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Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Erstes Quartal.

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Gegen den Staatssozialismus.

Wieder einmal seinen nationalen Klageruf erschallen! Diesmal freilich -- und
das ist das einzig Neue an ihm -- mit einer Intensität, als käme es ihm
wirklich vom "Herzen"! Nach seinen Ausführungen ist nämlich dem Staats¬
sozialismus bereits so viel gelungen, insbesondre sind den Herren Geldwechslern
bereits die Fänge so wirksam beschnitten, daß man sich freudig staunend fragt:
Sollten wir wirklich schon so weit sein, in ein paar lumpigen Jahren schon
so Großes erreicht haben? Leider ist nur dem Handelsmanne gerade dann am
wenigsten Glanben zu schenken, wenn er über schlechte Zeiten klagt. Der Staats¬
sozialismus ist noch längst kein Heiland, der die Wechsler aus dem Tempel
werfen könnte. Aber er wird's vielleicht noch einmal, trotz des allgemeinen
Deutschen Geldsackvereins unter Herrn Broemcls Präsidium. Dieser ist die
Pointe der ganzen Broschüre. Alle drei Verfasser streben auf ihn hin, aber
Herrn Broemel ist die Aufgabe geworden, recht eigentlich dem großen praktisch-
politischen Plane die entsprechenden Worte zu verleihen. Leider hat diese Auf¬
gabe so sehr sein ganzes Denken in Beschlag genommen, daß alles übrige in
seiner langen Abhandlung steril ist wie ein Programm der Fortschrittspartei.
Kein lichtvoller Gedanke, leine pikante Auffassung, keine drastische Darstellung.
Das Ganze liest sich fast wie ein Wahlredenformnlar. Der Jdeengang ist un¬
gefähr folgender.

Der Staatssozialismus stelle die Lage der untern Klassen zu pessimistisch
dar. Sie sei nicht so schlimm. Die Statistik (das versteht sich, immer die
Statistik!) beweise, daß der Kapitalgewinn ab- und der Arbeitslohn zunehme.
Eine Kontrole des wirtschaftlichen Erwerbes durch den Staat sei darum nicht
notwendig. Der Staat kontrolire die Künstler nicht, wenn sie ihre Kunstwerke
schaffen (ja ja, das steht darin, S. 51!) also brauche er sich auch bei der
Füllung der Geldsücke nicht einzumischen. Die Staatssozialisten verursachten
nur aber in der wirtschaftlichen Entwicklung eine enorme Störung. Niemand
könne mehr einen Rebbes machen. Und ihr Einfluß würde bereits so stark,
daß die Herren Manchestermänner im Reichstage vollständig brachgelegt wären-
Die besten legislatorischen Absichten, die sie fürs Volkswohl Hütten, würden
ihnen durchkreuzt. Sie säßen da "mit's Talent" und könntens nicht verwerten.
Man dürfe aber ganz sicher sein, daß alle Wohlthaten, die die Regierung dem
Volke erweisen wolle, von ihnen weit überboten worden wären, wenn man ihnen
nach 1876 weiter freie Hand gelassen hätte. So wie die Sachen jetzt stünden,
bliebe nichts übrig, als sich in Defensive zu halten. Und zu diesem Zwecke
wird dann schließlich der indolente deutsche Philister energisch aus seiner Lethargie
aufgerüttelt, und aufgefordert, sich baldmöglichst zu einem Vereine, der die "private
Erwerbsthätigkeit" verteidigen soll, zusammenzuthun. Die verschiedenartigsten
Parteinüanecn könnten sich in diesem Verein zusammenfinden, sogar der Kultur¬
kampf müsse hier aufhören. Mit Recht! Denn wenn irgend etwas, so ist der
Geldsack den Weg nach Canossa wert. Das Ganze soll wohl so eine Art


Gegen den Staatssozialismus.

Wieder einmal seinen nationalen Klageruf erschallen! Diesmal freilich — und
das ist das einzig Neue an ihm — mit einer Intensität, als käme es ihm
wirklich vom „Herzen"! Nach seinen Ausführungen ist nämlich dem Staats¬
sozialismus bereits so viel gelungen, insbesondre sind den Herren Geldwechslern
bereits die Fänge so wirksam beschnitten, daß man sich freudig staunend fragt:
Sollten wir wirklich schon so weit sein, in ein paar lumpigen Jahren schon
so Großes erreicht haben? Leider ist nur dem Handelsmanne gerade dann am
wenigsten Glanben zu schenken, wenn er über schlechte Zeiten klagt. Der Staats¬
sozialismus ist noch längst kein Heiland, der die Wechsler aus dem Tempel
werfen könnte. Aber er wird's vielleicht noch einmal, trotz des allgemeinen
Deutschen Geldsackvereins unter Herrn Broemcls Präsidium. Dieser ist die
Pointe der ganzen Broschüre. Alle drei Verfasser streben auf ihn hin, aber
Herrn Broemel ist die Aufgabe geworden, recht eigentlich dem großen praktisch-
politischen Plane die entsprechenden Worte zu verleihen. Leider hat diese Auf¬
gabe so sehr sein ganzes Denken in Beschlag genommen, daß alles übrige in
seiner langen Abhandlung steril ist wie ein Programm der Fortschrittspartei.
Kein lichtvoller Gedanke, leine pikante Auffassung, keine drastische Darstellung.
Das Ganze liest sich fast wie ein Wahlredenformnlar. Der Jdeengang ist un¬
gefähr folgender.

