Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Erstes Quartal.

Bild:
<< vorherige Seite
Uhlenhans.

so lebhaft ergriffen werden, dich diesem Interesse gegenüber kein andres in Be¬
tracht kommt. Aber dies Ergriffensein von einer Idee ist dann doch im Leben
der Beteiligten nichts andres als eine Episode, bedeutet für ihren Charakter
viel eher eine interessante Abweichung von der regelmäßigen Bethätigung, als
eine Bereicherung und Erweiterung derselben. Es hätte dem feinfühligen Ästhe¬
tiker Spiclhagen nicht entgehen dürfen, daß ein so episodenhaftes Motiv nicht
die breite Ausführung des Romans, sondern höchstens die genrehafte der Novelle
verträgt, eben weil die letztere darauf ausgeht, aus dem vielgestaltigen Getriebe
des psychischen Lebens einzelne Momente, absonderliche Gestaltungen zu fixiren.
Dies seltsame Zusammengeraten der verschiedensten Menschen auf demselben
Wege des Denkens und Handelns sieht viel zu sehr einer, wodurch auch immer
hervorgerufenen seelischen Abnormität ähnlich, als daß es, auch mit dem größten
künstlerischen Geschick, sich zu einem Weltbilde verarbeiten ließe.

Dazu kommt noch eins. Seinem alten Hange zu problematischen Naturen
getreu, hat der Dichter uns zumeist Charaktere vorgeführt, denen zur besonnenen
oder nur überhaupt geschickten Gestaltung ihres Lebens und Ausführung ihrer
Pläne bald dies bald jenes wichtige Charakterelcment fehlt. Getäuschte Hoffnungen,
verfehlte Lebenspläne, vernichtete Existenzen breiten deshalb an sich schon eine
Wolke von Schmerz und Traurigkeit über den Roman. Weil aber nun alles
ohne Umsehen und Stillstehen nur einem Ziele nachstrebt, wird diese trübe
Atmosphäre nirgends durch einen Lichtblick unterbrochen. Trübes folgt auf
Trübes, Frevelthat auf Mißgeschick, Bosheit und Gemeinheit auf Einfalt und
Leichtgläubigkeit. Ein ununterbrochener Strom des Schmerzlichen und Hä߬
lichen ergießt sich in die Seele des Lesers, bedrückt seine Stimmung, beschwert
sein Empfinden, und wenn er das Buch schließt, ruft er aus: "Wie peinlich
war das, wie unerquicklich!" Ist das ein Weltbild, so stammt es sicher nicht
aus der Welt, die wir kennen, in der wir atmen, sondern aus einer, die sich
in dem Hirn des Dichters in Stunden pessimistischen Grübelns gestaltete.
Zum mindesten ist es keine unverfälschte Wiedergabe des Laufes der Dinge.
Fallen in unsrer Welt hin und wieder edle, schlichte Menschen, denen es an
Umsicht und Widerstandsfähigkeit fehlt, gemeinen Anschlägen wehrlos zum Opfer,
so hat doch noch niemand -- es sei denn ein grilliger Sonderling -- darin
den Ausdruck des gewöhnlichen Geschehens gefunden. So etwas kaun vor¬
kommen, allein in der unerbittlichen, förmlich fatalistischen Strenge und Anbauer,
in der Spielhagen es vorführt, ist es in der Welt stets nur das Resultat ganz
ausnahmsweise eintretender Kombinationen und eben darum nicht Objekt
künstlerischer Wiedergabe.

