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Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Erstes Quartal.

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Die Kommilitonen.

cmwälte wurde eingegangen, manch Bedenkliches hervorgehoben, dagegen die
Stellung der Staatsanwälte mit "süperb" bezeichnet.

Wieder auf einer andern Seite stellte man die Universitätsprofessoren den
Gymnasiallehrern gegenüber. Die vorlaute Frage einer Gutsbesitzerstochter,
welchen Rang denn ein Privatgelehrter (sie wollte Privatlehrer sagen) wie der
berühmte Redner habe, wurde totgeschwiegen, die Mutter raunte ihr zu: Haus-
offiziant. Vernehmbar erklang das Wort "subaltern," worauf eine reizbare
Oberlehrersfrau mit verhaltenem Weinen die Tribüne verließ. Ihr folgten
Unzufriedene oder solche, die eine Meinungsäußerung für unzuträglich
hielten.

Alle diese Kundgebungen bemerkte Barbara, welche durch die Frau Super¬
intendent hier eingeführt worden war. Man hatte die "artige Künstlerin" vor¬
nehm-freundlich aufgenommen, etwa wie man ein bethautes Vergißmeinnicht in
der durch Glaeeeleder geschützten Hand hält. Sie, die in den Künstler- und
Gclehrtenkreisen der Großstadt heimisch war, fühlte sich wie in einem Festungs¬
stückkeller. Welcher Mangel an Verständnis für die Bedeutung dieser Zu¬
sammenkunft, welche unpassende Stimmung! dachte sie und trat zur Seite.

Sie lehnte sich an die Brüstung, sah auf die Festtafeln in den Saal hinab
und gedachte des Festredners vom Vormittag.

Ihr Vater hatte sie vor Tische mit in die Zuckcrbäckcrei genommen, ihr
dort im Gesellschaftszimmer ausführlich über die Feier in der Aula berichtet
und mit seiner Kunstfertigkeit den Vortrag des "blassen Heinrich" wiederge¬
geben; sein geschultes Gedächtnis war ihm dabei zu Hilfe gekommen. Von
alleu Seiten hatten die Mitanwesenden aufmerksam zugehört, es war eine genu߬
reiche Stunde gewesen.

Jetzt kehrte ihr der Held des Tages den Rücken zu, sie sah aber, wie
man ringsum ihn auszeichnete durch Herantreten und Anklingen, und wie er
allen Bescheid that.

In diesen Beobachtungen wurde die Veilchenblaue gestört durch drei
Jungfräulein, hübsches junges Volk, Auslese für den Ball, die in übermütiger
Weise ihre Scherze trieben. Freilich bot ihnen die Festtafel mancherlei Kurz¬
weil. Eben steuerte ein ehrwürdiger Alter mit ungebundener Serviette un-
sichern Schrittes auf den Nmtsbruder zu -- die Gläser klangen, eins ging in
Scherben, und der Nachbar, ein alter Forstmeister in neuer Uniform, war von
oben bis unten begossen. Dann traten die drei schalkhaften an den äußersten
Ausbug des Geländers näher zu den Studenten hin, fanden an ihnen viel Ve-
sprechenswertes, mußten aber die Guckgläser strecken vor der Übergewalt der
zurückgesandten Blickgeschosse. Endlich wandten sie sich der Tafellangseite zu,
wo zwei Überlaute die Beherrschung des Gesprächs einander streitig machten,
zwei große Klugsprecher, der reichste Fabrikherr des Ortes und der Stadtver¬
ordnetenvorsteher. Sie erörterten eine dem Gymnasium zugefallene Stiftung


Grenzboten I. 188S. 20
Die Kommilitonen.

cmwälte wurde eingegangen, manch Bedenkliches hervorgehoben, dagegen die
Stellung der Staatsanwälte mit „süperb" bezeichnet.

Wieder auf einer andern Seite stellte man die Universitätsprofessoren den
Gymnasiallehrern gegenüber. Die vorlaute Frage einer Gutsbesitzerstochter,
welchen Rang denn ein Privatgelehrter (sie wollte Privatlehrer sagen) wie der
berühmte Redner habe, wurde totgeschwiegen, die Mutter raunte ihr zu: Haus-
offiziant. Vernehmbar erklang das Wort „subaltern," worauf eine reizbare
Oberlehrersfrau mit verhaltenem Weinen die Tribüne verließ. Ihr folgten
Unzufriedene oder solche, die eine Meinungsäußerung für unzuträglich
hielten.

Alle diese Kundgebungen bemerkte Barbara, welche durch die Frau Super¬
intendent hier eingeführt worden war. Man hatte die „artige Künstlerin" vor¬
nehm-freundlich aufgenommen, etwa wie man ein bethautes Vergißmeinnicht in
der durch Glaeeeleder geschützten Hand hält. Sie, die in den Künstler- und
Gclehrtenkreisen der Großstadt heimisch war, fühlte sich wie in einem Festungs¬
stückkeller. Welcher Mangel an Verständnis für die Bedeutung dieser Zu¬
sammenkunft, welche unpassende Stimmung! dachte sie und trat zur Seite.

Sie lehnte sich an die Brüstung, sah auf die Festtafeln in den Saal hinab
und gedachte des Festredners vom Vormittag.

Ihr Vater hatte sie vor Tische mit in die Zuckcrbäckcrei genommen, ihr
dort im Gesellschaftszimmer ausführlich über die Feier in der Aula berichtet
und mit seiner Kunstfertigkeit den Vortrag des „blassen Heinrich" wiederge¬
geben; sein geschultes Gedächtnis war ihm dabei zu Hilfe gekommen. Von
alleu Seiten hatten die Mitanwesenden aufmerksam zugehört, es war eine genu߬
reiche Stunde gewesen.

Jetzt kehrte ihr der Held des Tages den Rücken zu, sie sah aber, wie
man ringsum ihn auszeichnete durch Herantreten und Anklingen, und wie er
allen Bescheid that.

In diesen Beobachtungen wurde die Veilchenblaue gestört durch drei
Jungfräulein, hübsches junges Volk, Auslese für den Ball, die in übermütiger
Weise ihre Scherze trieben. Freilich bot ihnen die Festtafel mancherlei Kurz¬
weil. Eben steuerte ein ehrwürdiger Alter mit ungebundener Serviette un-
sichern Schrittes auf den Nmtsbruder zu — die Gläser klangen, eins ging in
Scherben, und der Nachbar, ein alter Forstmeister in neuer Uniform, war von
oben bis unten begossen. Dann traten die drei schalkhaften an den äußersten
Ausbug des Geländers näher zu den Studenten hin, fanden an ihnen viel Ve-
sprechenswertes, mußten aber die Guckgläser strecken vor der Übergewalt der
zurückgesandten Blickgeschosse. Endlich wandten sie sich der Tafellangseite zu,
wo zwei Überlaute die Beherrschung des Gesprächs einander streitig machten,
zwei große Klugsprecher, der reichste Fabrikherr des Ortes und der Stadtver¬
ordnetenvorsteher. Sie erörterten eine dem Gymnasium zugefallene Stiftung


Grenzboten I. 188S. 20
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341841_194675/165>, abgerufen am 22.07.2024.