Der Staatssozialismus stelle die Lage der untern Klassen zu pessimistisch
dar. Sie sei nicht so schlimm. Die Statistik (das versteht sich, immer die
Statistik!) beweise, daß der Kapitalgewinn ab- und der Arbeitslohn zunehme.
Eine Kontrole des wirtschaftlichen Erwerbes durch den Staat sei darum nicht
notwendig. Der Staat kontrolire die Künstler nicht, wenn sie ihre Kunstwerke
schaffen (ja ja, das steht darin, S. 51!) also brauche er sich auch bei der
Füllung der Geldsücke nicht einzumischen. Die Staatssozialisten verursachten
nur aber in der wirtschaftlichen Entwicklung eine enorme Störung. Niemand
könne mehr einen Rebbes machen. Und ihr Einfluß würde bereits so stark,
daß die Herren Manchestermänner im Reichstage vollständig brachgelegt wären-
Die besten legislatorischen Absichten, die sie fürs Volkswohl Hütten, würden
ihnen durchkreuzt. Sie säßen da „mit's Talent" und könntens nicht verwerten.
Man dürfe aber ganz sicher sein, daß alle Wohlthaten, die die Regierung dem
Volke erweisen wolle, von ihnen weit überboten worden wären, wenn man ihnen
nach 1876 weiter freie Hand gelassen hätte. So wie die Sachen jetzt stünden,
bliebe nichts übrig, als sich in Defensive zu halten. Und zu diesem Zwecke
wird dann schließlich der indolente deutsche Philister energisch aus seiner Lethargie
aufgerüttelt, und aufgefordert, sich baldmöglichst zu einem Vereine, der die „private
Erwerbsthätigkeit" verteidigen soll, zusammenzuthun. Die verschiedenartigsten
Parteinüanecn könnten sich in diesem Verein zusammenfinden, sogar der Kultur¬
kampf müsse hier aufhören. Mit Recht! Denn wenn irgend etwas, so ist der
Geldsack den Weg nach Canossa wert. Das Ganze soll wohl so eine Art


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[0604] Gegen den Staatssozialismus. Wieder einmal seinen nationalen Klageruf erschallen! Diesmal freilich — und das ist das einzig Neue an ihm — mit einer Intensität, als käme es ihm wirklich vom „Herzen"! Nach seinen Ausführungen ist nämlich dem Staats¬ sozialismus bereits so viel gelungen, insbesondre sind den Herren Geldwechslern bereits die Fänge so wirksam beschnitten, daß man sich freudig staunend fragt: Sollten wir wirklich schon so weit sein, in ein paar lumpigen Jahren schon so Großes erreicht haben? Leider ist nur dem Handelsmanne gerade dann am wenigsten Glanben zu schenken, wenn er über schlechte Zeiten klagt. Der Staats¬ sozialismus ist noch längst kein Heiland, der die Wechsler aus dem Tempel werfen könnte. Aber er wird's vielleicht noch einmal, trotz des allgemeinen Deutschen Geldsackvereins unter Herrn Broemcls Präsidium. Dieser ist die Pointe der ganzen Broschüre. Alle drei Verfasser streben auf ihn hin, aber Herrn Broemel ist die Aufgabe geworden, recht eigentlich dem großen praktisch- politischen Plane die entsprechenden Worte zu verleihen. Leider hat diese Auf¬ gabe so sehr sein ganzes Denken in Beschlag genommen, daß alles übrige in seiner langen Abhandlung steril ist wie ein Programm der Fortschrittspartei. Kein lichtvoller Gedanke, leine pikante Auffassung, keine drastische Darstellung. Das Ganze liest sich fast wie ein Wahlredenformnlar. Der Jdeengang ist un¬ gefähr folgender. Der Staatssozialismus stelle die Lage der untern Klassen zu pessimistisch dar. Sie sei nicht so schlimm. Die Statistik (das versteht sich, immer die Statistik!) beweise, daß der Kapitalgewinn ab- und der Arbeitslohn zunehme. Eine Kontrole des wirtschaftlichen Erwerbes durch den Staat sei darum nicht notwendig. Der Staat kontrolire die Künstler nicht, wenn sie ihre Kunstwerke schaffen (ja ja, das steht darin, S. 51!) also brauche er sich auch bei der Füllung der Geldsücke nicht einzumischen. Die Staatssozialisten verursachten nur aber in der wirtschaftlichen Entwicklung eine enorme Störung. Niemand könne mehr einen Rebbes machen. Und ihr Einfluß würde bereits so stark, daß die Herren Manchestermänner im Reichstage vollständig brachgelegt wären- Die besten legislatorischen Absichten, die sie fürs Volkswohl Hütten, würden ihnen durchkreuzt. Sie säßen da „mit's Talent" und könntens nicht verwerten. Man dürfe aber ganz sicher sein, daß alle Wohlthaten, die die Regierung dem Volke erweisen wolle, von ihnen weit überboten worden wären, wenn man ihnen nach 1876 weiter freie Hand gelassen hätte. So wie die Sachen jetzt stünden, bliebe nichts übrig, als sich in Defensive zu halten. Und zu diesem Zwecke wird dann schließlich der indolente deutsche Philister energisch aus seiner Lethargie aufgerüttelt, und aufgefordert, sich baldmöglichst zu einem Vereine, der die „private Erwerbsthätigkeit" verteidigen soll, zusammenzuthun. Die verschiedenartigsten Parteinüanecn könnten sich in diesem Verein zusammenfinden, sogar der Kultur¬ kampf müsse hier aufhören. Mit Recht! Denn wenn irgend etwas, so ist der Geldsack den Weg nach Canossa wert. Das Ganze soll wohl so eine Art

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341839_158199/604>, abgerufen am 30.06.2024.