Es hieße in das eigenste Recht des Dichters eingreifen, wollte man ihm
über die Art und Weise der Ausgestaltung seines Grundmotivs selbst Vor¬
schriften machen. Nur daß er innerhalb der einmal eingeschlagnen Richtung
konsequent bleibe, müssen wir umso lebhafter fordern, als durch willkürliche


Uhlenhans.

so lebhaft ergriffen werden, dich diesem Interesse gegenüber kein andres in Be¬
tracht kommt. Aber dies Ergriffensein von einer Idee ist dann doch im Leben
der Beteiligten nichts andres als eine Episode, bedeutet für ihren Charakter
viel eher eine interessante Abweichung von der regelmäßigen Bethätigung, als
eine Bereicherung und Erweiterung derselben. Es hätte dem feinfühligen Ästhe¬
tiker Spiclhagen nicht entgehen dürfen, daß ein so episodenhaftes Motiv nicht
die breite Ausführung des Romans, sondern höchstens die genrehafte der Novelle
verträgt, eben weil die letztere darauf ausgeht, aus dem vielgestaltigen Getriebe
des psychischen Lebens einzelne Momente, absonderliche Gestaltungen zu fixiren.
Dies seltsame Zusammengeraten der verschiedensten Menschen auf demselben
Wege des Denkens und Handelns sieht viel zu sehr einer, wodurch auch immer
hervorgerufenen seelischen Abnormität ähnlich, als daß es, auch mit dem größten
künstlerischen Geschick, sich zu einem Weltbilde verarbeiten ließe.

Dazu kommt noch eins. Seinem alten Hange zu problematischen Naturen
getreu, hat der Dichter uns zumeist Charaktere vorgeführt, denen zur besonnenen
oder nur überhaupt geschickten Gestaltung ihres Lebens und Ausführung ihrer
Pläne bald dies bald jenes wichtige Charakterelcment fehlt. Getäuschte Hoffnungen,
verfehlte Lebenspläne, vernichtete Existenzen breiten deshalb an sich schon eine
Wolke von Schmerz und Traurigkeit über den Roman. Weil aber nun alles
ohne Umsehen und Stillstehen nur einem Ziele nachstrebt, wird diese trübe
Atmosphäre nirgends durch einen Lichtblick unterbrochen. Trübes folgt auf
Trübes, Frevelthat auf Mißgeschick, Bosheit und Gemeinheit auf Einfalt und
Leichtgläubigkeit. Ein ununterbrochener Strom des Schmerzlichen und Hä߬
lichen ergießt sich in die Seele des Lesers, bedrückt seine Stimmung, beschwert
sein Empfinden, und wenn er das Buch schließt, ruft er aus: „Wie peinlich
war das, wie unerquicklich!" Ist das ein Weltbild, so stammt es sicher nicht
aus der Welt, die wir kennen, in der wir atmen, sondern aus einer, die sich
in dem Hirn des Dichters in Stunden pessimistischen Grübelns gestaltete.
Zum mindesten ist es keine unverfälschte Wiedergabe des Laufes der Dinge.
Fallen in unsrer Welt hin und wieder edle, schlichte Menschen, denen es an
Umsicht und Widerstandsfähigkeit fehlt, gemeinen Anschlägen wehrlos zum Opfer,
so hat doch noch niemand — es sei denn ein grilliger Sonderling — darin
den Ausdruck des gewöhnlichen Geschehens gefunden. So etwas kaun vor¬
kommen, allein in der unerbittlichen, förmlich fatalistischen Strenge und Anbauer,
in der Spielhagen es vorführt, ist es in der Welt stets nur das Resultat ganz
ausnahmsweise eintretender Kombinationen und eben darum nicht Objekt
künstlerischer Wiedergabe.

Es hieße in das eigenste Recht des Dichters eingreifen, wollte man ihm
über die Art und Weise der Ausgestaltung seines Grundmotivs selbst Vor¬
schriften machen. Nur daß er innerhalb der einmal eingeschlagnen Richtung
konsequent bleibe, müssen wir umso lebhafter fordern, als durch willkürliche


