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Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Erstes Quartal.

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Uhlenhcms,

Neben Jsäa stehen als hauptsächliche Träger der Handlung ihr Gatte
Gustav und dessen Bruder, der .Held des Romans, Uhlenhans, Beide die denkbar
frappantesten Gegensätze in ihren Lebenszielen und in der Art, sie zu erreichen,
in ihrer Empfindung, in ihrer Wertschätzung der menschliche" Natur und in
der daraus sich ergebenden Achtung vor den Rechten andrer. Gustav ist der
Schuft, Uhleuhans der Biedermann xar exoe-llWLö. Die systematische Gegen¬
sätzlichkeit beider erstreckt sich bis auf ihr Äußeres: jener hübsch, gewandt,
elegant, dieser einäugig, ungeschlacht, einfach, selbst ein wenig salopp. Aber eben
diese systematische Gegensätzlichkeit scheint den Dichter verführt zu haben, über
das Ziel hinauszuschrciten und nach beiden Seiten hin schärfer zu accentuireu,
als im Interesse voller Wahrscheinlichkeit der Figuren wünschenswert war.
Gustav verfolgt sein Ziel, sich in der aristokratischen Gesellschaft seiner Heimat
eine Stellung zu schaffen, vom ersten bis zum letzten Augenblick mit einem
nackten Cynismus, einer selbstbewußten, aller menschlichen Empfindung baren
Verhöhnung von Treu und Glaube". Er nutzt alles aus: die Schönheit seiner
Frau, die Ehrlichkeit und Treuherzigkeit seines Bruders, die Unentschlossenheit
seiner früher" Geliebte". Er ist so ganz Berechnung und Lüge, daß auch nicht
der kleinste menschlich - versöhnende Zug übrig bleibt. Das ist falsch, das ist
häßlich. Selbst Richard III., selbst Jago sind, obschon böse, fürchterliche Men¬
schen, doch immerhin Menschen. Und das müssen sie sein, wen" unser Interesse
nicht in einfachem Widerwillen untergehen soll. Gewiß wird ein Charakter,
der sich einmal über moralische Bedenken hinweggesetzt hat, eine" Genuß darin
finden können, mehr als gerade zur Erreichung eines bestimmten Zweckes not¬
wendig, mit seiner Umgebung zu spielen, sich einen Luxus im Schlechten zu ge¬
statten. Ja dies Überschäumen unsittlicher Kraft wird sogar vorzugsweise als
Kraftfülle schlechtweg empfunden werden, wird uns deshalb den betreffende"
Charakter ästhetisch erträglich, weil in einem gewissen Sinne kongenial machen.
Nur muß dann dies selbstbewußte Spielen mit allen Schwierigkeiten, die Freude
am eigne" Können, entschiede" betont und als eine wesentliche Seite des Cha¬
rakters dargestellt werden. Andernfalls wirkt, wie in unserm Roman, das nun
ganz grünt- und zwecklos erscheinende Böse umso widerwärtiger, als gleichzeitig
in dem Charakter des Handelnden el" Z"g von weltverachteuder Ironie durch
Egoismus und kleinliche Motive verdrängt erscheint. Zugleich wird derselbe
trotz aller dialektischen Auseinandersetzung seines Gemütszustandes sehr monoton.
