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Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Erstes Quartal.

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Zwei Erwiederungen.

Lst woäus in robus, 8unt eorti äsnigus Lnos -- der wird als ein "Dunkelmann" und Erz¬
reaktionär verschrieen. Aber es giebt Leute genug, die in Bezug aus "Ausklärung" und als
"Lichtfreunde" den Herren von der Linken so nahe als möglich stehen und doch die Ansicht
vertreten, daß mich auf dem Gebiete von "Kunst und Wissenschaft" ein Zuviel gethan werden
könne und wir in Berlin nicht mehr weit von diesem Punkte entfernt seien. Die "Kunst-
simpclei" grassirt in der Berliner Gesellschaft in erschrecklichem Maße, und die "Wiedcrgeburts-
tiimelei," das Rcnaissancefieber hat schon manchen und manche um ihr bißchen Verstand ge¬
bracht. Wenn man die verschwenderische Ausstattung betrachtet, mit der jetzt Staats- und
Gemeindebanten bedacht werden, so sollte man glauben, daß wir "heldenmäßig viel Geld"
hätten, was doch, wie nicht nur der Finanzminister weiß, keineswegs der Fall ist. Der fort¬
währende Hinweis ans Paris und London hat etwas Krankhaftes; den Vorsprung der Jahr¬
hunderte, den die beiden Hauptstädte vor Berlin voraus haben, kann die kaiserliche Residenz¬
stadt niemals einholen, nud es liegt auch nicht der Grund vor, sie dazu anzuspornen. Berlin
soll sich als deutsche Hauptstadt entwickeln und braucht weder der Metropole an der Themse
noch dein Sciuebabcl, dem Victor Hugvschen "Hirn der Welt," nachzueifern. Diese Anfeue-
rung zum Wettstreit mit London und Paris geht, das verdient nachdrücklichst hervorgehoben
zu werden, auch nur in geringem Grade von den eingebornen Berlinern und den in der
Hauptstadt ansässigen Deutschen, sondern vorwiegend von den Mitgliedern der goldnen Inter¬
nationale und der ihr dienstbaren Presse aus.

Die Nationalzeitimg hat Anweisung bekommen, gegen diese unsre Bemerkung
loszugehen, und entledigt sich dieses Auftrags in folgender geschmackvollen, den ver¬
edelnden Einfluß der Kunst in jeder Silbe verratenden Weise:

Zur Orientirung darüber, nach welcher Richtung die Hunde, die bellen wollen, eben los¬
gelassen werden, dient die folgende Bemerkung der Grenzboten über die Bewilligungen des
Abgeordnetenhauses zu Kunstzwecken. sHierauf folgt unsre Auslassung, natürlich, wie es bei
der punischen Fcchtweise des Blattes üblich ist, unter Weglassung der für den rich¬
tigen Sinn unsrer Bemerkung entscheidende" Worte des Eingangs- und Schlu߬
satzes. Dann fährt sie forUs Daß die Schule, welcher die Grenzboten angehören, sich in
direktem Gegensatz gegen die Pflege der Kunst fühlt, ist begreiflich; die Kunst hat die Ver¬
feinerung der Gesinnung im Auge, der Grundzug der Grenzboten und verwandter Geister ist
die Tappigkeit und Rohheit, welche sie mit Genie und Kraft verwechseln. Daher auch dieser
Ausbruch von Abgunst gegen die Kunst als eine Macht, in der sich der Widerstand gegen diese
Brntalisirung aller Lebensverhältnisse immer von neuem sammelt, von welcher die Reaktion
gegen die jetzt herrschenden Tendenzen ausgehen wird.

In der That, ein unvergleichliches Beispiel von "Verfeinerung der Gesinnung"!
Wie konnten wir aber auch auf die "goldne Internationale und ihre Presse" hin¬
weisen, das ist ja in den Augen gewisser Leute ein nnsühnbares Verbrechen! Die
Nationalzeitung und ihre Souffleure fühlten sich schwer getroffen, es war die
Stelle, wo sie sterblich sind. "Hunde, Tappigkeit, Rohheit, Brntalisirnng" -- welch
herrlicher Wortschatz "verfeinerter Gesinnung"!

