Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Erstes Quartal.Die parlamentarischen Fraktionen. hätten beinahe gesagt der Heiratsantrag -- von den Fortschrittlern, namentlich Unter den Führer der Sczessivnisten, welche der Vereinigung zugestimmt In der That, wir sind wieder weit in Deutschland gekommen. Ein halbes Die parlamentarischen Fraktionen. hätten beinahe gesagt der Heiratsantrag — von den Fortschrittlern, namentlich Unter den Führer der Sczessivnisten, welche der Vereinigung zugestimmt In der That, wir sind wieder weit in Deutschland gekommen. Ein halbes <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0678" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/155561"/> <fw type="header" place="top"> Die parlamentarischen Fraktionen.</fw><lb/> <p xml:id="ID_2619" prev="#ID_2618"> hätten beinahe gesagt der Heiratsantrag — von den Fortschrittlern, namentlich<lb/> von den Herren Richter und Hänel, ausgegangen. Wochenlang hat man<lb/> verhandelt und endlich ein Programm zusammengedrechselt, auf welches<lb/> man sich geeinigt hat. Verlorne Liebesmühe! Als ob im wirklichen Leben<lb/> die Fragen sich nach einem im voraus festgestellten Programm beantworten<lb/> ließen! Um die Zukunft der neuen Fraktion zu bestimmen, wird man ebenso,<lb/> wie Äsop dem Wandrer zurief, der ihn nach der Länge des von ihm noch<lb/> zurückzulegenden Weges fragte, auch dieser Fraktion vorerst zurufen müssen:<lb/> „Gehe!" Wer wird die Ausführung des Programms diktiren? Das ist die<lb/> Frage. Ohne Zweifel ist Herr Eugen Richter derjenige Mann, welcher in den<lb/> Eigenschaften, die den einflußreichen extremen Parteiführer machen — wohin<lb/> wir namentlich auch Rücksichtslosigkeit rechnen —, die bisherigen Führer beider<lb/> Parteien erheblich überragt. Auch wird wohl niemand glauben, daß Herr<lb/> Richter die Verbindung gesucht habe, weil er etwas von Reue fühle und sich<lb/> den sanftem Anschauungen und Formen seiner neuen Freunde anschließen wolle.<lb/> Er wird sicherlich auch in Zukunft sein Licht nicht unter den Scheffel stellen.<lb/> Das eigentliche Programm Richters ist nicht das, welches er jetzt unterschrieb.<lb/> Es ist ein weit kürzeres und lautet einfach: „Fort mit Bismarck!" Sind nun<lb/> die neuen Freunde Richters auch auf dieses Programm mit ihm einverstanden?<lb/> Können sie den Augenblick nicht erwarten, wo das deutsche Reich einer Epigonen-<lb/> Herrschaft anheimfällt? Was ist denn so entsetzliches geschehen, daß man den<lb/> Mann, welcher das deutsche Reich geschaffen hat, verfolgen zu müssen glaubt,<lb/> mit einem Hasse ohne gleichen?</p><lb/> <p xml:id="ID_2620"> Unter den Führer der Sczessivnisten, welche der Vereinigung zugestimmt<lb/> haben, sind auch Männer, die man bisher nicht anders denn als warme<lb/> Patrioten gekannt hat. Freiherr Schenk von Stauffenberg gehört einem alten<lb/> ruhmwürdigen süddeutschen Geschlechte an und genießt in seinem Heimatlande<lb/> Baiern das größte Ansehen. Herr von Forckenbeck bekleidet die ehrenvolle<lb/> Stelle an der Spitze der Bürgerschaft der Reichshauptstadt und hat lange<lb/> Jahre das Amt des ersten Präsidenten im Abgeordnetenhaus? und Reichstage<lb/> ruhmvoll verwaltet. Beide Männer waren es, welche Herr von Bennigsen dem<lb/> Reichskanzler zum Miteintritt in das preußische Ministerium vorschlagen zu<lb/> müssen glaubte. Wußten denn diese Männer im deutschen Parlamente keine<lb/> andre Stellung sür sich zu gewinnen als in der Gefolgschaft Eugen Richters?<lb/> Wollten sie damit etwa den Beweis führen, daß sie unverdient eine Zurück¬<lb/> weisung vom Reichskanzler erfahren haben? Und wenn sie vielleicht für ihre<lb/> Person nicht in jene Gefolgschaft eintreten wollten, war es dann weise von<lb/> ihnen gehandelt, diejenigen, welche bisher zu ihnen gehalten, den demagogischen<lb/> Redekünsten des Fortschrittlertums zuzuführen?</p><lb/> <p xml:id="ID_2621" next="#ID_2622"> In der That, wir sind wieder weit in Deutschland gekommen. Ein halbes<lb/> Jahrhundert laug hat unser Vaterland schwer gelitten unter dem Zwiespalt</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0678]
Die parlamentarischen Fraktionen.
