Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Erstes Quartal.

Bild:
<< vorherige Seite
Die Sage vom ewigen Juden.

durch Auflösung der fünften Schwadronen wenige Tage nach Erlaß der Mobil-
machungsordre fähig ist, auszurücken. Für ihre Kriegsbereitschaft wäre jene
Maßregel geradezu der Todesstoß. Durch Verwirklichung der zweiten der oben¬
erwähnten Möglichkeiten andrerseits würde unsre gesamte Mobilmachung, auf
deren Schnelligkeit wir bekanntlich große Hoffnungen bauen, ungemein erschwert
und verlangsamt werden. Etwa ein Drittteil der Feldarmee erster Linie würde
dabei aus Regimentern bestehen, die durchweg aus Reservisten zusammengesetzt
wären. Mit einem Wort: Die Reorganisation von 1860 würde zum großen
Teile rückgängig gemacht und annähernd wieder die Zustände herbeigeführt
werden, deren UnHaltbarkeit die Mobilmachungen der fünfziger Jahre, wenn
nicht aller Welt, so doch jedem einsichtigen Militär, deutlich gemacht haben,
und aus denen uns der klare Blick und die feste Hand unsers jetzigen kaiserlichen
Herrn noch zur rechten Zeit erlöst hat.




Die Hage vom ewigen Juden.

o nennt sich eine kürzlich erschienene Schrift von L. Neubanr,
welche den interessanten Gegenstand gründlich und mit Einschluß
der über denselben vorhandnen ältern und neuern Literatur be¬
handelt. Die Sage ist bekanntlich viel und mehr als irgend eine
andre von deutschen Dichtern bearbeitet worden. Wir erinnern
an Schubarts wilde Rhapsodie, an Goethe, der sie in ein Epos umbilden wollte,
es aber bei einem Fragmente ließ, an die Dichtungen Lenaus, Mosers und
Hamerlings, und an Klingemanns Trauerspiel "Ahasver," in welchem Ludwig
Devrient mit Vorliebe die Titelrolle spielte. Desgleichen haben Literarhistoriker
die Legende bereits behandelt, u. a. Görres und in den letzten Jahren Helbig,
doch kann man sagen, daß ihr Ursprung und ihre Fortbildung erst durch die
Untersuchung Neubaurs vollkommen aufgehellt worden sind, nur möchten wir
den Resultaten desselben hinzufügen, daß auch der Elias der mittelalterlichen
und der heutigen orthodoxen Juden und der arabische Chidr bei ihrer Ent¬
stehung mitgewirkt haben müssen.

Die Sage von dem fluchbeladenen und zu ewiger Wanderung verdammten
Juden Ahasver hat sich zunächst aus alten Traditionen gebildet, die sich um
zwei Bibelstellen gruppirten. Die erste ist das Wort Christi Matth. 16, 28:
"Wahrlich, ich sage euch, es stehen hier etliche, die werden den Tod nicht schmecken,
bis daß sie des Menschen Sohn kommen sehen in sein Reich." Die andre,


Die Sage vom ewigen Juden.

durch Auflösung der fünften Schwadronen wenige Tage nach Erlaß der Mobil-
machungsordre fähig ist, auszurücken. Für ihre Kriegsbereitschaft wäre jene
Maßregel geradezu der Todesstoß. Durch Verwirklichung der zweiten der oben¬
erwähnten Möglichkeiten andrerseits würde unsre gesamte Mobilmachung, auf
deren Schnelligkeit wir bekanntlich große Hoffnungen bauen, ungemein erschwert
und verlangsamt werden. Etwa ein Drittteil der Feldarmee erster Linie würde
dabei aus Regimentern bestehen, die durchweg aus Reservisten zusammengesetzt
wären. Mit einem Wort: Die Reorganisation von 1860 würde zum großen
Teile rückgängig gemacht und annähernd wieder die Zustände herbeigeführt
werden, deren UnHaltbarkeit die Mobilmachungen der fünfziger Jahre, wenn
nicht aller Welt, so doch jedem einsichtigen Militär, deutlich gemacht haben,
und aus denen uns der klare Blick und die feste Hand unsers jetzigen kaiserlichen
Herrn noch zur rechten Zeit erlöst hat.




