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Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Erstes Quartal.

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Der verfassungskonsiikt in Norwegen.

Zwischenzeit ein entgegengesetzter Storthingsbeschluß ergangen wäre, und der nun
dem Könige nochmals mit dem Begehren vorgelegt wird, daß er demselben
seine Sanktion nicht verweigern möge, sofort Gesetz werden solle, wenn auch
dessen Sanktion nicht erfolgt sei, ehe das Storthing auseinandergeht.

Aus dieser Bestimmung ergiebt sich, daß dem Könige legislativen Beschlüssen
des Storthings gegenüber ein Veto zusteht, daß aber dieses Veto nur ein
suspensives ist und durch beharrliches Festhalten des Storthings an seinen
Beschlüssen beseitigt werden kann, und auf diese Bestimmung des Grundgesetzes
stützt sich der obengenannte, unter dein 9. Juni 1880 vom Storthing an¬
genommene Sverdrupschc Antrag sowie in der Folge das jetzt ergangene Urteil
des Reichsgerichts.

Daß diese Bestimmung des Grundgesetzes jedoch nur auf legislative Be¬
schlüsse des Storthings, nicht aber auf Stvrthingsbeschlüsse andrer Art und
insbesondre nicht auf Beschlüsse, welche Verfassungsänderungen involviren,
Anwendung findet, ergiebt sich aus folgenden Erwägungen. Die Thätigkeit des
Storthings ist keine bloß legislative, da dasselbe nicht nur Gesetze zu geben,
sondern auch Steuern, Abgaben, Zölle und andre öffentliche Lasten aufzulegen,
Staatsanlehen zu eröffnen, die Geldmittel für die Staatsausgaben zu bewilligen
und in mehrfachen Beziehungen die Regierung zu koutroliren hat. Auch diese
Thätigkeit macht Beschlüsse notwendig. Die eben ausgeführten, ausdrücklich nur
auf das Zustandebringen von Gesetzen beschränkten Bestimmungen über das
suspensive Veto des Königs können somit nicht ohne weiteres auch auf derartige
andre Beschlüsse Anwendung finden. Durch Beschluß der Reichsversammlung
vom 11. Mai 1874 ist deren ausschließliche Beziehung auf die Gesetzgebung
im engern Sinne des Wortes festgestellt worden. Die oben aufgeführten, aus¬
nahmsweise der königlichen Sanktion nicht bedürfenden Beschlüsse sind lauter
solche nicht legislativen Charakters. Damit ist von selbst gesagt, daß prinzipiell
allen und jeden Stvrthingsbeschlüssen gegenüber ein königliches Sanktionsrecht
besteht, nicht bloß Beschlüssen, welche auf die Einführung oder Aushebung von
Gesetzen abzielen. Dieses stillschweigend vorausgesetzte allgemeine Sanktionsrecht
des Königs ist aber noch ausdrücklich durch die oben aufgeführte Bestimmung
ausgesprochen, nach welcher alle beim Schlüsse des Storthings vom Könige nicht
ausdrücklich bestätigten Storthingsbeschlüsse als von ihm verworfen gelten. Dem
Könige steht also gegenüber allen und jeden Stvrthingsbeschlüssen (mit Ausnahme
der oben angeführten sechs Fälle) ein Sanktionsrecht zu; nur bezüglich der
legislativen Beschlüsse des Storthiugs ist das königliche Veto als ein suspensives
bezeichnet, es muß deshalb allen andern Stvrthingsbeschlüssen gegenüber als ein
absolutes anerkannt werden. Daß dieser Grundsatz nicht nur auch bei Ver¬
fassungsänderungen , sondern ganz besonders und hauptsächlich bei diesen gelten
muß, liegt in der Natur der Sache, denn wo immer zwischen Verfassungs¬
änderungen und andern Akten der Gesetzgebmig unterschieden wird, geschieht


Der verfassungskonsiikt in Norwegen.

Zwischenzeit ein entgegengesetzter Storthingsbeschluß ergangen wäre, und der nun
dem Könige nochmals mit dem Begehren vorgelegt wird, daß er demselben
seine Sanktion nicht verweigern möge, sofort Gesetz werden solle, wenn auch
dessen Sanktion nicht erfolgt sei, ehe das Storthing auseinandergeht.

Aus dieser Bestimmung ergiebt sich, daß dem Könige legislativen Beschlüssen
des Storthings gegenüber ein Veto zusteht, daß aber dieses Veto nur ein
suspensives ist und durch beharrliches Festhalten des Storthings an seinen
Beschlüssen beseitigt werden kann, und auf diese Bestimmung des Grundgesetzes
stützt sich der obengenannte, unter dein 9. Juni 1880 vom Storthing an¬
genommene Sverdrupschc Antrag sowie in der Folge das jetzt ergangene Urteil
des Reichsgerichts.

Daß diese Bestimmung des Grundgesetzes jedoch nur auf legislative Be¬
schlüsse des Storthings, nicht aber auf Stvrthingsbeschlüsse andrer Art und
insbesondre nicht auf Beschlüsse, welche Verfassungsänderungen involviren,
Anwendung findet, ergiebt sich aus folgenden Erwägungen. Die Thätigkeit des
Storthings ist keine bloß legislative, da dasselbe nicht nur Gesetze zu geben,
sondern auch Steuern, Abgaben, Zölle und andre öffentliche Lasten aufzulegen,
Staatsanlehen zu eröffnen, die Geldmittel für die Staatsausgaben zu bewilligen
und in mehrfachen Beziehungen die Regierung zu koutroliren hat. Auch diese
Thätigkeit macht Beschlüsse notwendig. Die eben ausgeführten, ausdrücklich nur
auf das Zustandebringen von Gesetzen beschränkten Bestimmungen über das
suspensive Veto des Königs können somit nicht ohne weiteres auch auf derartige
andre Beschlüsse Anwendung finden. Durch Beschluß der Reichsversammlung
vom 11. Mai 1874 ist deren ausschließliche Beziehung auf die Gesetzgebung
im engern Sinne des Wortes festgestellt worden. Die oben aufgeführten, aus¬
nahmsweise der königlichen Sanktion nicht bedürfenden Beschlüsse sind lauter
solche nicht legislativen Charakters. Damit ist von selbst gesagt, daß prinzipiell
allen und jeden Stvrthingsbeschlüssen gegenüber ein königliches Sanktionsrecht
besteht, nicht bloß Beschlüssen, welche auf die Einführung oder Aushebung von
Gesetzen abzielen. Dieses stillschweigend vorausgesetzte allgemeine Sanktionsrecht
des Königs ist aber noch ausdrücklich durch die oben aufgeführte Bestimmung
ausgesprochen, nach welcher alle beim Schlüsse des Storthings vom Könige nicht
ausdrücklich bestätigten Storthingsbeschlüsse als von ihm verworfen gelten. Dem
Könige steht also gegenüber allen und jeden Stvrthingsbeschlüssen (mit Ausnahme
der oben angeführten sechs Fälle) ein Sanktionsrecht zu; nur bezüglich der
legislativen Beschlüsse des Storthiugs ist das königliche Veto als ein suspensives
bezeichnet, es muß deshalb allen andern Stvrthingsbeschlüssen gegenüber als ein
absolutes anerkannt werden. Daß dieser Grundsatz nicht nur auch bei Ver¬
fassungsänderungen , sondern ganz besonders und hauptsächlich bei diesen gelten
muß, liegt in der Natur der Sache, denn wo immer zwischen Verfassungs¬
änderungen und andern Akten der Gesetzgebmig unterschieden wird, geschieht


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341839_158199/646>, abgerufen am 24.06.2024.