Das ist es ja, was Jsäas Figur so reizvoll macht, daß sich i" ihr verschiedne
anscheinend unvereinbare Ziige zur volle" Individualität verbinden. Kein Mensch
ist nur einfach schlecht; jeder ist es ans bestimmten Motive" und unter be¬
stimmten Voraussetzungen. Und vollends hier, wo wir erfahren, daß Gustavs
Schurkerei sich aus einer energielosen und in der Wahl der Mittel nie bedenk¬
lichen Sucht zu herrschen, sich bemerklich zu macheu, entwickelte, hier hätte
wohl ab und zu ein reinerer Zug, eine edlere Auffassung der Verhältnisse, wie
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G^nzbo!." l. 1884. 77
Uhlenhcms,

Neben Jsäa stehen als hauptsächliche Träger der Handlung ihr Gatte
Gustav und dessen Bruder, der .Held des Romans, Uhlenhans, Beide die denkbar
frappantesten Gegensätze in ihren Lebenszielen und in der Art, sie zu erreichen,
in ihrer Empfindung, in ihrer Wertschätzung der menschliche» Natur und in
der daraus sich ergebenden Achtung vor den Rechten andrer. Gustav ist der
Schuft, Uhleuhans der Biedermann xar exoe-llWLö. Die systematische Gegen¬
sätzlichkeit beider erstreckt sich bis auf ihr Äußeres: jener hübsch, gewandt,
elegant, dieser einäugig, ungeschlacht, einfach, selbst ein wenig salopp. Aber eben
diese systematische Gegensätzlichkeit scheint den Dichter verführt zu haben, über
das Ziel hinauszuschrciten und nach beiden Seiten hin schärfer zu accentuireu,
als im Interesse voller Wahrscheinlichkeit der Figuren wünschenswert war.
Gustav verfolgt sein Ziel, sich in der aristokratischen Gesellschaft seiner Heimat
eine Stellung zu schaffen, vom ersten bis zum letzten Augenblick mit einem
nackten Cynismus, einer selbstbewußten, aller menschlichen Empfindung baren
Verhöhnung von Treu und Glaube». Er nutzt alles aus: die Schönheit seiner
Frau, die Ehrlichkeit und Treuherzigkeit seines Bruders, die Unentschlossenheit
seiner früher» Geliebte». Er ist so ganz Berechnung und Lüge, daß auch nicht
der kleinste menschlich - versöhnende Zug übrig bleibt. Das ist falsch, das ist
häßlich. Selbst Richard III., selbst Jago sind, obschon böse, fürchterliche Men¬
schen, doch immerhin Menschen. Und das müssen sie sein, wen» unser Interesse
nicht in einfachem Widerwillen untergehen soll. Gewiß wird ein Charakter,
der sich einmal über moralische Bedenken hinweggesetzt hat, eine» Genuß darin
finden können, mehr als gerade zur Erreichung eines bestimmten Zweckes not¬
wendig, mit seiner Umgebung zu spielen, sich einen Luxus im Schlechten zu ge¬
statten. Ja dies Überschäumen unsittlicher Kraft wird sogar vorzugsweise als
Kraftfülle schlechtweg empfunden werden, wird uns deshalb den betreffende»
Charakter ästhetisch erträglich, weil in einem gewissen Sinne kongenial machen.
Nur muß dann dies selbstbewußte Spielen mit allen Schwierigkeiten, die Freude
am eigne» Können, entschiede» betont und als eine wesentliche Seite des Cha¬
rakters dargestellt werden. Andernfalls wirkt, wie in unserm Roman, das nun
ganz grünt- und zwecklos erscheinende Böse umso widerwärtiger, als gleichzeitig
in dem Charakter des Handelnden el» Z»g von weltverachteuder Ironie durch
Egoismus und kleinliche Motive verdrängt erscheint. Zugleich wird derselbe
trotz aller dialektischen Auseinandersetzung seines Gemütszustandes sehr monoton.