Die Hage vom ewigen Juden.

o nennt sich eine kürzlich erschienene Schrift von L. Neubanr,
welche den interessanten Gegenstand gründlich und mit Einschluß
der über denselben vorhandnen ältern und neuern Literatur be¬
handelt. Die Sage ist bekanntlich viel und mehr als irgend eine
andre von deutschen Dichtern bearbeitet worden. Wir erinnern
an Schubarts wilde Rhapsodie, an Goethe, der sie in ein Epos umbilden wollte,
es aber bei einem Fragmente ließ, an die Dichtungen Lenaus, Mosers und
Hamerlings, und an Klingemanns Trauerspiel „Ahasver," in welchem Ludwig
Devrient mit Vorliebe die Titelrolle spielte. Desgleichen haben Literarhistoriker
die Legende bereits behandelt, u. a. Görres und in den letzten Jahren Helbig,
doch kann man sagen, daß ihr Ursprung und ihre Fortbildung erst durch die
Untersuchung Neubaurs vollkommen aufgehellt worden sind, nur möchten wir
den Resultaten desselben hinzufügen, daß auch der Elias der mittelalterlichen
und der heutigen orthodoxen Juden und der arabische Chidr bei ihrer Ent¬
stehung mitgewirkt haben müssen.

Die Sage von dem fluchbeladenen und zu ewiger Wanderung verdammten
Juden Ahasver hat sich zunächst aus alten Traditionen gebildet, die sich um
zwei Bibelstellen gruppirten. Die erste ist das Wort Christi Matth. 16, 28:
„Wahrlich, ich sage euch, es stehen hier etliche, die werden den Tod nicht schmecken,
bis daß sie des Menschen Sohn kommen sehen in sein Reich." Die andre,


