Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Erstes Quartal.

Bild:
<< vorherige Seite
Uhlenhans,

gehenden Glücksstern seiner Abenteurerin dicht rede" den jämmerlich trüb¬
seligen Zusammenbruch des Lebensglückes seiner anständigen Leute. Die
Neigung zu der den Meister fordernden Schilderung wurmstichiger Existenzen
hat hier dem schönen sittlichen Berufe des Dichters einen bösen, sehr bösen
Streich gespielt.

Nach dieser Besprechung der Handlung im allgemeinen wenden wir uns
zu der besondern ihrer Träger, der Charaktere. Hier wollen wir bereitwillig
anerkennen, was oben angedeutet war: die Gestalt der Abenteurerin Jsäa ist ein
wahres Kabinctstück romancskcr Charakterschilderung. Ein tolles, übermütiges,
gänzlich unerzogenes und moralisch von ihren Launen lebendes Kind, tritt sie
auf den Schauplatz, Mitwisserin von ihres Gatten betrügerischen Plänen, die
ihr, in voller Naivität, wie ein kostbarer Spaß, ein Faschingsscherz, erscheinen.
Bald wird sie sich der Macht ihrer Schönheit und ihres Wesens auf die um¬
gebenden Menschen bewußt; eine klarere Einsicht in ihres Mannes selbstsüchtiges
und liebeleercs Herz entfremdet sie ihm und zeigt ihr die Notwendigkeit, sich
auf eigne Faust Existenz und Karriere zu suchen. Nun verwandelt sich vor
unsern Augen Schritt für Schritt dies kokette Kind in eine gewandte, berech¬
nende, die Situation ganz im stillen beherrschende Schauspielerin, die sich aus
dem Zusammenbruch ihrer Umgebung zu einer glänzenden und sichern Existenz
hinüberrettet. Dies Erwachen des Selbstbewußtseins, das erste leise, prüfende
Regen der Schwingen, bis zu dem zielbewußter, aber stets vorsichtigen und
nach zwei Seiten sich sichernden Manöver ist mit einer ruhigen Sicherheit, ge¬
winnenden Feinheit und psychologischer Korrektheit entwickelt, wie sie mir einem
großen Talent, und auch diesem erst nach langer, übender Erfahrung zu Ge¬
bote steht. Das Interesse, welches uns der Dichter für diese Figur einflößt,
ist umso bewundernswerter, als sie von vornherein ans dem Boden eines sehr
ordinären und plump ersonnenen Betruges steht, also eher Widerwillen als In¬
teresse erweckt. Allein der Dichter trifft das geschickte Arrangement, sie fast bis
zum Schluß diesem Betrug äußerlich passiv gegenüberzustellen. Sie deckt ihr Spiel
mit ihm, sie zieht Nutzen von ihm, allein sie verfährt im übrigen vollkommen
so, als wäre er ihr gänzlich fremd. Damit sie das kann, hat der Dichter ihr
eine hervorragende Schönheit gegeben: wer fragt bei einer bezaubernd schönen
und anmutigen jungen Frau darnach, ob ihr Reisepaß in Ordnung sei? Der
sicher am wenigsten, der sich in sie verliebt, und sie verlieben sich alle in sie.
Und wiederum tritt diese äußere Schönheit, die wohl absichtlich wiederholt als
eine taubenhafte, reine, kindliche bezeichnet wird, in schroffen Gegensatz zu der
immer schlimmern Entwicklung des Innern, so den Gesamteindruck der Figur
stets eigenartiger und lebhafter gestaltend. Gerade in Rücksicht hierauf ist es
sehr bedauerlich, daß nun nicht auch ihre Bedeutung für das Motiv des Ro¬
mans in entsprechender Weise interessant und korrekt hinzukommt, um den Ein¬
druck einer dichterischen Mcisterleistung zu vervollständigen.