Also wer behauptet, daß es auch in dem Aufwand für Kunst und Wissen¬
schaft ein Zuviel geben könne, der geht nach der Ansicht der Souffleure der Na¬
tionalzeitung auf nichts geringeres aus, als auf "die Brutalisirung aller Lebens-
verhältnisse." Prächtiges Schlagwort! Wenn die Herren Direktoren und Assistenten
der Berliner Museen nicht Millionen bewilligt bekommen, um leere Wandstellen
mit zweifelhaften Rubensbildern 5, 200000 Mark füllen oder alte Handzeichnungen,
über deren Wert und Ursprung die Lermolieffs sehr verschiedner Ansicht sind, auf¬
speichern zu können, wenn die Orientalisten in den Museumsverwaltungcn verhindert
werden, für persische Lumpen, die erst für schweres Geld in Paris notdürftig auf¬
gebügelt werden müssen, unerhörte Preise zu zahlen, wenn dem albernen Sport, den
man mit Chinoiscrien und japanesischen Lackarbeiten treibt, ein Riegel vorgeschoben
wird, dann werden "alle Lebensverhältnisse brutalisirt," dann hängen wir uns
wieder die Bärenfelle unsrer Vorfahren um oder fangen gar an, auf allen Vieren


Zwei Erwiederungen.

Lst woäus in robus, 8unt eorti äsnigus Lnos — der wird als ein „Dunkelmann" und Erz¬
reaktionär verschrieen. Aber es giebt Leute genug, die in Bezug aus „Ausklärung" und als
„Lichtfreunde" den Herren von der Linken so nahe als möglich stehen und doch die Ansicht
vertreten, daß mich auf dem Gebiete von „Kunst und Wissenschaft" ein Zuviel gethan werden
könne und wir in Berlin nicht mehr weit von diesem Punkte entfernt seien. Die „Kunst-
simpclei" grassirt in der Berliner Gesellschaft in erschrecklichem Maße, und die „Wiedcrgeburts-
tiimelei," das Rcnaissancefieber hat schon manchen und manche um ihr bißchen Verstand ge¬
bracht. Wenn man die verschwenderische Ausstattung betrachtet, mit der jetzt Staats- und
Gemeindebanten bedacht werden, so sollte man glauben, daß wir „heldenmäßig viel Geld"
hätten, was doch, wie nicht nur der Finanzminister weiß, keineswegs der Fall ist. Der fort¬
währende Hinweis ans Paris und London hat etwas Krankhaftes; den Vorsprung der Jahr¬
hunderte, den die beiden Hauptstädte vor Berlin voraus haben, kann die kaiserliche Residenz¬
stadt niemals einholen, nud es liegt auch nicht der Grund vor, sie dazu anzuspornen. Berlin
soll sich als deutsche Hauptstadt entwickeln und braucht weder der Metropole an der Themse
noch dein Sciuebabcl, dem Victor Hugvschen „Hirn der Welt," nachzueifern. Diese Anfeue-
rung zum Wettstreit mit London und Paris geht, das verdient nachdrücklichst hervorgehoben
zu werden, auch nur in geringem Grade von den eingebornen Berlinern und den in der
Hauptstadt ansässigen Deutschen, sondern vorwiegend von den Mitgliedern der goldnen Inter¬
nationale und der ihr dienstbaren Presse aus.

Die Nationalzeitimg hat Anweisung bekommen, gegen diese unsre Bemerkung
loszugehen, und entledigt sich dieses Auftrags in folgender geschmackvollen, den ver¬
edelnden Einfluß der Kunst in jeder Silbe verratenden Weise:

