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Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Erstes Quartal.

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Humanität im Strafrecht,

Punkt. Die eifrigen Humanitätsverfechter sind zugleich eifrige Verfechter des Grund¬
satzes UM no tÄNAörs! Ist einem der Schönredner nur der geringste Schaden
zugefügt worden, dann wird Polizei, Staatsanwaltschaft u. s. w. in Bewegung
gesetzt zur energischen Bestrafung des Missethäters; keine Strafe im Kodex ist
für den schweren Fall scharf genug. Ist dagegen einem Mitmenschen ein Leid
zugefügt worden, so wird zwar in dem bekannten Entrüstungston die That be¬
sprochen und verurteilt: nach kurzer Zeit aber ist die Entrüstung verflogen, die
"humane" Anschauung greift wieder Platz, und der Verbrecher wird entweder
für einen unzurechnungsfähigen oder doch für einen bemitleidenswerten, ver¬
irrten Menschen angesehen, dem janicht zu nahe getreten werden darf. Die
Sonderinteressen sind ja durch die That nicht berührt, und es macht den guten
Eindruck eines "gebildeten Mannes," sich über die "augenblickliche Leidenschaft"
zu stellen und eine "humane Denkart" an den Tag zu legen: man ist sür
möglichst "humane" Bestrafung des Übelthäters.

Was heißt nun eigentlich human im Strafen sein? Die Antwort hierauf
kaun doch mir lauten: so strafen, daß der Thäter in der Strafe ein Übel er¬
blickt, dabei aber unnötige Grausamkeit und Härte ferngehalten wird. Nun
kann aber jede Grausamkeit und Härte nicht ausgeschlossen werden, es ist das
mit menschlichen Mitteln nicht zu erreichen. Es wird z. B. nach allgemeinen
Begriffen immer eine grausame Handlung bleiben, einem Mörder das Todes¬
urteil vierundzwanzig Stunden vor der Hinrichtung zu verkünden, ihn also
stundenlang in eine furchtbare seelische Aufregung zu versetzen und dann unter
gewissen Zeremonien zu töten, auch wenn es kraft des Gesetzes geschieht. Ebenso
bleibt es eine Härte, daß eine arme Witwe, die, um sich und ihre Kinder vor Hunger
zu schütze", letztere, anstatt den richtigen Weg zur Armenbehörde einzuschlagen,
aus falscher Scham zum Vetteln ausschickt, deshalb mit Hast bestraft wird.
Aber diese Erkenntnis darf nicht dazu verleiten, Strafen festzusetzen, welche den
Übelthäter nicht empfindlich zu treffen imstande sind; für ihn muß die ausge¬
sprochene Strafe in jedem Falle ein Übel sein, ein Übel, das er nicht ans sich
geladen haben würde, wenn er nicht gefehlt hätte. Es darf daher die ausge¬
sprochene Strafe nichts andres als ein wirkliches Übel, jedenfalls aber keine
Wohlthat oder wenigstens kein Etwas sein, was dem Bestraften gleichgiltig ist;
dem: letzternfalls hat sie ihren Zweck gänzlich verfehlt.

Unsre Humanitätsbestrebungen haben uns glücklich dahin gebracht, daß in
vielen Fällen der Bestrafte die ihm auferlegte Strafe garnicht als solche em¬
pfindet, daß er vielmehr, sofern die Strafe in Freiheitsentziehung besteht, eine
Art Versorgung darin erblickt, sofern sie in Erlegung einer Geldsumme besteht,
gleichgiltig darüber Hinwegsicht. Man halte nicht ein, daß Fälle der ersten Art
vereinzelt dastehen. Abgesehen davon, daß leider nur zu häufig Verbrechen,
insbesondre Brandstiftung, Rückfallsdiebstahl :c., begangen werden in der Absicht,
im Zuchthause eingesperrt zu werden, spricht die erschreckend hohe Zahl der ge-


Humanität im Strafrecht,

Punkt. Die eifrigen Humanitätsverfechter sind zugleich eifrige Verfechter des Grund¬
satzes UM no tÄNAörs! Ist einem der Schönredner nur der geringste Schaden
zugefügt worden, dann wird Polizei, Staatsanwaltschaft u. s. w. in Bewegung
gesetzt zur energischen Bestrafung des Missethäters; keine Strafe im Kodex ist
für den schweren Fall scharf genug. Ist dagegen einem Mitmenschen ein Leid
zugefügt worden, so wird zwar in dem bekannten Entrüstungston die That be¬
sprochen und verurteilt: nach kurzer Zeit aber ist die Entrüstung verflogen, die
„humane" Anschauung greift wieder Platz, und der Verbrecher wird entweder
für einen unzurechnungsfähigen oder doch für einen bemitleidenswerten, ver¬
irrten Menschen angesehen, dem janicht zu nahe getreten werden darf. Die
Sonderinteressen sind ja durch die That nicht berührt, und es macht den guten
Eindruck eines „gebildeten Mannes," sich über die „augenblickliche Leidenschaft"
zu stellen und eine „humane Denkart" an den Tag zu legen: man ist sür
möglichst „humane" Bestrafung des Übelthäters.

