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Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Erstes Quartal.

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Gierlegcndo Säugetiere.

daß das Blut der Mutter den wachsenden Organismus gleichsam durchtränken
kann, und der Übergang hat sich allmählich vollzogen.

Damit aber sind wir zu einem Standpunkte gelangt, von dem betrachtet
eine der überraschendsten neuern Entdeckungen auf dem Gebiete der Tierkunde
nicht mehr vou vornherein als ein Märchen zu erscheinen braucht. Vor einiger
Zeit brachte das Kabel aus dem jüngsten Weltteile die seltsame Kunde, ein
junger englischer Forscher habe gefunden, daß der Ameisenigel (lüvliiäll^ it/Strix),
welchen alle Zoologen als unzweifelhaft zu den Säugetieren gehörig betrachten --
hartschalige Eier lege! Und die Nachricht wird nicht widerrufen, sie bestätigt sich
vielmehr durch die andre, daß schon fünf Tage vor dem Engländer und unab¬
hängig von ihm ein deutscher Naturforscher, Dr. W. Hacicke, ein Schüler Häckels
und zuletzt Assistent am zoologischen Institute zu Kiel, jetzt Direktor des süd-
australischeu Museums zu Adelaide, dieselbe Thatsache festgestellt habe.
'

Der Ameisenigel und das Schnabeltier (0rintil0rll^n<zllc>8 Mrs.et0xn8) bilden
die einzigen bekannten Vertreter einer unter den Sängetieren ganz vereinzelt
dastehenden Gruppe. Was schon dem Laien auffallen und diese Sonderstellung
einleuchtend macheu würde, ist der merkwürdige Umstand, daß wir bei diesen
Tieren statt der bekannten, mit Knochenzähnen versehenen Säugetierschnanze
einen hornigen, vogelähnliche" Schnabel finden. Dem vergleichenden Anatomen
fallen jedoch innere, noch wichtigere Eigentümlichkeiten der sogenannten "Gabel¬
tiere" ans. Das Schultergerüste zeigt sich reptilieuartig gebildet, ebenso mahnt
die gemeinschaftliche Ausmündung der Harnorgane, der Geschlechtsdrilsen und
des Darmes an diese Tierklasse. Auch die Organe, welche unsre Gabeltiere zu
eigentlichen Säugetiere" machen, die Milchdrüsen, zeigen sich nicht gebildet wie
bei andern Säugern. Sie sind bei weitem nicht so vollkommen: die einzelnen
Milchdrüsensäckchen münden nicht, wie sonst, zusammen ans einer "Zitze" aus,
sondern die Ausführungsgänge bleiben zeitlebens weit von einander gesondert --
ein Zustand, der, obgleich er sich auch bei den übrigen Säugetieren, wenn anch
nur vorübergehend während ihres embryonalen Lebens findet, die ersten Be¬
obachter geneigt machte, die in Rede stehenden Organe überhaupt nicht für
Milch-, sondern für Schleimdrüsen zu halten, wie solche anch an der Haut
reptilienartiger Tiere vorkommen.

Während wir so bei den sonderbaren Gabeltieren mancherlei Anklänge an
den Bau der Reptilien entdecken, um derentwillen Anhänger der Abstammungs¬
lehre sich für berechtigt halten, die Gabeltiere direkt von jenen herzuleiten,
können wir andrerseits bei ihnen, abgesehen von den typischen Eigentümlichkeiten des
Süngetierbaues, eine merkwürdige Ähnlichkeit mit einer andern, nächst höher¬
stehenden Säugetiergruppe, den Beuteltieren, feststellen, welche gleichfalls fast
ausschließlich Bewohner Australiens sind. Diese nämlich -- der bekannteste
ihrer Vertreter ist das Känguruh -- gehalren ihre Jungen auf einer sehr frühen
Entwicklungsstufe, noch völlig unreif, um sie dann in einem dnrch zwei Knochen


Gierlegcndo Säugetiere.

daß das Blut der Mutter den wachsenden Organismus gleichsam durchtränken
kann, und der Übergang hat sich allmählich vollzogen.