Zur Orientirung darüber, nach welcher Richtung die Hunde, die bellen wollen, eben los¬
gelassen werden, dient die folgende Bemerkung der Grenzboten über die Bewilligungen des
Abgeordnetenhauses zu Kunstzwecken. sHierauf folgt unsre Auslassung, natürlich, wie es bei
der punischen Fcchtweise des Blattes üblich ist, unter Weglassung der für den rich¬
tigen Sinn unsrer Bemerkung entscheidende» Worte des Eingangs- und Schlu߬
satzes. Dann fährt sie forUs Daß die Schule, welcher die Grenzboten angehören, sich in
direktem Gegensatz gegen die Pflege der Kunst fühlt, ist begreiflich; die Kunst hat die Ver¬
feinerung der Gesinnung im Auge, der Grundzug der Grenzboten und verwandter Geister ist
die Tappigkeit und Rohheit, welche sie mit Genie und Kraft verwechseln. Daher auch dieser
Ausbruch von Abgunst gegen die Kunst als eine Macht, in der sich der Widerstand gegen diese
Brntalisirung aller Lebensverhältnisse immer von neuem sammelt, von welcher die Reaktion
gegen die jetzt herrschenden Tendenzen ausgehen wird.

In der That, ein unvergleichliches Beispiel von „Verfeinerung der Gesinnung"!
Wie konnten wir aber auch auf die „goldne Internationale und ihre Presse" hin¬
weisen, das ist ja in den Augen gewisser Leute ein nnsühnbares Verbrechen! Die
Nationalzeitung und ihre Souffleure fühlten sich schwer getroffen, es war die
Stelle, wo sie sterblich sind. „Hunde, Tappigkeit, Rohheit, Brntalisirnng" — welch
herrlicher Wortschatz „verfeinerter Gesinnung"!

Also wer behauptet, daß es auch in dem Aufwand für Kunst und Wissen¬
schaft ein Zuviel geben könne, der geht nach der Ansicht der Souffleure der Na¬
tionalzeitung auf nichts geringeres aus, als auf „die Brutalisirung aller Lebens-
verhältnisse." Prächtiges Schlagwort! Wenn die Herren Direktoren und Assistenten
der Berliner Museen nicht Millionen bewilligt bekommen, um leere Wandstellen
mit zweifelhaften Rubensbildern 5, 200000 Mark füllen oder alte Handzeichnungen,
über deren Wert und Ursprung die Lermolieffs sehr verschiedner Ansicht sind, auf¬
speichern zu können, wenn die Orientalisten in den Museumsverwaltungcn verhindert
werden, für persische Lumpen, die erst für schweres Geld in Paris notdürftig auf¬
gebügelt werden müssen, unerhörte Preise zu zahlen, wenn dem albernen Sport, den
man mit Chinoiscrien und japanesischen Lackarbeiten treibt, ein Riegel vorgeschoben
wird, dann werden „alle Lebensverhältnisse brutalisirt," dann hängen wir uns
wieder die Bärenfelle unsrer Vorfahren um oder fangen gar an, auf allen Vieren