Uhlenhans,

gehenden Glücksstern seiner Abenteurerin dicht rede» den jämmerlich trüb¬
seligen Zusammenbruch des Lebensglückes seiner anständigen Leute. Die
Neigung zu der den Meister fordernden Schilderung wurmstichiger Existenzen
hat hier dem schönen sittlichen Berufe des Dichters einen bösen, sehr bösen
Streich gespielt.

Nach dieser Besprechung der Handlung im allgemeinen wenden wir uns
zu der besondern ihrer Träger, der Charaktere. Hier wollen wir bereitwillig
anerkennen, was oben angedeutet war: die Gestalt der Abenteurerin Jsäa ist ein
wahres Kabinctstück romancskcr Charakterschilderung. Ein tolles, übermütiges,
gänzlich unerzogenes und moralisch von ihren Launen lebendes Kind, tritt sie
auf den Schauplatz, Mitwisserin von ihres Gatten betrügerischen Plänen, die
ihr, in voller Naivität, wie ein kostbarer Spaß, ein Faschingsscherz, erscheinen.
Bald wird sie sich der Macht ihrer Schönheit und ihres Wesens auf die um¬
gebenden Menschen bewußt; eine klarere Einsicht in ihres Mannes selbstsüchtiges
und liebeleercs Herz entfremdet sie ihm und zeigt ihr die Notwendigkeit, sich
auf eigne Faust Existenz und Karriere zu suchen. Nun verwandelt sich vor
unsern Augen Schritt für Schritt dies kokette Kind in eine gewandte, berech¬
nende, die Situation ganz im stillen beherrschende Schauspielerin, die sich aus
dem Zusammenbruch ihrer Umgebung zu einer glänzenden und sichern Existenz
hinüberrettet. Dies Erwachen des Selbstbewußtseins, das erste leise, prüfende
Regen der Schwingen, bis zu dem zielbewußter, aber stets vorsichtigen und
nach zwei Seiten sich sichernden Manöver ist mit einer ruhigen Sicherheit, ge¬
winnenden Feinheit und psychologischer Korrektheit entwickelt, wie sie mir einem
großen Talent, und auch diesem erst nach langer, übender Erfahrung zu Ge¬
bote steht. Das Interesse, welches uns der Dichter für diese Figur einflößt,
ist umso bewundernswerter, als sie von vornherein ans dem Boden eines sehr
ordinären und plump ersonnenen Betruges steht, also eher Widerwillen als In¬
teresse erweckt. Allein der Dichter trifft das geschickte Arrangement, sie fast bis
zum Schluß diesem Betrug äußerlich passiv gegenüberzustellen. Sie deckt ihr Spiel
mit ihm, sie zieht Nutzen von ihm, allein sie verfährt im übrigen vollkommen
so, als wäre er ihr gänzlich fremd. Damit sie das kann, hat der Dichter ihr
eine hervorragende Schönheit gegeben: wer fragt bei einer bezaubernd schönen
und anmutigen jungen Frau darnach, ob ihr Reisepaß in Ordnung sei? Der
sicher am wenigsten, der sich in sie verliebt, und sie verlieben sich alle in sie.
Und wiederum tritt diese äußere Schönheit, die wohl absichtlich wiederholt als
eine taubenhafte, reine, kindliche bezeichnet wird, in schroffen Gegensatz zu der
immer schlimmern Entwicklung des Innern, so den Gesamteindruck der Figur
stets eigenartiger und lebhafter gestaltend. Gerade in Rücksicht hierauf ist es
sehr bedauerlich, daß nun nicht auch ihre Bedeutung für das Motiv des Ro¬
mans in entsprechender Weise interessant und korrekt hinzukommt, um den Ein¬
druck einer dichterischen Mcisterleistung zu vervollständigen.


