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Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Erstes Quartal.

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selbst wenn es ihm gelingt, noch hie und da für seine Person im Plenum zum
Worte zu gelangen.

Die schlimmste Seite des Fraktivusweseus liegt ohne Zweisel darin, daß
dadurch die Verhandlung im Plenum oft zu einer bloßen Formalität herabsinkt.
Die Fraktion hat ihren Beschluß gefaßt, und dabei muß es bleiben, was auch
die öffentliche Verhandlung ergeben mag. Diejenigen, welche innerhalb des
parlamentarischen Parteigetriebes sich den Sinn dafür bewahrt haben, daß auch
in politischen Dingen der Satz: ^uclig,or se "lters, x^rs! eine gewisse Be¬
rechtigung habe, müssen sich öfters schmerzlich dadurch berührt fühlen, daß,
welche Gründe auch, bisher vielleicht ganz unerörtert, von andrer Seite, namentlich
vom Regierungstische aus, für die Sache gebracht werden, doch der Fraktions-
beschluß unerschütterlich feststeht und darnach abgestimmt werden muß. Freilich
für den Fraktionsführer ist es weit angenehmer, wenn er an der Spitze von
so und soviel Mann, die bereits festgemacht sind, aufmarschirt; und er kann
ganz anders ins Zeug gehen, wenn er seine Rede mit den Worten beginnen
kann: "Meine Freunde und ich werden so und so stimmen." Aber dem Interesse
der Sache ist damit nicht immer gedient.

Sehr verwickelt pflegt sich das Getriebe im Innern einer Fraktion zu ge¬
stalten, wenn darin mehrere Führer sich befinden, welche in dem Ansehen, das
sie genießen, sich die Wage halten und in ihrer Richtung nicht ganz überein¬
stimmen. In diesem Falle spielen sich dann wohl manche Intriguen ab, mittelst
deren der eine den andern aus dem Sattel zu heben sucht. Gelingt das nicht,
so tritt öfters die Erscheinung ans, daß die Fraktion in "zwei Flügel" sich
teilt, welche unter Umständen nicht mehr zusammengehen. Ein solcher Dualismus
hatte sich bereits seit längerer Zeit in der nationalliberalcn Partei gebildet, als
er bei den Zollverhandlungen des Jahres 1879 zum vollen Ausdruck kam.
Schon beim Schluß dieser Verhandlungen war es klar, daß die Partei nicht
mehr zusammenhalten könne, und es handelte sich in der That nur noch um
die Frage, wer die Firma fortführen solle. Aus Widerwillen an den Vor¬
gängen, welche im Innern der Fraktion sich abgespielt hatten, schied bereits
damals die Gruppe Schauß-Volk aus. Der eigentliche Bruch an der natürlichen
Stelle vollzog sich aber erst einige Zeit später durch die "Sezession." Man
hat öfters geglaubt, daß auch in der Fortschrittspartei ein ähnlicher Dualismus
bestehe zwischen den Fortschrittlern Richterscher und denen Hänelscher Observanz.
Indessen hat diese Fraktion, nachdem die kleine Gruppe Löwe-Berger aus¬
geschieden war, wieder zusammengehalten; und Herr Hänel hat durch seine famose
ReichstagSrede vom 30. August vorigen Jahres gezeigt, daß auch er vom echt
fortschrittlichen Standpunkt aus zu rede" verstehe.

Neuerdings ist nun an die Stelle der bisherigen Trennungen eine neue
Vereinigung getreten zwischen Sezession und Fortschritt. Wie wir durch eine
Rede Rickerts erfahren haben, ist der Antrag auf diese Verbindung -- wir


selbst wenn es ihm gelingt, noch hie und da für seine Person im Plenum zum
Worte zu gelangen.

Die schlimmste Seite des Fraktivusweseus liegt ohne Zweisel darin, daß
dadurch die Verhandlung im Plenum oft zu einer bloßen Formalität herabsinkt.
Die Fraktion hat ihren Beschluß gefaßt, und dabei muß es bleiben, was auch
die öffentliche Verhandlung ergeben mag. Diejenigen, welche innerhalb des
parlamentarischen Parteigetriebes sich den Sinn dafür bewahrt haben, daß auch
in politischen Dingen der Satz: ^uclig,or se »lters, x^rs! eine gewisse Be¬
rechtigung habe, müssen sich öfters schmerzlich dadurch berührt fühlen, daß,
welche Gründe auch, bisher vielleicht ganz unerörtert, von andrer Seite, namentlich
vom Regierungstische aus, für die Sache gebracht werden, doch der Fraktions-
beschluß unerschütterlich feststeht und darnach abgestimmt werden muß. Freilich
für den Fraktionsführer ist es weit angenehmer, wenn er an der Spitze von
so und soviel Mann, die bereits festgemacht sind, aufmarschirt; und er kann
ganz anders ins Zeug gehen, wenn er seine Rede mit den Worten beginnen
kann: „Meine Freunde und ich werden so und so stimmen." Aber dem Interesse
der Sache ist damit nicht immer gedient.

Sehr verwickelt pflegt sich das Getriebe im Innern einer Fraktion zu ge¬
stalten, wenn darin mehrere Führer sich befinden, welche in dem Ansehen, das
sie genießen, sich die Wage halten und in ihrer Richtung nicht ganz überein¬
stimmen. In diesem Falle spielen sich dann wohl manche Intriguen ab, mittelst
deren der eine den andern aus dem Sattel zu heben sucht. Gelingt das nicht,
so tritt öfters die Erscheinung ans, daß die Fraktion in „zwei Flügel" sich
teilt, welche unter Umständen nicht mehr zusammengehen. Ein solcher Dualismus
hatte sich bereits seit längerer Zeit in der nationalliberalcn Partei gebildet, als
er bei den Zollverhandlungen des Jahres 1879 zum vollen Ausdruck kam.
Schon beim Schluß dieser Verhandlungen war es klar, daß die Partei nicht
mehr zusammenhalten könne, und es handelte sich in der That nur noch um
die Frage, wer die Firma fortführen solle. Aus Widerwillen an den Vor¬
gängen, welche im Innern der Fraktion sich abgespielt hatten, schied bereits
damals die Gruppe Schauß-Volk aus. Der eigentliche Bruch an der natürlichen
Stelle vollzog sich aber erst einige Zeit später durch die „Sezession." Man
hat öfters geglaubt, daß auch in der Fortschrittspartei ein ähnlicher Dualismus
bestehe zwischen den Fortschrittlern Richterscher und denen Hänelscher Observanz.
Indessen hat diese Fraktion, nachdem die kleine Gruppe Löwe-Berger aus¬
geschieden war, wieder zusammengehalten; und Herr Hänel hat durch seine famose
ReichstagSrede vom 30. August vorigen Jahres gezeigt, daß auch er vom echt
fortschrittlichen Standpunkt aus zu rede» verstehe.

Neuerdings ist nun an die Stelle der bisherigen Trennungen eine neue
Vereinigung getreten zwischen Sezession und Fortschritt. Wie wir durch eine
Rede Rickerts erfahren haben, ist der Antrag auf diese Verbindung — wir


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341839_158199/677>, abgerufen am 03.07.2024.