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[0636] Zwei Erwiederungen. Lst woäus in robus, 8unt eorti äsnigus Lnos — der wird als ein „Dunkelmann" und Erz¬ reaktionär verschrieen. Aber es giebt Leute genug, die in Bezug aus „Ausklärung" und als „Lichtfreunde" den Herren von der Linken so nahe als möglich stehen und doch die Ansicht vertreten, daß mich auf dem Gebiete von „Kunst und Wissenschaft" ein Zuviel gethan werden könne und wir in Berlin nicht mehr weit von diesem Punkte entfernt seien. Die „Kunst- simpclei" grassirt in der Berliner Gesellschaft in erschrecklichem Maße, und die „Wiedcrgeburts- tiimelei," das Rcnaissancefieber hat schon manchen und manche um ihr bißchen Verstand ge¬ bracht. Wenn man die verschwenderische Ausstattung betrachtet, mit der jetzt Staats- und Gemeindebanten bedacht werden, so sollte man glauben, daß wir „heldenmäßig viel Geld" hätten, was doch, wie nicht nur der Finanzminister weiß, keineswegs der Fall ist. Der fort¬ währende Hinweis ans Paris und London hat etwas Krankhaftes; den Vorsprung der Jahr¬ hunderte, den die beiden Hauptstädte vor Berlin voraus haben, kann die kaiserliche Residenz¬ stadt niemals einholen, nud es liegt auch nicht der Grund vor, sie dazu anzuspornen. Berlin soll sich als deutsche Hauptstadt entwickeln und braucht weder der Metropole an der Themse noch dein Sciuebabcl, dem Victor Hugvschen „Hirn der Welt," nachzueifern. Diese Anfeue- rung zum Wettstreit mit London und Paris geht, das verdient nachdrücklichst hervorgehoben zu werden, auch nur in geringem Grade von den eingebornen Berlinern und den in der Hauptstadt ansässigen Deutschen, sondern vorwiegend von den Mitgliedern der goldnen Inter¬ nationale und der ihr dienstbaren Presse aus. Die Nationalzeitimg hat Anweisung bekommen, gegen diese unsre Bemerkung loszugehen, und entledigt sich dieses Auftrags in folgender geschmackvollen, den ver¬ edelnden Einfluß der Kunst in jeder Silbe verratenden Weise: Zur Orientirung darüber, nach welcher Richtung die Hunde, die bellen wollen, eben los¬ gelassen werden, dient die folgende Bemerkung der Grenzboten über die Bewilligungen des Abgeordnetenhauses zu Kunstzwecken. sHierauf folgt unsre Auslassung, natürlich, wie es bei der punischen Fcchtweise des Blattes üblich ist, unter Weglassung der für den rich¬ tigen Sinn unsrer Bemerkung entscheidende» Worte des Eingangs- und Schlu߬ satzes. Dann fährt sie forUs Daß die Schule, welcher die Grenzboten angehören, sich in direktem Gegensatz gegen die Pflege der Kunst fühlt, ist begreiflich; die Kunst hat die Ver¬ feinerung der Gesinnung im Auge, der Grundzug der Grenzboten und verwandter Geister ist die Tappigkeit und Rohheit, welche sie mit Genie und Kraft verwechseln. Daher auch dieser Ausbruch von Abgunst gegen die Kunst als eine Macht, in der sich der Widerstand gegen diese Brntalisirung aller Lebensverhältnisse immer von neuem sammelt, von welcher die Reaktion gegen die jetzt herrschenden Tendenzen ausgehen wird. In der That, ein unvergleichliches Beispiel von „Verfeinerung der Gesinnung"! Wie konnten wir aber auch auf die „goldne Internationale und ihre Presse" hin¬ weisen, das ist ja in den Augen gewisser Leute ein nnsühnbares Verbrechen! Die Nationalzeitung und ihre Souffleure fühlten sich schwer getroffen, es war die Stelle, wo sie sterblich sind. „Hunde, Tappigkeit, Rohheit, Brntalisirnng" — welch herrlicher Wortschatz „verfeinerter Gesinnung"! Also wer behauptet, daß es auch in dem Aufwand für Kunst und Wissen¬ schaft ein Zuviel geben könne, der geht nach der Ansicht der Souffleure der Na¬ tionalzeitung auf nichts geringeres aus, als auf „die Brutalisirung aller Lebens- verhältnisse." Prächtiges Schlagwort! Wenn die Herren Direktoren und Assistenten der Berliner Museen nicht Millionen bewilligt bekommen, um leere Wandstellen mit zweifelhaften Rubensbildern 5, 200000 Mark füllen oder alte Handzeichnungen, über deren Wert und Ursprung die Lermolieffs sehr verschiedner Ansicht sind, auf¬ speichern zu können, wenn die Orientalisten in den Museumsverwaltungcn verhindert werden, für persische Lumpen, die erst für schweres Geld in Paris notdürftig auf¬ gebügelt werden müssen, unerhörte Preise zu zahlen, wenn dem albernen Sport, den man mit Chinoiscrien und japanesischen Lackarbeiten treibt, ein Riegel vorgeschoben wird, dann werden „alle Lebensverhältnisse brutalisirt," dann hängen wir uns wieder die Bärenfelle unsrer Vorfahren um oder fangen gar an, auf allen Vieren

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Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341839_158199/636>, abgerufen am 30.06.2024.