hätten beinahe gesagt der Heiratsantrag — von den Fortschrittlern, namentlich
von den Herren Richter und Hänel, ausgegangen. Wochenlang hat man
verhandelt und endlich ein Programm zusammengedrechselt, auf welches
man sich geeinigt hat. Verlorne Liebesmühe! Als ob im wirklichen Leben
die Fragen sich nach einem im voraus festgestellten Programm beantworten
ließen! Um die Zukunft der neuen Fraktion zu bestimmen, wird man ebenso,
wie Äsop dem Wandrer zurief, der ihn nach der Länge des von ihm noch
zurückzulegenden Weges fragte, auch dieser Fraktion vorerst zurufen müssen:
„Gehe!" Wer wird die Ausführung des Programms diktiren? Das ist die
Frage. Ohne Zweifel ist Herr Eugen Richter derjenige Mann, welcher in den
Eigenschaften, die den einflußreichen extremen Parteiführer machen — wohin
wir namentlich auch Rücksichtslosigkeit rechnen —, die bisherigen Führer beider
Parteien erheblich überragt. Auch wird wohl niemand glauben, daß Herr
Richter die Verbindung gesucht habe, weil er etwas von Reue fühle und sich
den sanftem Anschauungen und Formen seiner neuen Freunde anschließen wolle.
Er wird sicherlich auch in Zukunft sein Licht nicht unter den Scheffel stellen.
Das eigentliche Programm Richters ist nicht das, welches er jetzt unterschrieb.
Es ist ein weit kürzeres und lautet einfach: „Fort mit Bismarck!" Sind nun
die neuen Freunde Richters auch auf dieses Programm mit ihm einverstanden?
Können sie den Augenblick nicht erwarten, wo das deutsche Reich einer Epigonen-
Herrschaft anheimfällt? Was ist denn so entsetzliches geschehen, daß man den
Mann, welcher das deutsche Reich geschaffen hat, verfolgen zu müssen glaubt,
mit einem Hasse ohne gleichen?
Unter den Führer der Sczessivnisten, welche der Vereinigung zugestimmt
haben, sind auch Männer, die man bisher nicht anders denn als warme
Patrioten gekannt hat. Freiherr Schenk von Stauffenberg gehört einem alten
ruhmwürdigen süddeutschen Geschlechte an und genießt in seinem Heimatlande
Baiern das größte Ansehen. Herr von Forckenbeck bekleidet die ehrenvolle
Stelle an der Spitze der Bürgerschaft der Reichshauptstadt und hat lange
Jahre das Amt des ersten Präsidenten im Abgeordnetenhaus? und Reichstage
ruhmvoll verwaltet. Beide Männer waren es, welche Herr von Bennigsen dem
Reichskanzler zum Miteintritt in das preußische Ministerium vorschlagen zu
müssen glaubte. Wußten denn diese Männer im deutschen Parlamente keine
andre Stellung sür sich zu gewinnen als in der Gefolgschaft Eugen Richters?
Wollten sie damit etwa den Beweis führen, daß sie unverdient eine Zurück¬
weisung vom Reichskanzler erfahren haben? Und wenn sie vielleicht für ihre
Person nicht in jene Gefolgschaft eintreten wollten, war es dann weise von
ihnen gehandelt, diejenigen, welche bisher zu ihnen gehalten, den demagogischen
Redekünsten des Fortschrittlertums zuzuführen?
In der That, wir sind wieder weit in Deutschland gekommen. Ein halbes
Jahrhundert laug hat unser Vaterland schwer gelitten unter dem Zwiespalt
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