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Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Erstes Quartal.

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Die Aommilitonen.

ihrer formellen Geltung nach; dabei wurden Rechtsirrtümer ausposaunt, von
denen ergraute Juristen Ohrenzwang bekamen.

Wie Papa sich ereifert! näselte zu den aufgescheuchten Spaßvögeln eine
festauftretende Dame, die Tochter des donnerstimmigen Geldfürsten, eine üppige
Schönheit, die mit wallender Schleppe den Gang entlang an den drei Mädchen
vorbeirauschte und sich neben der unter dem Wandleuchter verharrenden Bar¬
bara niederließ, wobei das flimmernde Neapclblau ihrer Sammetrobe das
schlichte Veilchenblau der andern fast aufsaugte. Wie suche ich Sie, liebes,
liebes Fräulein! rief sie erregt und so laut, als ob sie zu allen andern mit¬
spräche; ich kann mir vorstellen, wie wenig Ihnen die Weltanschauung dort
-- sie machte mit der bloßen Achsel eine Bewegung -- genügt. Ja ja, hier
wird der Gesichtskreis beengt. Ich beobachte Sie schon längst, ach! ich fühle
innig mit Ihnen; ich bin in der Großstadt erzogen, aber schon zwei ewiglange
Jahre hier, ich muß Ihnen das näher erzählen.

Barbara blieb zurückhaltend gegenüber deu Annäherungsversuchen der
Dame, obwohl sie ihr bei der Vorstellung nicht mißfallen hatte. Sie äußerte
nur, für sie sei es belehrend, in diese ihr fremde Stimmung einen flüchtigen
Einblick gewonnen zu haben.

Und das können Sie so ruhig, so ohne Kampflust aussprechen! eiferte die
schöne Blondine, ich beneide Sie um diese Kunst! Ich selbst bin Feuer und
Flamme, ich möchte das Spießbürgertum zertreten, ich Protestire gegen die
Büreaukratie, weise das adliche Koteriemesen zurück, ich darf es furchtlos thun,
denn ich bin reich, das sage ich ohne Stolz, aber -- mit Wonne.

So schüttete sie vor der Fremden ihr Herz aus, geriet ihrem kühlen
Wesen gegenüber in immer heftigere Leidenschaft und suchte endlich sie im
schmachtenden Tone aufzuhalten, als Barbara sich zum Gehen anschickte.

Aber das Schauspielerkind ging, und die reiche Fabrikantentochter blieb
unter dem Wandleuchter zurück, weitab von den Vordersitzen der Auserwählten,
wo die Mutter sie nur ungern vermißte. Es war schwer zu sagen, ob die
Schöne spielte und vielleicht wußte, wie ausnehmend sie die Rolle kleidete, als
sie der Mutter, die jetzt kam, um sie zurückzuholen, flehend zurief: Laß mich
noch ein Weilchen mich absondern, einzige Mama! und auf deren besorgte
Frage: Was hast du, Kind? die überschwängliche Antwort gab: Heimweh habe
ich beim Anblick dieser Geistergestalt aus dem von mir verlassenen Gebiete des
Idealen!

Aber Konstantine! wenn das der Herr Kcunmerjunker gehört hätte, sagte
die Alte streng und nahm die Tochter wieder mit sich hinüber.

Unterdes lichteten sich unten im Saale die Reihen der Festgenossen. Einige
suchten Nuhepolstcr und Armsessel auf, die in Nischen und unter künstlichen
Banmgehegen zum Plaudern einluden; andre begaben sich in anstoßende
Zimmer.


Die Aommilitonen.

ihrer formellen Geltung nach; dabei wurden Rechtsirrtümer ausposaunt, von
denen ergraute Juristen Ohrenzwang bekamen.

Wie Papa sich ereifert! näselte zu den aufgescheuchten Spaßvögeln eine
festauftretende Dame, die Tochter des donnerstimmigen Geldfürsten, eine üppige
Schönheit, die mit wallender Schleppe den Gang entlang an den drei Mädchen
vorbeirauschte und sich neben der unter dem Wandleuchter verharrenden Bar¬
bara niederließ, wobei das flimmernde Neapclblau ihrer Sammetrobe das
schlichte Veilchenblau der andern fast aufsaugte. Wie suche ich Sie, liebes,
liebes Fräulein! rief sie erregt und so laut, als ob sie zu allen andern mit¬
spräche; ich kann mir vorstellen, wie wenig Ihnen die Weltanschauung dort
— sie machte mit der bloßen Achsel eine Bewegung — genügt. Ja ja, hier
wird der Gesichtskreis beengt. Ich beobachte Sie schon längst, ach! ich fühle
innig mit Ihnen; ich bin in der Großstadt erzogen, aber schon zwei ewiglange
Jahre hier, ich muß Ihnen das näher erzählen.

Barbara blieb zurückhaltend gegenüber deu Annäherungsversuchen der
Dame, obwohl sie ihr bei der Vorstellung nicht mißfallen hatte. Sie äußerte
nur, für sie sei es belehrend, in diese ihr fremde Stimmung einen flüchtigen
Einblick gewonnen zu haben.