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0616" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/155499"/>
          <fw type="header" place="top"> Uhlenhans.</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_2468" prev="#ID_2467"> so lebhaft ergriffen werden, dich diesem Interesse gegenüber kein andres in Be¬<lb/>
tracht kommt. Aber dies Ergriffensein von einer Idee ist dann doch im Leben<lb/>
der Beteiligten nichts andres als eine Episode, bedeutet für ihren Charakter<lb/>
viel eher eine interessante Abweichung von der regelmäßigen Bethätigung, als<lb/>
eine Bereicherung und Erweiterung derselben. Es hätte dem feinfühligen Ästhe¬<lb/>
tiker Spiclhagen nicht entgehen dürfen, daß ein so episodenhaftes Motiv nicht<lb/>
die breite Ausführung des Romans, sondern höchstens die genrehafte der Novelle<lb/>
verträgt, eben weil die letztere darauf ausgeht, aus dem vielgestaltigen Getriebe<lb/>
des psychischen Lebens einzelne Momente, absonderliche Gestaltungen zu fixiren.<lb/>
Dies seltsame Zusammengeraten der verschiedensten Menschen auf demselben<lb/>
Wege des Denkens und Handelns sieht viel zu sehr einer, wodurch auch immer<lb/>
hervorgerufenen seelischen Abnormität ähnlich, als daß es, auch mit dem größten<lb/>
künstlerischen Geschick, sich zu einem Weltbilde verarbeiten ließe.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_2469"> Dazu kommt noch eins. Seinem alten Hange zu problematischen Naturen<lb/>
getreu, hat der Dichter uns zumeist Charaktere vorgeführt, denen zur besonnenen<lb/>
oder nur überhaupt geschickten Gestaltung ihres Lebens und Ausführung ihrer<lb/>
Pläne bald dies bald jenes wichtige Charakterelcment fehlt. Getäuschte Hoffnungen,<lb/>
verfehlte Lebenspläne, vernichtete Existenzen breiten deshalb an sich schon eine<lb/>
Wolke von Schmerz und Traurigkeit über den Roman. Weil aber nun alles<lb/>
ohne Umsehen und Stillstehen nur einem Ziele nachstrebt, wird diese trübe<lb/>
Atmosphäre nirgends durch einen Lichtblick unterbrochen. Trübes folgt auf<lb/>
Trübes, Frevelthat auf Mißgeschick, Bosheit und Gemeinheit auf Einfalt und<lb/>
Leichtgläubigkeit. Ein ununterbrochener Strom des Schmerzlichen und Hä߬<lb/>
lichen ergießt sich in die Seele des Lesers, bedrückt seine Stimmung, beschwert<lb/>
sein Empfinden, und wenn er das Buch schließt, ruft er aus: &#x201E;Wie peinlich<lb/>
war das, wie unerquicklich!" Ist das ein Weltbild, so stammt es sicher nicht<lb/>
aus der Welt, die wir kennen, in der wir atmen, sondern aus einer, die sich<lb/>
in dem Hirn des Dichters in Stunden pessimistischen Grübelns gestaltete.<lb/>
Zum mindesten ist es keine unverfälschte Wiedergabe des Laufes der Dinge.<lb/>
Fallen in unsrer Welt hin und wieder edle, schlichte Menschen, denen es an<lb/>
Umsicht und Widerstandsfähigkeit fehlt, gemeinen Anschlägen wehrlos zum Opfer,<lb/>
so hat doch noch niemand &#x2014; es sei denn ein grilliger Sonderling &#x2014; darin<lb/>
den Ausdruck des gewöhnlichen Geschehens gefunden. So etwas kaun vor¬<lb/>
kommen, allein in der unerbittlichen, förmlich fatalistischen Strenge und Anbauer,<lb/>
in der Spielhagen es vorführt, ist es in der Welt stets nur das Resultat ganz<lb/>
ausnahmsweise eintretender Kombinationen und eben darum nicht Objekt<lb/>
künstlerischer Wiedergabe.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_2470" next="#ID_2471"> Es hieße in das eigenste Recht des Dichters eingreifen, wollte man ihm<lb/>
über die Art und Weise der Ausgestaltung seines Grundmotivs selbst Vor¬<lb/>
