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Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Erstes Quartal.

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Hermann Lettners Uleine Schriften.

besten seiner "Kleinen Schriften" hervor. Unter den "Biographien", welche den
Band einleiten, möchten wir dem Aufsatz über "Ernst Rietschel" (aus den Grenz¬
boten von 1861) den Vorzug geben und dann die zuerst in verschiedenen Jahr¬
gängen der Allgemeinen Zeitung gedruckten Lebensskizzen von "Alfred Rethel"
und "Ludwig Schmorr vou Carolsfeld" anreihen. Auch die kleine Biographie
"Wolf Graf Baudissin" (aus der Deutschen Rundschau 1880) ist ein sehr feines
und anschauliches Charakterbild. Unter den nicht schon genannten Aufsätzen
"Zur Kunst," die den zweiten Abschnitt des Buches bilden, heben wir die sinnig
eingehende Beschreibung "Das neue Museum in Dresden" und die geistvolle
Abhandlung "Der Zwinger in Dresden" besonders hervor. In den Abhandlungen
"Zur Literatur" interessiren vor allem der bereits erwähnte Aufsatz "Die alt¬
französische Tragödie" und zwei Studien über "Goethes Iphigenia" und "Goethes
Stellung zur bildenden Kunst seiner Zeit," letztere beiden allerdings in der Haupt¬
sache in Kapiteln des letzten Teiles der Literaturgeschichte des achtzehnten Jahr¬
hunderts bereits aufgenommen, aber auch in ihrer ursprünglichen Fassung von
Wert. Unter den Gelegenheitsreden steht die "Festrede bei der Säkularfeier
der Dresdner Kunstakademie" insofern obenan, als sie die besondern Anschauungen
und Überzeugungen Hettners in schärfster Weise wiedergiebt. Auch die Rede
bei der Enthüllung des Gellertdcnkmnls in Hainichen und die bei der Ent¬
hüllung des Winckclmanndenkmals im Treppenhnuse des japanischen Palais
zu Dresden legen von der Einheit und Konsequenz dieser Anschauungen Zeugnis
ab. Freilich mußte ein Ästhetiker, der so unbedingt nicht nur vou künstlerischem
Wert, sondern auch von der Mnstergiltigkcit der historischen Kunst der römisch¬
deutschen und Münchener Schule vom Anfange dieses Jahrhundert durchdrungen
war, lebendiger Einwirkung auf die jüngeren, größtenteils andern Wegen fol¬
genden Künstlertalente entbehren. Gleichwohl war Hettner von der Einseitigkeit
der strengen Corneliauer (welche Paul Heyse mit so köstlichem Humor in der
Figur des Philipp Emanuel Kohle poetisch verewigt hat) weit entfernt. Aber
er meinte doch, daß der Begriff der künstlerischen Monumentalität nicht nur
vorübergehend wiedererobert sein dürfe. "Alle wirklich lebensfähigen Kunstrich¬
tungen der Gegenwart stehen unter dem Segen dieses belebenden Einflusses.
Der Architekt sowohl wie der Bildhauer; nicht nur der Historienmaler, sondern
auch der Genremaler und der Landschaftsmaler. Im Zeichen dieses Idealismus
wollen wir siegen; im Zeichen des echten und wahren Idealismus, der uicht,
wie die platten Naturalisten meinen, die Verneinung und Verleugnung, sondern
die Vertiefung und Verklärung der Natur ist." Für Hettner waren Künstler wie
Rietschel und Preller in diesem Zeichen inbegriffen. Immerhin aber ergab sich
hier ein Zwiespalt nicht nur mit ganzen Gruppen lebendig schaffender Künstler,
sondern auch mit jenen jungen Ästhetikern, welche das Recht der Lebenden zu
einem unbedingten Recht auch allen großen Toten gegenüber erheben.


Hermann Lettners Uleine Schriften.

