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Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Erstes Quartal.

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Nein, er nahm sich am Tage seiner Verurteilung das Leben,

Und gab seine Kinder in Schuld und Ungeduld dem Elende preis. Sie
dienen in niedern Stellungen!

Mögen sie! Die Witwen und Waisen, die der geheime Kommerzienrat
Gebhardi an den Bettelstab brachte, zehren auch am Hungertuche! Kaspar Benedikt
machte einen Knoten in sein Taschentuch; er war mit der Unterstützung einer
dieser Verarmten im Rückstände.

Ich bin wie zerschlagen, sagte Frau Anna; wir haben, dacht' ich, weder
ihn noch einen von den Seinigen je zu Gesicht bekommen, aber was wurde
damals über ihn in die Blätter geschrieben! Dir schmeckte Wochen lang weder
deine Cigarre noch dein Schlummerpunsch.

Weder mir noch dir. Der Fabrikant konnte schon wieder spaßen.

Ich rauche doch nicht.

Aber von dem Schlummerpunsch --

Rippe ich -- geh, Kaspar Benedikt, wenn du mich nur aufziehen kannst!
Von heute an magst du ihn dir selbst bereiten.

Der Fabrikant nahm die Hand seiner schmollenden Ehehälfte und küßte
sie. Lassen wirs bei dem einfachen K. B. Hartig bewenden, sagte er; einver¬
standen?

War ich jemals andrer Meinung als du? antwortete Fran Anna und
entzog ihm beschämt ihre Hand. (Fortsetzung folgt.)




Notiz.

Zur Lotteriefrage. Ein Ereignis, welches geeignet ist, nicht nur in den bei
den verschiednen deutschen Staatslottcrien beteiligten Kreisen, sondern auch in der
Juristenwelt allgemeines Aufsehen zu erregen, ist aus den letzten Wochen zu ver¬
zeichnen. Am Is. November d. I. hat das Reichsgericht zu Leipzig die Re¬
vision eines sächsischen Lvtteriekollckteurs, welcher von einem preußischen Landgerichte
wegen Verkaufs eines Looses der sächsischen Staatslotterie nach Preußen zu einer
geringfügigen Geldstrafe verurteilt worden war, verworfen, also den beteiligten
sächsischen Lotteriekollckteur wegen seiner in Frage kommenden Handlung für straf¬
fällig erklärt, während drei Tage zuvor, ant 12. November, das königl. prenß.
Kammergericht zu Berlin die Revision der königl. Staatsanwaltschaft beim Land¬
gericht II. zu Berlin, welches das einen andern sächsischen Lottcriekollektenr wegen
ganz derselben Handlung wie im ersten Falle, nämlich wegen Verkaufs eines
sächsischen Lotterielooses nach Preußen, freisprechende Urteil des Schöffengerichts
zu R. bestätigt hatte, verworfen, den beteiligten Lotterickollekteur also für straffrei
erklärt hat.

Wir stehen sonach vor der gewiß nicht leicht zu nehmenden Thatsache, daß
zwei oberste Gerichtshöfe im deutschen Reiche über die Strafwmdigkcit einer und


Nein, er nahm sich am Tage seiner Verurteilung das Leben,

Und gab seine Kinder in Schuld und Ungeduld dem Elende preis. Sie
dienen in niedern Stellungen!

Mögen sie! Die Witwen und Waisen, die der geheime Kommerzienrat
Gebhardi an den Bettelstab brachte, zehren auch am Hungertuche! Kaspar Benedikt
machte einen Knoten in sein Taschentuch; er war mit der Unterstützung einer
dieser Verarmten im Rückstände.

Ich bin wie zerschlagen, sagte Frau Anna; wir haben, dacht' ich, weder
ihn noch einen von den Seinigen je zu Gesicht bekommen, aber was wurde
damals über ihn in die Blätter geschrieben! Dir schmeckte Wochen lang weder
deine Cigarre noch dein Schlummerpunsch.

Weder mir noch dir. Der Fabrikant konnte schon wieder spaßen.

Ich rauche doch nicht.

Aber von dem Schlummerpunsch —

Rippe ich — geh, Kaspar Benedikt, wenn du mich nur aufziehen kannst!
Von heute an magst du ihn dir selbst bereiten.

Der Fabrikant nahm die Hand seiner schmollenden Ehehälfte und küßte
sie. Lassen wirs bei dem einfachen K. B. Hartig bewenden, sagte er; einver¬
standen?

War ich jemals andrer Meinung als du? antwortete Fran Anna und
entzog ihm beschämt ihre Hand. (Fortsetzung folgt.)




Notiz.