Was heißt nun eigentlich human im Strafen sein? Die Antwort hierauf
kaun doch mir lauten: so strafen, daß der Thäter in der Strafe ein Übel er¬
blickt, dabei aber unnötige Grausamkeit und Härte ferngehalten wird. Nun
kann aber jede Grausamkeit und Härte nicht ausgeschlossen werden, es ist das
mit menschlichen Mitteln nicht zu erreichen. Es wird z. B. nach allgemeinen
Begriffen immer eine grausame Handlung bleiben, einem Mörder das Todes¬
urteil vierundzwanzig Stunden vor der Hinrichtung zu verkünden, ihn also
stundenlang in eine furchtbare seelische Aufregung zu versetzen und dann unter
gewissen Zeremonien zu töten, auch wenn es kraft des Gesetzes geschieht. Ebenso
bleibt es eine Härte, daß eine arme Witwe, die, um sich und ihre Kinder vor Hunger
zu schütze», letztere, anstatt den richtigen Weg zur Armenbehörde einzuschlagen,
aus falscher Scham zum Vetteln ausschickt, deshalb mit Hast bestraft wird.
Aber diese Erkenntnis darf nicht dazu verleiten, Strafen festzusetzen, welche den
Übelthäter nicht empfindlich zu treffen imstande sind; für ihn muß die ausge¬
sprochene Strafe in jedem Falle ein Übel sein, ein Übel, das er nicht ans sich
geladen haben würde, wenn er nicht gefehlt hätte. Es darf daher die ausge¬
sprochene Strafe nichts andres als ein wirkliches Übel, jedenfalls aber keine
Wohlthat oder wenigstens kein Etwas sein, was dem Bestraften gleichgiltig ist;
dem: letzternfalls hat sie ihren Zweck gänzlich verfehlt.

Unsre Humanitätsbestrebungen haben uns glücklich dahin gebracht, daß in
vielen Fällen der Bestrafte die ihm auferlegte Strafe garnicht als solche em¬
pfindet, daß er vielmehr, sofern die Strafe in Freiheitsentziehung besteht, eine
Art Versorgung darin erblickt, sofern sie in Erlegung einer Geldsumme besteht,
gleichgiltig darüber Hinwegsicht. Man halte nicht ein, daß Fälle der ersten Art
vereinzelt dastehen. Abgesehen davon, daß leider nur zu häufig Verbrechen,
insbesondre Brandstiftung, Rückfallsdiebstahl :c., begangen werden in der Absicht,
im Zuchthause eingesperrt zu werden, spricht die erschreckend hohe Zahl der ge-


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[0610] Humanität im Strafrecht, Punkt. Die eifrigen Humanitätsverfechter sind zugleich eifrige Verfechter des Grund¬ satzes UM no tÄNAörs! Ist einem der Schönredner nur der geringste Schaden zugefügt worden, dann wird Polizei, Staatsanwaltschaft u. s. w. in Bewegung gesetzt zur energischen Bestrafung des Missethäters; keine Strafe im Kodex ist für den schweren Fall scharf genug. Ist dagegen einem Mitmenschen ein Leid zugefügt worden, so wird zwar in dem bekannten Entrüstungston die That be¬ sprochen und verurteilt: nach kurzer Zeit aber ist die Entrüstung verflogen, die „humane" Anschauung greift wieder Platz, und der Verbrecher wird entweder für einen unzurechnungsfähigen oder doch für einen bemitleidenswerten, ver¬ irrten Menschen angesehen, dem janicht zu nahe getreten werden darf. Die Sonderinteressen sind ja durch die That nicht berührt, und es macht den guten Eindruck eines „gebildeten Mannes," sich über die „augenblickliche Leidenschaft" zu stellen und eine „humane Denkart" an den Tag zu legen: man ist sür möglichst „humane" Bestrafung des Übelthäters. Was heißt nun eigentlich human im Strafen sein? Die Antwort hierauf kaun doch mir lauten: so strafen, daß der Thäter in der Strafe ein Übel er¬ blickt, dabei aber unnötige Grausamkeit und Härte ferngehalten wird. Nun kann aber jede Grausamkeit und Härte nicht ausgeschlossen werden, es ist das mit menschlichen Mitteln nicht zu erreichen. Es wird z. B. nach allgemeinen Begriffen immer eine grausame Handlung bleiben, einem Mörder das Todes¬ urteil vierundzwanzig Stunden vor der Hinrichtung zu verkünden, ihn also stundenlang in eine furchtbare seelische Aufregung zu versetzen und dann unter gewissen Zeremonien zu töten, auch wenn es kraft des Gesetzes geschieht. Ebenso bleibt es eine Härte, daß eine arme Witwe, die, um sich und ihre Kinder vor Hunger zu schütze», letztere, anstatt den richtigen Weg zur Armenbehörde einzuschlagen, aus falscher Scham zum Vetteln ausschickt, deshalb mit Hast bestraft wird. Aber diese Erkenntnis darf nicht dazu verleiten, Strafen festzusetzen, welche den Übelthäter nicht empfindlich zu treffen imstande sind; für ihn muß die ausge¬ sprochene Strafe in jedem Falle ein Übel sein, ein Übel, das er nicht ans sich geladen haben würde, wenn er nicht gefehlt hätte. Es darf daher die ausge¬ sprochene Strafe nichts andres als ein wirkliches Übel, jedenfalls aber keine Wohlthat oder wenigstens kein Etwas sein, was dem Bestraften gleichgiltig ist; dem: letzternfalls hat sie ihren Zweck gänzlich verfehlt. Unsre Humanitätsbestrebungen haben uns glücklich dahin gebracht, daß in vielen Fällen der Bestrafte die ihm auferlegte Strafe garnicht als solche em¬ pfindet, daß er vielmehr, sofern die Strafe in Freiheitsentziehung besteht, eine Art Versorgung darin erblickt, sofern sie in Erlegung einer Geldsumme besteht, gleichgiltig darüber Hinwegsicht. Man halte nicht ein, daß Fälle der ersten Art vereinzelt dastehen. Abgesehen davon, daß leider nur zu häufig Verbrechen, insbesondre Brandstiftung, Rückfallsdiebstahl :c., begangen werden in der Absicht, im Zuchthause eingesperrt zu werden, spricht die erschreckend hohe Zahl der ge-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341839_158199/610>, abgerufen am 30.06.2024.