Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Erstes Quartal.Das Publikum. umso größer wird die Einheit, die er schafft, umso zahlreicher sein Publikum, Ein solcher der Verzeihung bedürftiger Künstler war Richard Wagner, Möge das Baireuther Mustertheater noch lange auf seiner einsamen Höhe Das Publikum. umso größer wird die Einheit, die er schafft, umso zahlreicher sein Publikum, Ein solcher der Verzeihung bedürftiger Künstler war Richard Wagner, Möge das Baireuther Mustertheater noch lange auf seiner einsamen Höhe <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0158" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/194834"/> <fw type="header" place="top"> Das Publikum.</fw><lb/> <p xml:id="ID_486" prev="#ID_485"> umso größer wird die Einheit, die er schafft, umso zahlreicher sein Publikum,<lb/> umso gewaltiger seine Wirkung. Deshalb können wir es auch keinem Künstler,<lb/> von dem wir nicht Übermenschliches begehren, verargen, wenn er nach dieser<lb/> einzigen Befriedigung trachtet, wenn er sich der Menge aufdrängt, um die ein¬<lb/> zige Probe zu bestehen, durch die er sein Können, seine Berechtigung zum<lb/> Schaffen erweisen kann, indem er ihren Beifall erringt. Ja wir verzeihen ihm<lb/> wohl auch, wenn dieses Trachten in ärgerlicher Form auftritt und der Künstler,<lb/> nicht der Macht seines Genius allein vertrauend, zu falschen Mitteln greift,<lb/> um sein Ziel zu erreichen.</p><lb/> <p xml:id="ID_487"> Ein solcher der Verzeihung bedürftiger Künstler war Richard Wagner,<lb/> und er hat es im Leben schwer büßen müssen. Zu den falschen Mitteln, die<lb/> Wagner ergriff, um für seine Kunst Propaganda zu machen, gehört auch das<lb/> Baireuther Unternehmen, gehört insbesondre die innere Konstruktion des<lb/> Waguerthcaters. Ist das hier vom „Meister" in Anwendung gebrachte Jsv-<lb/> lirnngs- und Absperrungssystcm irgendwie mit der Art der künstlerischen Wirkung<lb/> vereinbar, wie wir sie soeben als die einzig wahre erkannt haben? Empfinden<lb/> wir nicht den menschlichen Drang, uns mit den vielen, mit denen wir uns<lb/> durch den Zauber der Kunst innerlich eins fühlen, auch äußerlich im Einklange<lb/> zu wissen? Suchen wir nicht unwillkürlich in der freudig erregten Stimme<lb/> des zunächst Sitzenden eine Bestätigung dessen, was in uns selbst vorgeht?<lb/> Bereitet uns die Kunst nicht die höchste, reinste Freude — und ist es nicht ein<lb/> altes, wahres Wort: Geteilte Frende ist doppelte Freude? Und von alledem<lb/> nichts in dem Baireuther Guckkasten. Es geht ein erkältender, menschenfeind¬<lb/> licher Zug durch dieses dunkle, kahle Hans, mit seinen geraden Sitzreihen,<lb/> die jedem eben nnr gestatten, die Rückseiten der vor ihm Sitzenden und<lb/> die Ellbogen der Nachbarn wahrzunehmen. Höchstens ein verständnisvoller<lb/> Rippenstoß kann hier die Mitteilung des Empfundenen vermitteln. Da<lb/> lobe ich mir einen hellerleuchteten Zirkus, wo jeder jeden sieht, wo kein<lb/> Zeichen des Beifalls oder des Mißfallens verloren gehen kann. Das ist ein<lb/> Areopag für Kunstwerke. Die Alten wußten das und bauten demgemäß ihre<lb/> Theater im Halbkreise. Und im ganzen und großen haben wir bis jetzt, Gott<lb/> sei Dank, unsre Opern- und Schauspielhäuser auch so vernünftig eingerichtet<lb/> und nicht nnr darauf Rücksicht genommen, daß man die Bühne sieht, sondern<lb/> anch daß die Zuschauer sich gegenseitig im Auge haben.</p><lb/> <p xml:id="ID_488"> Möge das Baireuther Mustertheater noch lange auf seiner einsamen Höhe<lb/> thronen, als ein warnendes Exempel für alle, die es angeht, wie man Theater<lb/> nicht bauen soll.</p><lb/> <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0158]
Das Publikum.
umso größer wird die Einheit, die er schafft, umso zahlreicher sein Publikum,
umso gewaltiger seine Wirkung. Deshalb können wir es auch keinem Künstler,
von dem wir nicht Übermenschliches begehren, verargen, wenn er nach dieser
einzigen Befriedigung trachtet, wenn er sich der Menge aufdrängt, um die ein¬
zige Probe zu bestehen, durch die er sein Können, seine Berechtigung zum
Schaffen erweisen kann, indem er ihren Beifall erringt. Ja wir verzeihen ihm
wohl auch, wenn dieses Trachten in ärgerlicher Form auftritt und der Künstler,
nicht der Macht seines Genius allein vertrauend, zu falschen Mitteln greift,
um sein Ziel zu erreichen.
Ein solcher der Verzeihung bedürftiger Künstler war Richard Wagner,
und er hat es im Leben schwer büßen müssen. Zu den falschen Mitteln, die
Wagner ergriff, um für seine Kunst Propaganda zu machen, gehört auch das
Baireuther Unternehmen, gehört insbesondre die innere Konstruktion des
Waguerthcaters. Ist das hier vom „Meister" in Anwendung gebrachte Jsv-
lirnngs- und Absperrungssystcm irgendwie mit der Art der künstlerischen Wirkung
vereinbar, wie wir sie soeben als die einzig wahre erkannt haben? Empfinden
wir nicht den menschlichen Drang, uns mit den vielen, mit denen wir uns
durch den Zauber der Kunst innerlich eins fühlen, auch äußerlich im Einklange
zu wissen? Suchen wir nicht unwillkürlich in der freudig erregten Stimme
des zunächst Sitzenden eine Bestätigung dessen, was in uns selbst vorgeht?
Bereitet uns die Kunst nicht die höchste, reinste Freude — und ist es nicht ein
altes, wahres Wort: Geteilte Frende ist doppelte Freude? Und von alledem
nichts in dem Baireuther Guckkasten. Es geht ein erkältender, menschenfeind¬
licher Zug durch dieses dunkle, kahle Hans, mit seinen geraden Sitzreihen,
die jedem eben nnr gestatten, die Rückseiten der vor ihm Sitzenden und
die Ellbogen der Nachbarn wahrzunehmen. Höchstens ein verständnisvoller
Rippenstoß kann hier die Mitteilung des Empfundenen vermitteln. Da
lobe ich mir einen hellerleuchteten Zirkus, wo jeder jeden sieht, wo kein
Zeichen des Beifalls oder des Mißfallens verloren gehen kann. Das ist ein
Areopag für Kunstwerke. Die Alten wußten das und bauten demgemäß ihre
Theater im Halbkreise. Und im ganzen und großen haben wir bis jetzt, Gott
sei Dank, unsre Opern- und Schauspielhäuser auch so vernünftig eingerichtet
und nicht nnr darauf Rücksicht genommen, daß man die Bühne sieht, sondern
anch daß die Zuschauer sich gegenseitig im Auge haben.
Möge das Baireuther Mustertheater noch lange auf seiner einsamen Höhe
thronen, als ein warnendes Exempel für alle, die es angeht, wie man Theater
nicht bauen soll.
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