Und das können Sie so ruhig, so ohne Kampflust aussprechen! eiferte die
schöne Blondine, ich beneide Sie um diese Kunst! Ich selbst bin Feuer und
Flamme, ich möchte das Spießbürgertum zertreten, ich Protestire gegen die
Büreaukratie, weise das adliche Koteriemesen zurück, ich darf es furchtlos thun,
denn ich bin reich, das sage ich ohne Stolz, aber — mit Wonne.

So schüttete sie vor der Fremden ihr Herz aus, geriet ihrem kühlen
Wesen gegenüber in immer heftigere Leidenschaft und suchte endlich sie im
schmachtenden Tone aufzuhalten, als Barbara sich zum Gehen anschickte.

Aber das Schauspielerkind ging, und die reiche Fabrikantentochter blieb
unter dem Wandleuchter zurück, weitab von den Vordersitzen der Auserwählten,
wo die Mutter sie nur ungern vermißte. Es war schwer zu sagen, ob die
Schöne spielte und vielleicht wußte, wie ausnehmend sie die Rolle kleidete, als
sie der Mutter, die jetzt kam, um sie zurückzuholen, flehend zurief: Laß mich
noch ein Weilchen mich absondern, einzige Mama! und auf deren besorgte
Frage: Was hast du, Kind? die überschwängliche Antwort gab: Heimweh habe
ich beim Anblick dieser Geistergestalt aus dem von mir verlassenen Gebiete des
Idealen!

Aber Konstantine! wenn das der Herr Kcunmerjunker gehört hätte, sagte
die Alte streng und nahm die Tochter wieder mit sich hinüber.

Unterdes lichteten sich unten im Saale die Reihen der Festgenossen. Einige
suchten Nuhepolstcr und Armsessel auf, die in Nischen und unter künstlichen
Banmgehegen zum Plaudern einluden; andre begaben sich in anstoßende
Zimmer.


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[0166] Die Aommilitonen. ihrer formellen Geltung nach; dabei wurden Rechtsirrtümer ausposaunt, von denen ergraute Juristen Ohrenzwang bekamen. Wie Papa sich ereifert! näselte zu den aufgescheuchten Spaßvögeln eine festauftretende Dame, die Tochter des donnerstimmigen Geldfürsten, eine üppige Schönheit, die mit wallender Schleppe den Gang entlang an den drei Mädchen vorbeirauschte und sich neben der unter dem Wandleuchter verharrenden Bar¬ bara niederließ, wobei das flimmernde Neapclblau ihrer Sammetrobe das schlichte Veilchenblau der andern fast aufsaugte. Wie suche ich Sie, liebes, liebes Fräulein! rief sie erregt und so laut, als ob sie zu allen andern mit¬ spräche; ich kann mir vorstellen, wie wenig Ihnen die Weltanschauung dort — sie machte mit der bloßen Achsel eine Bewegung — genügt. Ja ja, hier wird der Gesichtskreis beengt. Ich beobachte Sie schon längst, ach! ich fühle innig mit Ihnen; ich bin in der Großstadt erzogen, aber schon zwei ewiglange Jahre hier, ich muß Ihnen das näher erzählen. Barbara blieb zurückhaltend gegenüber deu Annäherungsversuchen der Dame, obwohl sie ihr bei der Vorstellung nicht mißfallen hatte. Sie äußerte nur, für sie sei es belehrend, in diese ihr fremde Stimmung einen flüchtigen Einblick gewonnen zu haben. Und das können Sie so ruhig, so ohne Kampflust aussprechen! eiferte die schöne Blondine, ich beneide Sie um diese Kunst! Ich selbst bin Feuer und Flamme, ich möchte das Spießbürgertum zertreten, ich Protestire gegen die Büreaukratie, weise das adliche Koteriemesen zurück, ich darf es furchtlos thun, denn ich bin reich, das sage ich ohne Stolz, aber — mit Wonne. So schüttete sie vor der Fremden ihr Herz aus, geriet ihrem kühlen Wesen gegenüber in immer heftigere Leidenschaft und suchte endlich sie im schmachtenden Tone aufzuhalten, als Barbara sich zum Gehen anschickte. Aber das Schauspielerkind ging, und die reiche Fabrikantentochter blieb unter dem Wandleuchter zurück, weitab von den Vordersitzen der Auserwählten, wo die Mutter sie nur ungern vermißte. Es war schwer zu sagen, ob die Schöne spielte und vielleicht wußte, wie ausnehmend sie die Rolle kleidete, als sie der Mutter, die jetzt kam, um sie zurückzuholen, flehend zurief: Laß mich noch ein Weilchen mich absondern, einzige Mama! und auf deren besorgte Frage: Was hast du, Kind? die überschwängliche Antwort gab: Heimweh habe ich beim Anblick dieser Geistergestalt aus dem von mir verlassenen Gebiete des Idealen! Aber Konstantine! wenn das der Herr Kcunmerjunker gehört hätte, sagte die Alte streng und nahm die Tochter wieder mit sich hinüber. Unterdes lichteten sich unten im Saale die Reihen der Festgenossen. Einige suchten Nuhepolstcr und Armsessel auf, die in Nischen und unter künstlichen Banmgehegen zum Plaudern einluden; andre begaben sich in anstoßende Zimmer.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341841_194675/166>, abgerufen am 22.07.2024.