Damit aber sind wir zu einem Standpunkte gelangt, von dem betrachtet
eine der überraschendsten neuern Entdeckungen auf dem Gebiete der Tierkunde
nicht mehr vou vornherein als ein Märchen zu erscheinen braucht. Vor einiger
Zeit brachte das Kabel aus dem jüngsten Weltteile die seltsame Kunde, ein
junger englischer Forscher habe gefunden, daß der Ameisenigel (lüvliiäll^ it/Strix),
welchen alle Zoologen als unzweifelhaft zu den Säugetieren gehörig betrachten —
hartschalige Eier lege! Und die Nachricht wird nicht widerrufen, sie bestätigt sich
vielmehr durch die andre, daß schon fünf Tage vor dem Engländer und unab¬
hängig von ihm ein deutscher Naturforscher, Dr. W. Hacicke, ein Schüler Häckels
und zuletzt Assistent am zoologischen Institute zu Kiel, jetzt Direktor des süd-
australischeu Museums zu Adelaide, dieselbe Thatsache festgestellt habe.
'

Der Ameisenigel und das Schnabeltier (0rintil0rll^n<zllc>8 Mrs.et0xn8) bilden
die einzigen bekannten Vertreter einer unter den Sängetieren ganz vereinzelt
dastehenden Gruppe. Was schon dem Laien auffallen und diese Sonderstellung
einleuchtend macheu würde, ist der merkwürdige Umstand, daß wir bei diesen
Tieren statt der bekannten, mit Knochenzähnen versehenen Säugetierschnanze
einen hornigen, vogelähnliche» Schnabel finden. Dem vergleichenden Anatomen
fallen jedoch innere, noch wichtigere Eigentümlichkeiten der sogenannten „Gabel¬
tiere" ans. Das Schultergerüste zeigt sich reptilieuartig gebildet, ebenso mahnt
die gemeinschaftliche Ausmündung der Harnorgane, der Geschlechtsdrilsen und
des Darmes an diese Tierklasse. Auch die Organe, welche unsre Gabeltiere zu
eigentlichen Säugetiere« machen, die Milchdrüsen, zeigen sich nicht gebildet wie
bei andern Säugern. Sie sind bei weitem nicht so vollkommen: die einzelnen
Milchdrüsensäckchen münden nicht, wie sonst, zusammen ans einer „Zitze" aus,
sondern die Ausführungsgänge bleiben zeitlebens weit von einander gesondert —
ein Zustand, der, obgleich er sich auch bei den übrigen Säugetieren, wenn anch
nur vorübergehend während ihres embryonalen Lebens findet, die ersten Be¬
obachter geneigt machte, die in Rede stehenden Organe überhaupt nicht für
Milch-, sondern für Schleimdrüsen zu halten, wie solche anch an der Haut
reptilienartiger Tiere vorkommen.

Während wir so bei den sonderbaren Gabeltieren mancherlei Anklänge an
den Bau der Reptilien entdecken, um derentwillen Anhänger der Abstammungs¬
lehre sich für berechtigt halten, die Gabeltiere direkt von jenen herzuleiten,
können wir andrerseits bei ihnen, abgesehen von den typischen Eigentümlichkeiten des
Süngetierbaues, eine merkwürdige Ähnlichkeit mit einer andern, nächst höher¬
stehenden Säugetiergruppe, den Beuteltieren, feststellen, welche gleichfalls fast
ausschließlich Bewohner Australiens sind. Diese nämlich — der bekannteste
ihrer Vertreter ist das Känguruh — gehalren ihre Jungen auf einer sehr frühen
Entwicklungsstufe, noch völlig unreif, um sie dann in einem dnrch zwei Knochen


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341841_194675/188>, abgerufen am 22.07.2024.