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0652" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/155535"/>
          <fw type="header" place="top"> Die Sage vom ewigen Juden.</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_2565" prev="#ID_2564"> durch Auflösung der fünften Schwadronen wenige Tage nach Erlaß der Mobil-<lb/>
machungsordre fähig ist, auszurücken. Für ihre Kriegsbereitschaft wäre jene<lb/>
Maßregel geradezu der Todesstoß. Durch Verwirklichung der zweiten der oben¬<lb/>
erwähnten Möglichkeiten andrerseits würde unsre gesamte Mobilmachung, auf<lb/>
deren Schnelligkeit wir bekanntlich große Hoffnungen bauen, ungemein erschwert<lb/>
und verlangsamt werden. Etwa ein Drittteil der Feldarmee erster Linie würde<lb/>
dabei aus Regimentern bestehen, die durchweg aus Reservisten zusammengesetzt<lb/>
wären. Mit einem Wort: Die Reorganisation von 1860 würde zum großen<lb/>
Teile rückgängig gemacht und annähernd wieder die Zustände herbeigeführt<lb/>
werden, deren UnHaltbarkeit die Mobilmachungen der fünfziger Jahre, wenn<lb/>
nicht aller Welt, so doch jedem einsichtigen Militär, deutlich gemacht haben,<lb/>
und aus denen uns der klare Blick und die feste Hand unsers jetzigen kaiserlichen<lb/>
Herrn noch zur rechten Zeit erlöst hat.</p><lb/>
          <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
        </div>
        <div n="1">
          <head> Die Hage vom ewigen Juden.</head><lb/>
          <p xml:id="ID_2566"> o nennt sich eine kürzlich erschienene Schrift von L. Neubanr,<lb/>
welche den interessanten Gegenstand gründlich und mit Einschluß<lb/>
der über denselben vorhandnen ältern und neuern Literatur be¬<lb/>
handelt. Die Sage ist bekanntlich viel und mehr als irgend eine<lb/>
andre von deutschen Dichtern bearbeitet worden. Wir erinnern<lb/>
an Schubarts wilde Rhapsodie, an Goethe, der sie in ein Epos umbilden wollte,<lb/>
es aber bei einem Fragmente ließ, an die Dichtungen Lenaus, Mosers und<lb/>
Hamerlings, und an Klingemanns Trauerspiel &#x201E;Ahasver," in welchem Ludwig<lb/>
Devrient mit Vorliebe die Titelrolle spielte. Desgleichen haben Literarhistoriker<lb/>
die Legende bereits behandelt, u. a. Görres und in den letzten Jahren Helbig,<lb/>
doch kann man sagen, daß ihr Ursprung und ihre Fortbildung erst durch die<lb/>
Untersuchung Neubaurs vollkommen aufgehellt worden sind, nur möchten wir<lb/>
den Resultaten desselben hinzufügen, daß auch der Elias der mittelalterlichen<lb/>
und der heutigen orthodoxen Juden und der arabische Chidr bei ihrer Ent¬<lb/>
stehung mitgewirkt haben müssen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_2567" next="#ID_2568"> Die Sage von dem fluchbeladenen und zu ewiger Wanderung verdammten<lb/>
Juden Ahasver hat sich zunächst aus alten Traditionen gebildet, die sich um<lb/>
zwei Bibelstellen gruppirten. Die erste ist das Wort Christi Matth. 16, 28:<lb/>
&#x201E;Wahrlich, ich sage euch, es stehen hier etliche, die werden den Tod nicht schmecken,<lb/>
bis daß sie des Menschen Sohn kommen sehen in sein Reich."  Die andre,</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0652] Die Sage vom ewigen Juden. durch Auflösung der fünften Schwadronen wenige Tage nach Erlaß der Mobil- machungsordre fähig ist, auszurücken. Für ihre Kriegsbereitschaft wäre jene Maßregel geradezu der Todesstoß. Durch Verwirklichung der zweiten der oben¬ erwähnten Möglichkeiten andrerseits würde unsre gesamte Mobilmachung, auf deren Schnelligkeit wir bekanntlich große Hoffnungen bauen, ungemein erschwert und verlangsamt werden. Etwa ein Drittteil der Feldarmee erster Linie würde dabei aus Regimentern bestehen, die durchweg aus Reservisten zusammengesetzt wären. Mit einem Wort: Die Reorganisation von 1860 würde zum großen Teile rückgängig gemacht und annähernd wieder die Zustände herbeigeführt werden, deren UnHaltbarkeit die Mobilmachungen der fünfziger Jahre, wenn nicht aller Welt, so doch jedem einsichtigen Militär, deutlich gemacht haben, und aus denen uns der klare Blick und die feste Hand unsers jetzigen kaiserlichen Herrn noch zur rechten Zeit erlöst hat. Die Hage vom ewigen Juden. o nennt sich eine kürzlich erschienene Schrift von L. Neubanr, welche den interessanten Gegenstand gründlich und mit Einschluß der über denselben vorhandnen ältern und neuern Literatur be¬ handelt. Die Sage ist bekanntlich viel und mehr als irgend eine andre von deutschen Dichtern bearbeitet worden. Wir erinnern an Schubarts wilde Rhapsodie, an Goethe, der sie in ein Epos umbilden wollte, es aber bei einem Fragmente ließ, an die Dichtungen Lenaus, Mosers und Hamerlings, und an Klingemanns Trauerspiel „Ahasver," in welchem Ludwig Devrient mit Vorliebe die Titelrolle spielte. Desgleichen haben Literarhistoriker die Legende bereits behandelt, u. a. Görres und in den letzten Jahren Helbig, doch kann man sagen, daß ihr Ursprung und ihre Fortbildung erst durch die Untersuchung Neubaurs vollkommen aufgehellt worden sind, nur möchten wir den Resultaten desselben hinzufügen, daß auch der Elias der mittelalterlichen und der heutigen orthodoxen Juden und der arabische Chidr bei ihrer Ent¬ stehung mitgewirkt haben müssen. Die Sage von dem fluchbeladenen und zu ewiger Wanderung verdammten Juden Ahasver hat sich zunächst aus alten Traditionen gebildet, die sich um zwei Bibelstellen gruppirten. Die erste ist das Wort Christi Matth. 16, 28: „Wahrlich, ich sage euch, es stehen hier etliche, die werden den Tod nicht schmecken, bis daß sie des Menschen Sohn kommen sehen in sein Reich." Die andre,

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341839_158199
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341839_158199/652
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341839_158199/652>, abgerufen am 26.06.2024.