auf das allgemeine gerichteten Speech --

Bitte Pik! bat Archimedes.

-- anders hätte durchführen sollen als aus der Perspektive, von der aus
er alle Religionsgesellschaften überblicken konnte.
Bitte Treff! mahnte Archimedes.

Bester Mirbl, sagte der Geistliche lant zum Whisttische zurück, da hast du
mich nicht recht verstanden oder ich habe mich undeutlich ausgedrückt; ich meine,
der "blasse Heinrich" war mir zu wenig positiv und, um es hier gleich end-
giltig abzuthun: in Sachen der Religion giebt es für einen Christen nur einen
einzigen Standpunkt, nämlich das geoffenbarte Wort; eine Kritik aber, die sich
außerhalb desselben stellen und sich über dasselbe erheben will, ist eine -- nach
meinen Begriffen - superkluge und deshalb nicht zu duldende, ich bitte mir
meine" theologischen Standpunkt nicht zu verübeln, ich kann nicht anders! Dabei
wurde der sonst ruhige Mann rot und schlug sich vor die Brust, worauf eine
kleine Pause entstand.

Dann nahm Kautschuk wieder das Wort und sagte: Das ist "positiv" und
ganz richtig; zu wenig Positives hat der Rhetor in seiner weitumfassenden Über¬
sicht auch dem Juristen geboten; was er über den Segen der deutschen Zivil-
und Krimiualprvzeßordnung laut werden ließ, klang wie ans einer fortschritt¬
lichen Gerichtszeitung, und was er ferner über Schöffen- und Schwurgerichte
vorbrachte, wird wohl keiner unter den sämtlichen praktischen Juristen im ganzen
Saale gebilligt haben.


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Wie? auch der bleibt aus? riefen alle.

Kautschuk schien einen Erfolg verzeichne,, zu wollen, Mirbl aber fuhr fort,
der „blasse Heinrich" lasse sich nur für eine halbe Stunde entschuldigen, „behufs
Materialsammlung."

Ach so! hieß es. Man beschloß nun, ohne ihn nicht zu beginnen, inzwischen
sollte ein Robber abgespielt werden. Mirbl, Pipin und Archimedes setzten sich
zusammen, ließen Karten kommen und begannen alsbald ihr Spiel.

Am Svfatische ging inzwischen die Unterhaltung fort. Genserich sagte zu
Ratz und Kautschuk: Er ist ein Kraftmensch, der etwas leistet, wir können stolz
auf ihn sein. Er hat den Vogel abgeschossen, sein Vortrag heute früh wäre
wert, daß er gedruckt und veröffentlicht würde.

I ja, entgegnete der Pastor, es möchte sich wohl kaum einer finden, der
ihm gleichkäme oder ihn gar überträfe an Beredsamkeit; ich selbst erkenne be¬
scheiden seine Übergewalt an in — na in Eloquenz (er selbst hatte die Früh-
Predigt gehalten und war dabei stecken geblieben); allein, fuhr er fort, und das
will ich nicht hinter seineu, Rucke», sondern ihm ehrlich ins Gesicht sagen, damit
auch er nicht ohne Vorteil heimgehe, der doch so vielen hier ein Licht aufgesteckt
hat: ich meine, daß er sich in seiner Rede nicht innerhalb des Christentums befand.

Liebster Ratz, sagte der Parlamentarier von, Whisttische herüber, ich fasse
nicht recht, wie er seinen auf das allgemeine gerichteten Speech —

Bitte Pik! bat Archimedes.

— anders hätte durchführen sollen als aus der Perspektive, von der aus
er alle Religionsgesellschaften überblicken konnte.
Bitte Treff! mahnte Archimedes.

Bester Mirbl, sagte der Geistliche lant zum Whisttische zurück, da hast du
mich nicht recht verstanden oder ich habe mich undeutlich ausgedrückt; ich meine,
der „blasse Heinrich" war mir zu wenig positiv und, um es hier gleich end-
giltig abzuthun: in Sachen der Religion giebt es für einen Christen nur einen
einzigen Standpunkt, nämlich das geoffenbarte Wort; eine Kritik aber, die sich
außerhalb desselben stellen und sich über dasselbe erheben will, ist eine — nach
meinen Begriffen - superkluge und deshalb nicht zu duldende, ich bitte mir
meine» theologischen Standpunkt nicht zu verübeln, ich kann nicht anders! Dabei
wurde der sonst ruhige Mann rot und schlug sich vor die Brust, worauf eine
kleine Pause entstand.

Dann nahm Kautschuk wieder das Wort und sagte: Das ist „positiv" und
ganz richtig; zu wenig Positives hat der Rhetor in seiner weitumfassenden Über¬
sicht auch dem Juristen geboten; was er über den Segen der deutschen Zivil-
und Krimiualprvzeßordnung laut werden ließ, klang wie ans einer fortschritt¬
lichen Gerichtszeitung, und was er ferner über Schöffen- und Schwurgerichte
vorbrachte, wird wohl keiner unter den sämtlichen praktischen Juristen im ganzen
Saale gebilligt haben.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341841_194675/211>, abgerufen am 22.07.2024.