Das ist es ja, was Jsäas Figur so reizvoll macht, daß sich i» ihr verschiedne
anscheinend unvereinbare Ziige zur volle» Individualität verbinden. Kein Mensch
ist nur einfach schlecht; jeder ist es ans bestimmten Motive» und unter be¬
stimmten Voraussetzungen. Und vollends hier, wo wir erfahren, daß Gustavs
Schurkerei sich aus einer energielosen und in der Wahl der Mittel nie bedenk¬
lichen Sucht zu herrschen, sich bemerklich zu macheu, entwickelte, hier hätte
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[0619] Uhlenhcms, Neben Jsäa stehen als hauptsächliche Träger der Handlung ihr Gatte Gustav und dessen Bruder, der .Held des Romans, Uhlenhans, Beide die denkbar frappantesten Gegensätze in ihren Lebenszielen und in der Art, sie zu erreichen, in ihrer Empfindung, in ihrer Wertschätzung der menschliche» Natur und in der daraus sich ergebenden Achtung vor den Rechten andrer. Gustav ist der Schuft, Uhleuhans der Biedermann xar exoe-llWLö. Die systematische Gegen¬ sätzlichkeit beider erstreckt sich bis auf ihr Äußeres: jener hübsch, gewandt, elegant, dieser einäugig, ungeschlacht, einfach, selbst ein wenig salopp. Aber eben diese systematische Gegensätzlichkeit scheint den Dichter verführt zu haben, über das Ziel hinauszuschrciten und nach beiden Seiten hin schärfer zu accentuireu, als im Interesse voller Wahrscheinlichkeit der Figuren wünschenswert war. Gustav verfolgt sein Ziel, sich in der aristokratischen Gesellschaft seiner Heimat eine Stellung zu schaffen, vom ersten bis zum letzten Augenblick mit einem nackten Cynismus, einer selbstbewußten, aller menschlichen Empfindung baren Verhöhnung von Treu und Glaube». Er nutzt alles aus: die Schönheit seiner Frau, die Ehrlichkeit und Treuherzigkeit seines Bruders, die Unentschlossenheit seiner früher» Geliebte». Er ist so ganz Berechnung und Lüge, daß auch nicht der kleinste menschlich - versöhnende Zug übrig bleibt. Das ist falsch, das ist häßlich. Selbst Richard III., selbst Jago sind, obschon böse, fürchterliche Men¬ schen, doch immerhin Menschen. Und das müssen sie sein, wen» unser Interesse nicht in einfachem Widerwillen untergehen soll. Gewiß wird ein Charakter, der sich einmal über moralische Bedenken hinweggesetzt hat, eine» Genuß darin finden können, mehr als gerade zur Erreichung eines bestimmten Zweckes not¬ wendig, mit seiner Umgebung zu spielen, sich einen Luxus im Schlechten zu ge¬ statten. Ja dies Überschäumen unsittlicher Kraft wird sogar vorzugsweise als Kraftfülle schlechtweg empfunden werden, wird uns deshalb den betreffende» Charakter ästhetisch erträglich, weil in einem gewissen Sinne kongenial machen. Nur muß dann dies selbstbewußte Spielen mit allen Schwierigkeiten, die Freude am eigne» Können, entschiede» betont und als eine wesentliche Seite des Cha¬ rakters dargestellt werden. Andernfalls wirkt, wie in unserm Roman, das nun ganz grünt- und zwecklos erscheinende Böse umso widerwärtiger, als gleichzeitig in dem Charakter des Handelnden el» Z»g von weltverachteuder Ironie durch Egoismus und kleinliche Motive verdrängt erscheint. Zugleich wird derselbe trotz aller dialektischen Auseinandersetzung seines Gemütszustandes sehr monoton. Das ist es ja, was Jsäas Figur so reizvoll macht, daß sich i» ihr verschiedne anscheinend unvereinbare Ziige zur volle» Individualität verbinden. Kein Mensch ist nur einfach schlecht; jeder ist es ans bestimmten Motive» und unter be¬ stimmten Voraussetzungen. Und vollends hier, wo wir erfahren, daß Gustavs Schurkerei sich aus einer energielosen und in der Wahl der Mittel nie bedenk¬ lichen Sucht zu herrschen, sich bemerklich zu macheu, entwickelte, hier hätte wohl ab und zu ein reinerer Zug, eine edlere Auffassung der Verhältnisse, wie ''^ G^nzbo!.» l. 1884. 77

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341839_158199/619>, abgerufen am 25.07.2024.