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Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Erstes Quartal.

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Die Kommilitonen.

auf den Gesichtern der älteren Herren Befremden hervorrief, die anwesenden
Schüler aber, die den Unwillen des gestrengen Obern heraushörten, erbeben
machte.

Inzwischen wanden und schoben sich die acht Kommilitonen des Jahr¬
ganges 1849 nach vorn. Einer von ihnen mit einem finstern Gesichte murrte
halblaut: Ist wirklich eine Unbescheidenheit, solches Sichvordrängcn gerade von
diesem.

Was fällt dir ein, entgegnen ein andrer, er war doch unser Primus, und
was für einer! worauf jener unwillig erwiederte: Jetzt Ultimus, wie sichs bei
Feststellung der Personalien zeigte; kann eine abscheuliche Blamage für uns alle
abgeben.

Vorbereitet! raunte der auftauchende Redelustige seinem Nebenmanne auf
eine an ihn gerichtete Frage zu, und erhielt hierauf die soldatische Anspornung:
Also los!

Ein Hintermann fügte noch bei: Möge der Allmächtige dich stärken in
deinem Beginnen! und trat damit als Erster an; es war der Ortsgeistliche,
Superintendent sah .... nur die Schulspitznamen seien genannt, sie werden
im Laufe des Festtages noch mehrfach zur Geltung kommen.

Dieser zuerst Vorgetretene war ein behäbiger Biedermann, das Urbild eines
Pastors, von Sexta her Ratz gerufen, Abkürzung seines Vornamens Ignaz.
Ihm folgte ein auffallend eleganter Herr in sehr jugendlichem Kleiderschnitt,
Kameralist von Fach, dann Parlamentarier, jetzt auf seiner erheirateten Ba-
ronie auf großem Fuße lebend; er hatte seit Sekunda den Spitznamen Mirbl,
Verstümmelung von Mirabeau, über den er damals einen schwungvollen Vor¬
trag gehalten und den er sich seitdem zum Muster erwählt hatte. Er war
in xoMieis wegen Mangel an Begabung gestrauchelt, übrigens hatte er nicht
die Riesenkräfte seines Musters und war frühzeitig entnervt; jetzt trug er ein
unbefriedigtes Wesen zur Schau -- er hielt sich für einen Märtyrer der Frei¬
sinnigkeit. Der dritte war der "blasse Heinrich," eine derbe Gestalt in schlichtem,
weitem Rock, Schulmann mit wohlwollendem Gesichtsausdruck, glatt rasirt bis
auf den schmalen Streifen, der Kinn und Wange säumte (ein verunstaltender
Bart!), dazu quer über den Mund eine tüchtige Schmarre. Der vierte war
der Oberst aus dem Generalstabe, der im Zuge mit Pipin zusammen gesehen
wurde, wiederum ein Musterbild, nämlich von Schneidigkeit und Ehrenfcstigkcit.
Aus den untern Klassen hatte er den Spitznamen Genserich wegen seines langen
Halses mitgebracht, und später, in Tertia, nach einer Geschichtsstunde, die mit
den Worten schloß: "Genserich, gewaltig im Kriege, dabei klug, aber auch hart
und grausam, starb 477," war er unter allgemeinem Halloh wiederum zum
Genserich geschlagen und ausgerufen worden. Der fünfte, ein "äußerst Vor¬
nehmer," mit bunten Bändchen im Knopfloch, war Regisseur eines Hoftheaters,
Pipin genannt; niemand wußte, wie er zu diesem Spitznamen gekommen war,


Vrenzboten I. 1LL5. 13
Die Kommilitonen.

auf den Gesichtern der älteren Herren Befremden hervorrief, die anwesenden
Schüler aber, die den Unwillen des gestrengen Obern heraushörten, erbeben
machte.

Inzwischen wanden und schoben sich die acht Kommilitonen des Jahr¬
ganges 1849 nach vorn. Einer von ihnen mit einem finstern Gesichte murrte
halblaut: Ist wirklich eine Unbescheidenheit, solches Sichvordrängcn gerade von
diesem.

Was fällt dir ein, entgegnen ein andrer, er war doch unser Primus, und
was für einer! worauf jener unwillig erwiederte: Jetzt Ultimus, wie sichs bei
Feststellung der Personalien zeigte; kann eine abscheuliche Blamage für uns alle
abgeben.

Vorbereitet! raunte der auftauchende Redelustige seinem Nebenmanne auf
eine an ihn gerichtete Frage zu, und erhielt hierauf die soldatische Anspornung:
Also los!

Ein Hintermann fügte noch bei: Möge der Allmächtige dich stärken in
deinem Beginnen! und trat damit als Erster an; es war der Ortsgeistliche,
Superintendent sah .... nur die Schulspitznamen seien genannt, sie werden
im Laufe des Festtages noch mehrfach zur Geltung kommen.