Zur Lotteriefrage. Ein Ereignis, welches geeignet ist, nicht nur in den bei
den verschiednen deutschen Staatslottcrien beteiligten Kreisen, sondern auch in der
Juristenwelt allgemeines Aufsehen zu erregen, ist aus den letzten Wochen zu ver¬
zeichnen. Am Is. November d. I. hat das Reichsgericht zu Leipzig die Re¬
vision eines sächsischen Lvtteriekollckteurs, welcher von einem preußischen Landgerichte
wegen Verkaufs eines Looses der sächsischen Staatslotterie nach Preußen zu einer
geringfügigen Geldstrafe verurteilt worden war, verworfen, also den beteiligten
sächsischen Lotteriekollckteur wegen seiner in Frage kommenden Handlung für straf¬
fällig erklärt, während drei Tage zuvor, ant 12. November, das königl. prenß.
Kammergericht zu Berlin die Revision der königl. Staatsanwaltschaft beim Land¬
gericht II. zu Berlin, welches das einen andern sächsischen Lottcriekollektenr wegen
ganz derselben Handlung wie im ersten Falle, nämlich wegen Verkaufs eines
sächsischen Lotterielooses nach Preußen, freisprechende Urteil des Schöffengerichts
zu R. bestätigt hatte, verworfen, den beteiligten Lotterickollekteur also für straffrei
erklärt hat.

Wir stehen sonach vor der gewiß nicht leicht zu nehmenden Thatsache, daß
zwei oberste Gerichtshöfe im deutschen Reiche über die Strafwmdigkcit einer und


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[0062] Nein, er nahm sich am Tage seiner Verurteilung das Leben, Und gab seine Kinder in Schuld und Ungeduld dem Elende preis. Sie dienen in niedern Stellungen! Mögen sie! Die Witwen und Waisen, die der geheime Kommerzienrat Gebhardi an den Bettelstab brachte, zehren auch am Hungertuche! Kaspar Benedikt machte einen Knoten in sein Taschentuch; er war mit der Unterstützung einer dieser Verarmten im Rückstände. Ich bin wie zerschlagen, sagte Frau Anna; wir haben, dacht' ich, weder ihn noch einen von den Seinigen je zu Gesicht bekommen, aber was wurde damals über ihn in die Blätter geschrieben! Dir schmeckte Wochen lang weder deine Cigarre noch dein Schlummerpunsch. Weder mir noch dir. Der Fabrikant konnte schon wieder spaßen. Ich rauche doch nicht. Aber von dem Schlummerpunsch — Rippe ich — geh, Kaspar Benedikt, wenn du mich nur aufziehen kannst! Von heute an magst du ihn dir selbst bereiten. Der Fabrikant nahm die Hand seiner schmollenden Ehehälfte und küßte sie. Lassen wirs bei dem einfachen K. B. Hartig bewenden, sagte er; einver¬ standen? War ich jemals andrer Meinung als du? antwortete Fran Anna und entzog ihm beschämt ihre Hand. (Fortsetzung folgt.) Notiz. Zur Lotteriefrage. Ein Ereignis, welches geeignet ist, nicht nur in den bei den verschiednen deutschen Staatslottcrien beteiligten Kreisen, sondern auch in der Juristenwelt allgemeines Aufsehen zu erregen, ist aus den letzten Wochen zu ver¬ zeichnen. Am Is. November d. I. hat das Reichsgericht zu Leipzig die Re¬ vision eines sächsischen Lvtteriekollckteurs, welcher von einem preußischen Landgerichte wegen Verkaufs eines Looses der sächsischen Staatslotterie nach Preußen zu einer geringfügigen Geldstrafe verurteilt worden war, verworfen, also den beteiligten sächsischen Lotteriekollckteur wegen seiner in Frage kommenden Handlung für straf¬ fällig erklärt, während drei Tage zuvor, ant 12. November, das königl. prenß. Kammergericht zu Berlin die Revision der königl. Staatsanwaltschaft beim Land¬ gericht II. zu Berlin, welches das einen andern sächsischen Lottcriekollektenr wegen ganz derselben Handlung wie im ersten Falle, nämlich wegen Verkaufs eines sächsischen Lotterielooses nach Preußen, freisprechende Urteil des Schöffengerichts zu R. bestätigt hatte, verworfen, den beteiligten Lotterickollekteur also für straffrei erklärt hat. Wir stehen sonach vor der gewiß nicht leicht zu nehmenden Thatsache, daß zwei oberste Gerichtshöfe im deutschen Reiche über die Strafwmdigkcit einer und

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341839_158199/62>, abgerufen am 03.07.2024.