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Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Erstes Quartal.

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England und die Boers.

Während des Treffens, welches dadurch herbeigeführt wurde, daß Bethel
einen Trupp Freibeuter an einem Viehraub verhindern wollte, stand jener
neben dem verwundeten Betschuaneuhäuptliug Israel Molema und versuchte
diesem auf sein eignes Pferd zu helfen. Als das mißglückte, bat ihn der
Betschucmc, ihn zu verlassen und sich selbst zu retten. Bethel lehnte das
edelmütig an^ und bekam bald daraus einen Schuß in das eine Auge, der
zum andern Ohr hinausging und ihn zu Boden streckte. Ein englischer
Renegat, der auf feiten der Boers focht, wollte ihn nach deren Lager bringen,
wenn er sich ergäbe. Letzteres geschah, aber jetzt näherten sich zwei andre von den
Gegnern, von denen einer Joel van Nooyeu hieß, und welche den Verwundeten
höhnisch fragten, ob er totgeschossen sein wolle. "Schießt nur zu!" rief der
heroische Bethel, und die Ungeheuer jagten ihm sofort ihre Kugeln durch den
Kopf. So sollte der verwundete Betschuane, der dabei gelegen und sich in der
Nacht darauf gerettet hätte, erzählt haben.

Die Londoner Presse, besonders die konservative, erhob über diese Vorgänge
ein gewaltiges Geschrei, und die "öffentliche Meinung," ihr Spiegelbild, bekam
ein sehr rotes Gesicht. Auffallend war dabei für Fernerstehende nur, daß man
über das Einschreiten der Boers im Zululande viel weniger Entrüstung äußerte
als über die Vorgänge jenseits der westlichen Grenze. Hier war, wie be¬
hauptet wurde, "britisches Gebiet," das "britische Protektorat über das Bet-
schuanenland" verletzt worden, ein englischer Beamter, der das Recht seiner
Königin hatte wahren wollen, war grausam ermordet worden, und sein Blut,
die Ehre Britanniens schrie laut um Rache. Solche Unthaten mußten für
die Zukunft unmöglich gemacht, die "Südafrikanische Republik" mußte ver¬
nichtet werden; denn deren Regierung steckte entweder unter einer Decke mit
den "Freibeutern" oder war zu schwach, um dem Treiben derselben zu steuern,
und das erstere kam den Londoner Zeitungsschreibern auch dann noch als das
wahrscheinlichere vor, als man in Pretoria das Protektorat über die neue Re¬
publik im "Lande Gösen" vorläufig fallen ließ. Im Parlamente machten sich diese
Ansichten gleichfalls geltend, wenn auch in etwas maßvollerer Form und Sprache,
und daneben hörte man eine lange und schwungvolle Rede Forsters, des frühem
Kabinetsmitgliedes, über die Pflicht der Negierung, sich der unglücklichen Kaffern
aus Gründen der Philanthropie und damit man ihnen die Segnungen des
Christentums und der Gesittung zuteil werden lassen könne, gegen die hab¬
gierigen und treulosen Boers mit aller Energie anzunehmen, was sehr schön
klang, aber bei Kennern der englischen Parteiverhältnisse nur Lächeln erwecken
konnte.

Die Regierung wurde mit der Sache nicht so leicht und schnell fertig
wie die öffentliche Meinung, indes mußte sie auf dieselbe Rücksicht nehmen,
auch stand in gewissem Maße Englands Prestige in Südafrika auf dem Spiele,
wenn man dort die Dinge gehen ließ. Handeln war bedenklich, denn man


England und die Boers.

Während des Treffens, welches dadurch herbeigeführt wurde, daß Bethel
einen Trupp Freibeuter an einem Viehraub verhindern wollte, stand jener
neben dem verwundeten Betschuaneuhäuptliug Israel Molema und versuchte
diesem auf sein eignes Pferd zu helfen. Als das mißglückte, bat ihn der
Betschucmc, ihn zu verlassen und sich selbst zu retten. Bethel lehnte das
edelmütig an^ und bekam bald daraus einen Schuß in das eine Auge, der
zum andern Ohr hinausging und ihn zu Boden streckte. Ein englischer
Renegat, der auf feiten der Boers focht, wollte ihn nach deren Lager bringen,
wenn er sich ergäbe. Letzteres geschah, aber jetzt näherten sich zwei andre von den
Gegnern, von denen einer Joel van Nooyeu hieß, und welche den Verwundeten
höhnisch fragten, ob er totgeschossen sein wolle. „Schießt nur zu!" rief der
heroische Bethel, und die Ungeheuer jagten ihm sofort ihre Kugeln durch den
Kopf. So sollte der verwundete Betschuane, der dabei gelegen und sich in der
Nacht darauf gerettet hätte, erzählt haben.