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0618" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/155501"/>
          <fw type="header" place="top"> Uhlenhans,</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_2473" prev="#ID_2472"> gehenden Glücksstern seiner Abenteurerin dicht rede» den jämmerlich trüb¬<lb/>
seligen Zusammenbruch des Lebensglückes seiner anständigen Leute. Die<lb/>
Neigung zu der den Meister fordernden Schilderung wurmstichiger Existenzen<lb/>
hat hier dem schönen sittlichen Berufe des Dichters einen bösen, sehr bösen<lb/>
Streich gespielt.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_2474"> Nach dieser Besprechung der Handlung im allgemeinen wenden wir uns<lb/>
zu der besondern ihrer Träger, der Charaktere. Hier wollen wir bereitwillig<lb/>
anerkennen, was oben angedeutet war: die Gestalt der Abenteurerin Jsäa ist ein<lb/>
wahres Kabinctstück romancskcr Charakterschilderung. Ein tolles, übermütiges,<lb/>
gänzlich unerzogenes und moralisch von ihren Launen lebendes Kind, tritt sie<lb/>
auf den Schauplatz, Mitwisserin von ihres Gatten betrügerischen Plänen, die<lb/>
ihr, in voller Naivität, wie ein kostbarer Spaß, ein Faschingsscherz, erscheinen.<lb/>
Bald wird sie sich der Macht ihrer Schönheit und ihres Wesens auf die um¬<lb/>
gebenden Menschen bewußt; eine klarere Einsicht in ihres Mannes selbstsüchtiges<lb/>
und liebeleercs Herz entfremdet sie ihm und zeigt ihr die Notwendigkeit, sich<lb/>
auf eigne Faust Existenz und Karriere zu suchen. Nun verwandelt sich vor<lb/>
unsern Augen Schritt für Schritt dies kokette Kind in eine gewandte, berech¬<lb/>
nende, die Situation ganz im stillen beherrschende Schauspielerin, die sich aus<lb/>
dem Zusammenbruch ihrer Umgebung zu einer glänzenden und sichern Existenz<lb/>
hinüberrettet. Dies Erwachen des Selbstbewußtseins, das erste leise, prüfende<lb/>
Regen der Schwingen, bis zu dem zielbewußter, aber stets vorsichtigen und<lb/>
nach zwei Seiten sich sichernden Manöver ist mit einer ruhigen Sicherheit, ge¬<lb/>
winnenden Feinheit und psychologischer Korrektheit entwickelt, wie sie mir einem<lb/>
großen Talent, und auch diesem erst nach langer, übender Erfahrung zu Ge¬<lb/>
bote steht. Das Interesse, welches uns der Dichter für diese Figur einflößt,<lb/>
ist umso bewundernswerter, als sie von vornherein ans dem Boden eines sehr<lb/>
ordinären und plump ersonnenen Betruges steht, also eher Widerwillen als In¬<lb/>
teresse erweckt. Allein der Dichter trifft das geschickte Arrangement, sie fast bis<lb/>
zum Schluß diesem Betrug äußerlich passiv gegenüberzustellen. Sie deckt ihr Spiel<lb/>
mit ihm, sie zieht Nutzen von ihm, allein sie verfährt im übrigen vollkommen<lb/>
so, als wäre er ihr gänzlich fremd. Damit sie das kann, hat der Dichter ihr<lb/>
eine hervorragende Schönheit gegeben: wer fragt bei einer bezaubernd schönen<lb/>
und anmutigen jungen Frau darnach, ob ihr Reisepaß in Ordnung sei? Der<lb/>
sicher am wenigsten, der sich in sie verliebt, und sie verlieben sich alle in sie.<lb/>
Und wiederum tritt diese äußere Schönheit, die wohl absichtlich wiederholt als<lb/>
eine taubenhafte, reine, kindliche bezeichnet wird, in schroffen Gegensatz zu der<lb/>
immer schlimmern Entwicklung des Innern, so den Gesamteindruck der Figur<lb/>
stets eigenartiger und lebhafter gestaltend. Gerade in Rücksicht hierauf ist es<lb/>
sehr bedauerlich, daß nun nicht auch ihre Bedeutung für das Motiv des Ro¬<lb/>
mans in entsprechender Weise interessant und korrekt hinzukommt, um den Ein¬<lb/>