Dieser zuerst Vorgetretene war ein behäbiger Biedermann, das Urbild eines
Pastors, von Sexta her Ratz gerufen, Abkürzung seines Vornamens Ignaz.
Ihm folgte ein auffallend eleganter Herr in sehr jugendlichem Kleiderschnitt,
Kameralist von Fach, dann Parlamentarier, jetzt auf seiner erheirateten Ba-
ronie auf großem Fuße lebend; er hatte seit Sekunda den Spitznamen Mirbl,
Verstümmelung von Mirabeau, über den er damals einen schwungvollen Vor¬
trag gehalten und den er sich seitdem zum Muster erwählt hatte. Er war
in xoMieis wegen Mangel an Begabung gestrauchelt, übrigens hatte er nicht
die Riesenkräfte seines Musters und war frühzeitig entnervt; jetzt trug er ein
unbefriedigtes Wesen zur Schau — er hielt sich für einen Märtyrer der Frei¬
sinnigkeit. Der dritte war der „blasse Heinrich," eine derbe Gestalt in schlichtem,
weitem Rock, Schulmann mit wohlwollendem Gesichtsausdruck, glatt rasirt bis
auf den schmalen Streifen, der Kinn und Wange säumte (ein verunstaltender
Bart!), dazu quer über den Mund eine tüchtige Schmarre. Der vierte war
der Oberst aus dem Generalstabe, der im Zuge mit Pipin zusammen gesehen
wurde, wiederum ein Musterbild, nämlich von Schneidigkeit und Ehrenfcstigkcit.
Aus den untern Klassen hatte er den Spitznamen Genserich wegen seines langen
Halses mitgebracht, und später, in Tertia, nach einer Geschichtsstunde, die mit
den Worten schloß: „Genserich, gewaltig im Kriege, dabei klug, aber auch hart
und grausam, starb 477," war er unter allgemeinem Halloh wiederum zum
Genserich geschlagen und ausgerufen worden. Der fünfte, ein „äußerst Vor¬
nehmer," mit bunten Bändchen im Knopfloch, war Regisseur eines Hoftheaters,
Pipin genannt; niemand wußte, wie er zu diesem Spitznamen gekommen war,


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[0109] Die Kommilitonen. auf den Gesichtern der älteren Herren Befremden hervorrief, die anwesenden Schüler aber, die den Unwillen des gestrengen Obern heraushörten, erbeben machte. Inzwischen wanden und schoben sich die acht Kommilitonen des Jahr¬ ganges 1849 nach vorn. Einer von ihnen mit einem finstern Gesichte murrte halblaut: Ist wirklich eine Unbescheidenheit, solches Sichvordrängcn gerade von diesem. Was fällt dir ein, entgegnen ein andrer, er war doch unser Primus, und was für einer! worauf jener unwillig erwiederte: Jetzt Ultimus, wie sichs bei Feststellung der Personalien zeigte; kann eine abscheuliche Blamage für uns alle abgeben. Vorbereitet! raunte der auftauchende Redelustige seinem Nebenmanne auf eine an ihn gerichtete Frage zu, und erhielt hierauf die soldatische Anspornung: Also los! Ein Hintermann fügte noch bei: Möge der Allmächtige dich stärken in deinem Beginnen! und trat damit als Erster an; es war der Ortsgeistliche, Superintendent sah .... nur die Schulspitznamen seien genannt, sie werden im Laufe des Festtages noch mehrfach zur Geltung kommen. Dieser zuerst Vorgetretene war ein behäbiger Biedermann, das Urbild eines Pastors, von Sexta her Ratz gerufen, Abkürzung seines Vornamens Ignaz. Ihm folgte ein auffallend eleganter Herr in sehr jugendlichem Kleiderschnitt, Kameralist von Fach, dann Parlamentarier, jetzt auf seiner erheirateten Ba- ronie auf großem Fuße lebend; er hatte seit Sekunda den Spitznamen Mirbl, Verstümmelung von Mirabeau, über den er damals einen schwungvollen Vor¬ trag gehalten und den er sich seitdem zum Muster erwählt hatte. Er war in xoMieis wegen Mangel an Begabung gestrauchelt, übrigens hatte er nicht die Riesenkräfte seines Musters und war frühzeitig entnervt; jetzt trug er ein unbefriedigtes Wesen zur Schau — er hielt sich für einen Märtyrer der Frei¬ sinnigkeit. Der dritte war der „blasse Heinrich," eine derbe Gestalt in schlichtem, weitem Rock, Schulmann mit wohlwollendem Gesichtsausdruck, glatt rasirt bis auf den schmalen Streifen, der Kinn und Wange säumte (ein verunstaltender Bart!), dazu quer über den Mund eine tüchtige Schmarre. Der vierte war der Oberst aus dem Generalstabe, der im Zuge mit Pipin zusammen gesehen wurde, wiederum ein Musterbild, nämlich von Schneidigkeit und Ehrenfcstigkcit. Aus den untern Klassen hatte er den Spitznamen Genserich wegen seines langen Halses mitgebracht, und später, in Tertia, nach einer Geschichtsstunde, die mit den Worten schloß: „Genserich, gewaltig im Kriege, dabei klug, aber auch hart und grausam, starb 477," war er unter allgemeinem Halloh wiederum zum Genserich geschlagen und ausgerufen worden. Der fünfte, ein „äußerst Vor¬ nehmer," mit bunten Bändchen im Knopfloch, war Regisseur eines Hoftheaters, Pipin genannt; niemand wußte, wie er zu diesem Spitznamen gekommen war, Vrenzboten I. 1LL5. 13

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341841_194675/109>, abgerufen am 22.07.2024.