besten seiner „Kleinen Schriften" hervor. Unter den „Biographien", welche den
Band einleiten, möchten wir dem Aufsatz über „Ernst Rietschel" (aus den Grenz¬
boten von 1861) den Vorzug geben und dann die zuerst in verschiedenen Jahr¬
gängen der Allgemeinen Zeitung gedruckten Lebensskizzen von „Alfred Rethel"
und „Ludwig Schmorr vou Carolsfeld" anreihen. Auch die kleine Biographie
„Wolf Graf Baudissin" (aus der Deutschen Rundschau 1880) ist ein sehr feines
und anschauliches Charakterbild. Unter den nicht schon genannten Aufsätzen
„Zur Kunst," die den zweiten Abschnitt des Buches bilden, heben wir die sinnig
eingehende Beschreibung „Das neue Museum in Dresden" und die geistvolle
Abhandlung „Der Zwinger in Dresden" besonders hervor. In den Abhandlungen
„Zur Literatur" interessiren vor allem der bereits erwähnte Aufsatz „Die alt¬
französische Tragödie" und zwei Studien über „Goethes Iphigenia" und „Goethes
Stellung zur bildenden Kunst seiner Zeit," letztere beiden allerdings in der Haupt¬
sache in Kapiteln des letzten Teiles der Literaturgeschichte des achtzehnten Jahr¬
hunderts bereits aufgenommen, aber auch in ihrer ursprünglichen Fassung von
Wert. Unter den Gelegenheitsreden steht die „Festrede bei der Säkularfeier
der Dresdner Kunstakademie" insofern obenan, als sie die besondern Anschauungen
und Überzeugungen Hettners in schärfster Weise wiedergiebt. Auch die Rede
bei der Enthüllung des Gellertdcnkmnls in Hainichen und die bei der Ent¬
hüllung des Winckclmanndenkmals im Treppenhnuse des japanischen Palais
zu Dresden legen von der Einheit und Konsequenz dieser Anschauungen Zeugnis
ab. Freilich mußte ein Ästhetiker, der so unbedingt nicht nur vou künstlerischem
Wert, sondern auch von der Mnstergiltigkcit der historischen Kunst der römisch¬
deutschen und Münchener Schule vom Anfange dieses Jahrhundert durchdrungen
war, lebendiger Einwirkung auf die jüngeren, größtenteils andern Wegen fol¬
genden Künstlertalente entbehren. Gleichwohl war Hettner von der Einseitigkeit
der strengen Corneliauer (welche Paul Heyse mit so köstlichem Humor in der
Figur des Philipp Emanuel Kohle poetisch verewigt hat) weit entfernt. Aber
er meinte doch, daß der Begriff der künstlerischen Monumentalität nicht nur
vorübergehend wiedererobert sein dürfe. „Alle wirklich lebensfähigen Kunstrich¬
tungen der Gegenwart stehen unter dem Segen dieses belebenden Einflusses.
Der Architekt sowohl wie der Bildhauer; nicht nur der Historienmaler, sondern
auch der Genremaler und der Landschaftsmaler. Im Zeichen dieses Idealismus
wollen wir siegen; im Zeichen des echten und wahren Idealismus, der uicht,
wie die platten Naturalisten meinen, die Verneinung und Verleugnung, sondern
die Vertiefung und Verklärung der Natur ist." Für Hettner waren Künstler wie
Rietschel und Preller in diesem Zeichen inbegriffen. Immerhin aber ergab sich
hier ein Zwiespalt nicht nur mit ganzen Gruppen lebendig schaffender Künstler,
sondern auch mit jenen jungen Ästhetikern, welche das Recht der Lebenden zu
einem unbedingten Recht auch allen großen Toten gegenüber erheben.


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[0662] Hermann Lettners Uleine Schriften. besten seiner „Kleinen Schriften" hervor. Unter den „Biographien", welche den Band einleiten, möchten wir dem Aufsatz über „Ernst Rietschel" (aus den Grenz¬ boten von 1861) den Vorzug geben und dann die zuerst in verschiedenen Jahr¬ gängen der Allgemeinen Zeitung gedruckten Lebensskizzen von „Alfred Rethel" und „Ludwig Schmorr vou Carolsfeld" anreihen. Auch die kleine Biographie „Wolf Graf Baudissin" (aus der Deutschen Rundschau 1880) ist ein sehr feines und anschauliches Charakterbild. Unter den nicht schon genannten Aufsätzen „Zur Kunst," die den zweiten Abschnitt des Buches bilden, heben wir die sinnig eingehende Beschreibung „Das neue Museum in Dresden" und die geistvolle Abhandlung „Der Zwinger in Dresden" besonders hervor. In den Abhandlungen „Zur Literatur" interessiren vor allem der bereits erwähnte Aufsatz „Die alt¬ französische Tragödie" und zwei Studien über „Goethes Iphigenia" und „Goethes Stellung zur bildenden Kunst seiner Zeit," letztere beiden allerdings in der Haupt¬ sache in Kapiteln des letzten Teiles der Literaturgeschichte des achtzehnten Jahr¬ hunderts bereits aufgenommen, aber auch in ihrer ursprünglichen Fassung von Wert. Unter den Gelegenheitsreden steht die „Festrede bei der Säkularfeier der Dresdner Kunstakademie" insofern obenan, als sie die besondern Anschauungen und Überzeugungen Hettners in schärfster Weise wiedergiebt. Auch die Rede bei der Enthüllung des Gellertdcnkmnls in Hainichen und die bei der Ent¬ hüllung des Winckclmanndenkmals im Treppenhnuse des japanischen Palais zu Dresden legen von der Einheit und Konsequenz dieser Anschauungen Zeugnis ab. Freilich mußte ein Ästhetiker, der so unbedingt nicht nur vou künstlerischem Wert, sondern auch von der Mnstergiltigkcit der historischen Kunst der römisch¬ deutschen und Münchener Schule vom Anfange dieses Jahrhundert durchdrungen war, lebendiger Einwirkung auf die jüngeren, größtenteils andern Wegen fol¬ genden Künstlertalente entbehren. Gleichwohl war Hettner von der Einseitigkeit der strengen Corneliauer (welche Paul Heyse mit so köstlichem Humor in der Figur des Philipp Emanuel Kohle poetisch verewigt hat) weit entfernt. Aber er meinte doch, daß der Begriff der künstlerischen Monumentalität nicht nur vorübergehend wiedererobert sein dürfe. „Alle wirklich lebensfähigen Kunstrich¬ tungen der Gegenwart stehen unter dem Segen dieses belebenden Einflusses. Der Architekt sowohl wie der Bildhauer; nicht nur der Historienmaler, sondern auch der Genremaler und der Landschaftsmaler. Im Zeichen dieses Idealismus wollen wir siegen; im Zeichen des echten und wahren Idealismus, der uicht, wie die platten Naturalisten meinen, die Verneinung und Verleugnung, sondern die Vertiefung und Verklärung der Natur ist." Für Hettner waren Künstler wie Rietschel und Preller in diesem Zeichen inbegriffen. Immerhin aber ergab sich hier ein Zwiespalt nicht nur mit ganzen Gruppen lebendig schaffender Künstler, sondern auch mit jenen jungen Ästhetikern, welche das Recht der Lebenden zu einem unbedingten Recht auch allen großen Toten gegenüber erheben.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341839_158199/662>, abgerufen am 30.06.2024.