druck einer dichterischen Mcisterleistung zu vervollständigen.</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0618] Uhlenhans, gehenden Glücksstern seiner Abenteurerin dicht rede» den jämmerlich trüb¬ seligen Zusammenbruch des Lebensglückes seiner anständigen Leute. Die Neigung zu der den Meister fordernden Schilderung wurmstichiger Existenzen hat hier dem schönen sittlichen Berufe des Dichters einen bösen, sehr bösen Streich gespielt. Nach dieser Besprechung der Handlung im allgemeinen wenden wir uns zu der besondern ihrer Träger, der Charaktere. Hier wollen wir bereitwillig anerkennen, was oben angedeutet war: die Gestalt der Abenteurerin Jsäa ist ein wahres Kabinctstück romancskcr Charakterschilderung. Ein tolles, übermütiges, gänzlich unerzogenes und moralisch von ihren Launen lebendes Kind, tritt sie auf den Schauplatz, Mitwisserin von ihres Gatten betrügerischen Plänen, die ihr, in voller Naivität, wie ein kostbarer Spaß, ein Faschingsscherz, erscheinen. Bald wird sie sich der Macht ihrer Schönheit und ihres Wesens auf die um¬ gebenden Menschen bewußt; eine klarere Einsicht in ihres Mannes selbstsüchtiges und liebeleercs Herz entfremdet sie ihm und zeigt ihr die Notwendigkeit, sich auf eigne Faust Existenz und Karriere zu suchen. Nun verwandelt sich vor unsern Augen Schritt für Schritt dies kokette Kind in eine gewandte, berech¬ nende, die Situation ganz im stillen beherrschende Schauspielerin, die sich aus dem Zusammenbruch ihrer Umgebung zu einer glänzenden und sichern Existenz hinüberrettet. Dies Erwachen des Selbstbewußtseins, das erste leise, prüfende Regen der Schwingen, bis zu dem zielbewußter, aber stets vorsichtigen und nach zwei Seiten sich sichernden Manöver ist mit einer ruhigen Sicherheit, ge¬ winnenden Feinheit und psychologischer Korrektheit entwickelt, wie sie mir einem großen Talent, und auch diesem erst nach langer, übender Erfahrung zu Ge¬ bote steht. Das Interesse, welches uns der Dichter für diese Figur einflößt, ist umso bewundernswerter, als sie von vornherein ans dem Boden eines sehr ordinären und plump ersonnenen Betruges steht, also eher Widerwillen als In¬ teresse erweckt. Allein der Dichter trifft das geschickte Arrangement, sie fast bis zum Schluß diesem Betrug äußerlich passiv gegenüberzustellen. Sie deckt ihr Spiel mit ihm, sie zieht Nutzen von ihm, allein sie verfährt im übrigen vollkommen so, als wäre er ihr gänzlich fremd. Damit sie das kann, hat der Dichter ihr eine hervorragende Schönheit gegeben: wer fragt bei einer bezaubernd schönen und anmutigen jungen Frau darnach, ob ihr Reisepaß in Ordnung sei? Der sicher am wenigsten, der sich in sie verliebt, und sie verlieben sich alle in sie. Und wiederum tritt diese äußere Schönheit, die wohl absichtlich wiederholt als eine taubenhafte, reine, kindliche bezeichnet wird, in schroffen Gegensatz zu der immer schlimmern Entwicklung des Innern, so den Gesamteindruck der Figur stets eigenartiger und lebhafter gestaltend. Gerade in Rücksicht hierauf ist es sehr bedauerlich, daß nun nicht auch ihre Bedeutung für das Motiv des Ro¬ mans in entsprechender Weise interessant und korrekt hinzukommt, um den Ein¬ druck einer dichterischen Mcisterleistung zu vervollständigen.

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341839_158199
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341839_158199/618
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341839_158199/618>, abgerufen am 04.07.2024.