schriften machen. Nur daß er innerhalb der einmal eingeschlagnen Richtung<lb/>
konsequent bleibe, müssen wir umso lebhafter fordern, als durch willkürliche</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0616] Uhlenhans. so lebhaft ergriffen werden, dich diesem Interesse gegenüber kein andres in Be¬ tracht kommt. Aber dies Ergriffensein von einer Idee ist dann doch im Leben der Beteiligten nichts andres als eine Episode, bedeutet für ihren Charakter viel eher eine interessante Abweichung von der regelmäßigen Bethätigung, als eine Bereicherung und Erweiterung derselben. Es hätte dem feinfühligen Ästhe¬ tiker Spiclhagen nicht entgehen dürfen, daß ein so episodenhaftes Motiv nicht die breite Ausführung des Romans, sondern höchstens die genrehafte der Novelle verträgt, eben weil die letztere darauf ausgeht, aus dem vielgestaltigen Getriebe des psychischen Lebens einzelne Momente, absonderliche Gestaltungen zu fixiren. Dies seltsame Zusammengeraten der verschiedensten Menschen auf demselben Wege des Denkens und Handelns sieht viel zu sehr einer, wodurch auch immer hervorgerufenen seelischen Abnormität ähnlich, als daß es, auch mit dem größten künstlerischen Geschick, sich zu einem Weltbilde verarbeiten ließe. Dazu kommt noch eins. Seinem alten Hange zu problematischen Naturen getreu, hat der Dichter uns zumeist Charaktere vorgeführt, denen zur besonnenen oder nur überhaupt geschickten Gestaltung ihres Lebens und Ausführung ihrer Pläne bald dies bald jenes wichtige Charakterelcment fehlt. Getäuschte Hoffnungen, verfehlte Lebenspläne, vernichtete Existenzen breiten deshalb an sich schon eine Wolke von Schmerz und Traurigkeit über den Roman. Weil aber nun alles ohne Umsehen und Stillstehen nur einem Ziele nachstrebt, wird diese trübe Atmosphäre nirgends durch einen Lichtblick unterbrochen. Trübes folgt auf Trübes, Frevelthat auf Mißgeschick, Bosheit und Gemeinheit auf Einfalt und Leichtgläubigkeit. Ein ununterbrochener Strom des Schmerzlichen und Hä߬ lichen ergießt sich in die Seele des Lesers, bedrückt seine Stimmung, beschwert sein Empfinden, und wenn er das Buch schließt, ruft er aus: „Wie peinlich war das, wie unerquicklich!" Ist das ein Weltbild, so stammt es sicher nicht aus der Welt, die wir kennen, in der wir atmen, sondern aus einer, die sich in dem Hirn des Dichters in Stunden pessimistischen Grübelns gestaltete. Zum mindesten ist es keine unverfälschte Wiedergabe des Laufes der Dinge. Fallen in unsrer Welt hin und wieder edle, schlichte Menschen, denen es an Umsicht und Widerstandsfähigkeit fehlt, gemeinen Anschlägen wehrlos zum Opfer, so hat doch noch niemand — es sei denn ein grilliger Sonderling — darin den Ausdruck des gewöhnlichen Geschehens gefunden. So etwas kaun vor¬ kommen, allein in der unerbittlichen, förmlich fatalistischen Strenge und Anbauer, in der Spielhagen es vorführt, ist es in der Welt stets nur das Resultat ganz ausnahmsweise eintretender Kombinationen und eben darum nicht Objekt künstlerischer Wiedergabe. Es hieße in das eigenste Recht des Dichters eingreifen, wollte man ihm über die Art und Weise der Ausgestaltung seines Grundmotivs selbst Vor¬ schriften machen. Nur daß er innerhalb der einmal eingeschlagnen Richtung konsequent bleibe, müssen wir umso lebhafter fordern, als durch willkürliche

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341839_158199
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341839_158199/616
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341839_158199/616>, abgerufen am 04.07.2024.