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Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Erstes Quartal.

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Zur Geschichte der Theatcrleitung Goethes.

Weimar war damals nicht dazu angethan, das Unternehmen allein stützen zu
können; teils war es zu klein, teils nicht reich und in seinem Publikum nicht
nachhaltig genug, um unausgesetzt sich dem Genusse des Theaters hingeben zu
können. Dazu kam, daß Goethe auf die breiten Massen zunächst garnicht rech¬
nete, sein Theater war für die geistige Aristokratie berechnet. Fehlte es ihm
an genügenden Mitteln, so trat der Hof für diese ein. Für Weimar wollte er
ja quantitativ nicht mehr leisten, als was sein Vorgänger Bellomo angestrebt
hatte. Aber in künstlerischer Beziehung sollte das Theater intensiver wirken,
und er stellte die Haupterfordernisse gleich in seinem Prologe vor das Publikum,
das nun sah, daß es sich um die Erfüllung wesentlich andrer Vorbedingungen
handelte, wenn er systematische Schulung und Durchbildung der Schauspieler
als unerläßlich hinstellte.

Im wesentlichen baute er auf den gegebenen Fundamenten weiter, d. h. er
wollte zunächst dem Hofe keine größern Opfer ansinnen, als dieser bisher dem
Theater gebracht hatte. Gerade darin zeigt sich auch die Größe des ganzen
Unternehmens. Ein äußerst vorsichtiger Voranschlag über die Kosten und die Er¬
tragsfähigkeit wurde dem Plane zu Grunde gelegt, und es bleibt ein äußerst
bescheidener Zug, daß Goethe die Fortsetzung des Hoftheaters von dem Erfolge
eines einzigen Jahres abhängig machen wollte. Erfolg und Mißerfolg lagen
also für ihn sehr eng neben einander.

War nun vor allem weise Sparsamkeit notwendig, so konnte er am
wenigsten daran denken, daß die kleine Residenz sein Theater ganz allein stützen
und die Fortführung ermöglichen sollte. Nach den Theaterfreuden des Winters
zeigte sich, wie schon unter Bellomo, eine gewisse Abspannung des Publikums,
dessen Säckel man schonend behandeln mußte. Wenn das Entree verhältnis¬
mäßig billig war, so stand dasselbe ja doch zum Werte des Geldes in
Verhältnis. So nahm Goethe sofort seine Zuflucht zu dem auswärtigen
Spiel, teils um den Ausfall, den Weimars Publikum nicht decken konnte, aus¬
zugleichen, teils um die Kräfte nicht unbeschäftigt zu lassen und sie finanziell
auszunutzen. Goethe kannte Ferien für Schauspieler überhaupt nicht. Die jetzt
üblichen drei Monate Vakanz hätten nach dem Zuschnitt seines Theaters uner¬
hörte Müßigkeit bewirkt. Nach Schluß der achtmonatlichen Vorstellungen wurde
die ganze Gesellschaft mit den hauptsächlichsten Requisiten auf etwa neun Wagen
geladen und nach Lauchstädt spedirt, wo sie sofort wieder in Thätigkeit trat.
War dort die Badesaison zu Ende, so kehrte die Gesellschaft unverweilt zurück
und begann ihre Vorstellungen wieder in Weimar, Alsbald beschickte Goethe
von dem Standorte Lauchstädt aus auch Erfurt und Rudolstadt, einmal ver¬
suchte > er es auch mit Naumburg zur Meßzeit, 1807 ließ er in Leipzig
und seit 1811 in Halle längere Zeit Vorstellungen geben; ja zu Zeiten
trennte er die Gesellschaft und ließ an zwei Orten zugleich Oper und Schau¬
spiel aufführen. Es war eben die höchste Anspannung der Kräfte, die er


Zur Geschichte der Theatcrleitung Goethes.

Weimar war damals nicht dazu angethan, das Unternehmen allein stützen zu
können; teils war es zu klein, teils nicht reich und in seinem Publikum nicht
nachhaltig genug, um unausgesetzt sich dem Genusse des Theaters hingeben zu
können. Dazu kam, daß Goethe auf die breiten Massen zunächst garnicht rech¬
nete, sein Theater war für die geistige Aristokratie berechnet. Fehlte es ihm
an genügenden Mitteln, so trat der Hof für diese ein. Für Weimar wollte er
ja quantitativ nicht mehr leisten, als was sein Vorgänger Bellomo angestrebt
hatte. Aber in künstlerischer Beziehung sollte das Theater intensiver wirken,
und er stellte die Haupterfordernisse gleich in seinem Prologe vor das Publikum,
das nun sah, daß es sich um die Erfüllung wesentlich andrer Vorbedingungen
handelte, wenn er systematische Schulung und Durchbildung der Schauspieler
als unerläßlich hinstellte.

Im wesentlichen baute er auf den gegebenen Fundamenten weiter, d. h. er
wollte zunächst dem Hofe keine größern Opfer ansinnen, als dieser bisher dem
Theater gebracht hatte. Gerade darin zeigt sich auch die Größe des ganzen
Unternehmens. Ein äußerst vorsichtiger Voranschlag über die Kosten und die Er¬
tragsfähigkeit wurde dem Plane zu Grunde gelegt, und es bleibt ein äußerst
bescheidener Zug, daß Goethe die Fortsetzung des Hoftheaters von dem Erfolge
eines einzigen Jahres abhängig machen wollte. Erfolg und Mißerfolg lagen
also für ihn sehr eng neben einander.