Die Londoner Presse, besonders die konservative, erhob über diese Vorgänge
ein gewaltiges Geschrei, und die „öffentliche Meinung," ihr Spiegelbild, bekam
ein sehr rotes Gesicht. Auffallend war dabei für Fernerstehende nur, daß man
über das Einschreiten der Boers im Zululande viel weniger Entrüstung äußerte
als über die Vorgänge jenseits der westlichen Grenze. Hier war, wie be¬
hauptet wurde, „britisches Gebiet," das „britische Protektorat über das Bet-
schuanenland" verletzt worden, ein englischer Beamter, der das Recht seiner
Königin hatte wahren wollen, war grausam ermordet worden, und sein Blut,
die Ehre Britanniens schrie laut um Rache. Solche Unthaten mußten für
die Zukunft unmöglich gemacht, die „Südafrikanische Republik" mußte ver¬
nichtet werden; denn deren Regierung steckte entweder unter einer Decke mit
den „Freibeutern" oder war zu schwach, um dem Treiben derselben zu steuern,
und das erstere kam den Londoner Zeitungsschreibern auch dann noch als das
wahrscheinlichere vor, als man in Pretoria das Protektorat über die neue Re¬
publik im „Lande Gösen" vorläufig fallen ließ. Im Parlamente machten sich diese
Ansichten gleichfalls geltend, wenn auch in etwas maßvollerer Form und Sprache,
und daneben hörte man eine lange und schwungvolle Rede Forsters, des frühem
Kabinetsmitgliedes, über die Pflicht der Negierung, sich der unglücklichen Kaffern
aus Gründen der Philanthropie und damit man ihnen die Segnungen des
Christentums und der Gesittung zuteil werden lassen könne, gegen die hab¬
gierigen und treulosen Boers mit aller Energie anzunehmen, was sehr schön
klang, aber bei Kennern der englischen Parteiverhältnisse nur Lächeln erwecken
konnte.

Die Regierung wurde mit der Sache nicht so leicht und schnell fertig
wie die öffentliche Meinung, indes mußte sie auf dieselbe Rücksicht nehmen,
auch stand in gewissem Maße Englands Prestige in Südafrika auf dem Spiele,
wenn man dort die Dinge gehen ließ. Handeln war bedenklich, denn man


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[0123] England und die Boers. Während des Treffens, welches dadurch herbeigeführt wurde, daß Bethel einen Trupp Freibeuter an einem Viehraub verhindern wollte, stand jener neben dem verwundeten Betschuaneuhäuptliug Israel Molema und versuchte diesem auf sein eignes Pferd zu helfen. Als das mißglückte, bat ihn der Betschucmc, ihn zu verlassen und sich selbst zu retten. Bethel lehnte das edelmütig an^ und bekam bald daraus einen Schuß in das eine Auge, der zum andern Ohr hinausging und ihn zu Boden streckte. Ein englischer Renegat, der auf feiten der Boers focht, wollte ihn nach deren Lager bringen, wenn er sich ergäbe. Letzteres geschah, aber jetzt näherten sich zwei andre von den Gegnern, von denen einer Joel van Nooyeu hieß, und welche den Verwundeten höhnisch fragten, ob er totgeschossen sein wolle. „Schießt nur zu!" rief der heroische Bethel, und die Ungeheuer jagten ihm sofort ihre Kugeln durch den Kopf. So sollte der verwundete Betschuane, der dabei gelegen und sich in der Nacht darauf gerettet hätte, erzählt haben. Die Londoner Presse, besonders die konservative, erhob über diese Vorgänge ein gewaltiges Geschrei, und die „öffentliche Meinung," ihr Spiegelbild, bekam ein sehr rotes Gesicht. Auffallend war dabei für Fernerstehende nur, daß man über das Einschreiten der Boers im Zululande viel weniger Entrüstung äußerte als über die Vorgänge jenseits der westlichen Grenze. Hier war, wie be¬ hauptet wurde, „britisches Gebiet," das „britische Protektorat über das Bet- schuanenland" verletzt worden, ein englischer Beamter, der das Recht seiner Königin hatte wahren wollen, war grausam ermordet worden, und sein Blut, die Ehre Britanniens schrie laut um Rache. Solche Unthaten mußten für die Zukunft unmöglich gemacht, die „Südafrikanische Republik" mußte ver¬ nichtet werden; denn deren Regierung steckte entweder unter einer Decke mit den „Freibeutern" oder war zu schwach, um dem Treiben derselben zu steuern, und das erstere kam den Londoner Zeitungsschreibern auch dann noch als das wahrscheinlichere vor, als man in Pretoria das Protektorat über die neue Re¬ publik im „Lande Gösen" vorläufig fallen ließ. Im Parlamente machten sich diese Ansichten gleichfalls geltend, wenn auch in etwas maßvollerer Form und Sprache, und daneben hörte man eine lange und schwungvolle Rede Forsters, des frühem Kabinetsmitgliedes, über die Pflicht der Negierung, sich der unglücklichen Kaffern aus Gründen der Philanthropie und damit man ihnen die Segnungen des Christentums und der Gesittung zuteil werden lassen könne, gegen die hab¬ gierigen und treulosen Boers mit aller Energie anzunehmen, was sehr schön klang, aber bei Kennern der englischen Parteiverhältnisse nur Lächeln erwecken konnte. Die Regierung wurde mit der Sache nicht so leicht und schnell fertig wie die öffentliche Meinung, indes mußte sie auf dieselbe Rücksicht nehmen, auch stand in gewissem Maße Englands Prestige in Südafrika auf dem Spiele, wenn man dort die Dinge gehen ließ. Handeln war bedenklich, denn man

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341841_194675/123>, abgerufen am 22.07.2024.