War nun vor allem weise Sparsamkeit notwendig, so konnte er am
wenigsten daran denken, daß die kleine Residenz sein Theater ganz allein stützen
und die Fortführung ermöglichen sollte. Nach den Theaterfreuden des Winters
zeigte sich, wie schon unter Bellomo, eine gewisse Abspannung des Publikums,
dessen Säckel man schonend behandeln mußte. Wenn das Entree verhältnis¬
mäßig billig war, so stand dasselbe ja doch zum Werte des Geldes in
Verhältnis. So nahm Goethe sofort seine Zuflucht zu dem auswärtigen
Spiel, teils um den Ausfall, den Weimars Publikum nicht decken konnte, aus¬
zugleichen, teils um die Kräfte nicht unbeschäftigt zu lassen und sie finanziell
auszunutzen. Goethe kannte Ferien für Schauspieler überhaupt nicht. Die jetzt
üblichen drei Monate Vakanz hätten nach dem Zuschnitt seines Theaters uner¬
hörte Müßigkeit bewirkt. Nach Schluß der achtmonatlichen Vorstellungen wurde
die ganze Gesellschaft mit den hauptsächlichsten Requisiten auf etwa neun Wagen
geladen und nach Lauchstädt spedirt, wo sie sofort wieder in Thätigkeit trat.
War dort die Badesaison zu Ende, so kehrte die Gesellschaft unverweilt zurück
und begann ihre Vorstellungen wieder in Weimar, Alsbald beschickte Goethe
von dem Standorte Lauchstädt aus auch Erfurt und Rudolstadt, einmal ver¬
suchte > er es auch mit Naumburg zur Meßzeit, 1807 ließ er in Leipzig
und seit 1811 in Halle längere Zeit Vorstellungen geben; ja zu Zeiten
trennte er die Gesellschaft und ließ an zwei Orten zugleich Oper und Schau¬
spiel aufführen. Es war eben die höchste Anspannung der Kräfte, die er


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[0080] Zur Geschichte der Theatcrleitung Goethes. Weimar war damals nicht dazu angethan, das Unternehmen allein stützen zu können; teils war es zu klein, teils nicht reich und in seinem Publikum nicht nachhaltig genug, um unausgesetzt sich dem Genusse des Theaters hingeben zu können. Dazu kam, daß Goethe auf die breiten Massen zunächst garnicht rech¬ nete, sein Theater war für die geistige Aristokratie berechnet. Fehlte es ihm an genügenden Mitteln, so trat der Hof für diese ein. Für Weimar wollte er ja quantitativ nicht mehr leisten, als was sein Vorgänger Bellomo angestrebt hatte. Aber in künstlerischer Beziehung sollte das Theater intensiver wirken, und er stellte die Haupterfordernisse gleich in seinem Prologe vor das Publikum, das nun sah, daß es sich um die Erfüllung wesentlich andrer Vorbedingungen handelte, wenn er systematische Schulung und Durchbildung der Schauspieler als unerläßlich hinstellte. Im wesentlichen baute er auf den gegebenen Fundamenten weiter, d. h. er wollte zunächst dem Hofe keine größern Opfer ansinnen, als dieser bisher dem Theater gebracht hatte. Gerade darin zeigt sich auch die Größe des ganzen Unternehmens. Ein äußerst vorsichtiger Voranschlag über die Kosten und die Er¬ tragsfähigkeit wurde dem Plane zu Grunde gelegt, und es bleibt ein äußerst bescheidener Zug, daß Goethe die Fortsetzung des Hoftheaters von dem Erfolge eines einzigen Jahres abhängig machen wollte. Erfolg und Mißerfolg lagen also für ihn sehr eng neben einander. War nun vor allem weise Sparsamkeit notwendig, so konnte er am wenigsten daran denken, daß die kleine Residenz sein Theater ganz allein stützen und die Fortführung ermöglichen sollte. Nach den Theaterfreuden des Winters zeigte sich, wie schon unter Bellomo, eine gewisse Abspannung des Publikums, dessen Säckel man schonend behandeln mußte. Wenn das Entree verhältnis¬ mäßig billig war, so stand dasselbe ja doch zum Werte des Geldes in Verhältnis. So nahm Goethe sofort seine Zuflucht zu dem auswärtigen Spiel, teils um den Ausfall, den Weimars Publikum nicht decken konnte, aus¬ zugleichen, teils um die Kräfte nicht unbeschäftigt zu lassen und sie finanziell auszunutzen. Goethe kannte Ferien für Schauspieler überhaupt nicht. Die jetzt üblichen drei Monate Vakanz hätten nach dem Zuschnitt seines Theaters uner¬ hörte Müßigkeit bewirkt. Nach Schluß der achtmonatlichen Vorstellungen wurde die ganze Gesellschaft mit den hauptsächlichsten Requisiten auf etwa neun Wagen geladen und nach Lauchstädt spedirt, wo sie sofort wieder in Thätigkeit trat. War dort die Badesaison zu Ende, so kehrte die Gesellschaft unverweilt zurück und begann ihre Vorstellungen wieder in Weimar, Alsbald beschickte Goethe von dem Standorte Lauchstädt aus auch Erfurt und Rudolstadt, einmal ver¬ suchte > er es auch mit Naumburg zur Meßzeit, 1807 ließ er in Leipzig und seit 1811 in Halle längere Zeit Vorstellungen geben; ja zu Zeiten trennte er die Gesellschaft und ließ an zwei Orten zugleich Oper und Schau¬ spiel aufführen. Es war eben die höchste Anspannung der Kräfte, die er

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341839_158199/80>, abgerufen am 23.06.2024.