Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Erstes Quartal.

Bild:
<< vorherige Seite
Auf der Leiter des Glücks.

Ich will nichts länger von Aufschub wissen, rief der Fabrikant, sobald er
seiner Frau ansichtig wurde. Mutter Anna, thue dazu, daß über vierzehn Tage
in unserm grünen Speisesaale die Hochzeit hergerichtet wird. Es soll ein wirk¬
liches Festessen werden. Wir wollen den Leuten zeigen, daß wir unsrer Schwieger¬
tochter uns bei Leibe nicht zu schämen brauchen. Ihren Brautführer mache
ich selbst.

Und ungefähr fo ist es denn auch ins Werk gesetzt worden, nachdem frei¬
lich zunächst der Polterabend ausfiel, obschon Kaspar Benedikt aus seiner
Bibliothek ein Buch, das Polterabendscherze enthielt, hervorgesucht und darin
durch einige Dutzend Eselsohren die gereimten Ansprachen bezeichnet hatte, für
welche Frau Anna durchaus die nötigen Sprecherinnen auftreiben sollte. Wenn
dieser Teil des Festes dennoch ausfiel, so war vor allem eine Kunde daran
schuld, eine zugleich frohe und unsäglich schmerzliche, die Major von Stobbe
von einem Ausfluge in die Hauptstadt derjenigen Provinz mitbrachte, welche
den Vater Elisens als den Verschulder zahlloser Verarmungen in Hütte und
Haus ansah. Ganz neuerlich hatten nämlich die Widerrufe eines als Haupt¬
zeuge dabei vornehmlich beteiligt Gewesenen zu einer Revision des Prozesses
geführt, und worauf lief das ensgiltige Ergebnis derselben hinaus? Auf Geb-
hardis völlige Schuldlosigkeit! Schon Tags darauf ging die Kunde von dieser
sensationellen Wendung durch die Zeitungen. Sie mußte in der Villa Anna
zunächst geradezu erschütternd wirken. Dann konnte Frau Anna endlich sich
soweit fassen, daß sie für die Mängel der irdischen Richter, unter Hinweis auf
den Richter über den Sternen, erbaulich beschwichtigende Worte fand; daß sie
ferner von diesem Thema auf die so beklagenswert gewesenen Kinder Gebhardis
und auf das Wiederehrbarwerden des fo lange nur mit Verwünschungen aus¬
gesprochenen Namens derselben überlenkte; ja daß sie zu guterletzt sogar Elise
Gebhardi als diejenige bezeichnete, aus welche ebenso Frau Anna wie Kaspar Bene¬
dikt im Grunde bei der Wahl einer standesgemäßen Schwiegertochter hätte ver¬
fallen müssen, wären sie allwissender gewesen als die Richter des Unglücklichen.
Jedenfalls stand soviel fest: die letzten Flecken, die unter der wohlwollenden
Auffassung auch des alten Ehepaares von dem Bilde der vielgeprüften Braut
im Verschwinden gewesen waren, jetzt hatte" sie sich aufs vollständigste verflüch¬
tigt, und als die künftige Tochter den beiden Alten nnter die Augen trat, glaubte
selbst Kaspar Benedikt kaum Worte genng finden zu können, um sie nach Ge¬
bühr zu ehren und willkommen zu heißen. Man hatte zu dem festlichen Hoch¬
zeitsmahle noch keine Einladungen ergehen lassen, glücklicherweise, denn welche
ernsten Schatten blieben doch über diesem Bunde gelagert! Mutter Anna,
sagte Kaspar Benedikt denn auch, wie wäre es, wenn wir die jungen Leute
mit den neugierigen Gesichtern verschonten, die wir um sie zu versammeln be¬
absichtigt hatten? Sollte die Mustervilla nicht endlich einmal uns und den
lieben Unsern ganz allein gehören? Alle Achtung vor der Mustergiltigkeit dieses


Auf der Leiter des Glücks.

Ich will nichts länger von Aufschub wissen, rief der Fabrikant, sobald er
seiner Frau ansichtig wurde. Mutter Anna, thue dazu, daß über vierzehn Tage
in unserm grünen Speisesaale die Hochzeit hergerichtet wird. Es soll ein wirk¬
liches Festessen werden. Wir wollen den Leuten zeigen, daß wir unsrer Schwieger¬
tochter uns bei Leibe nicht zu schämen brauchen. Ihren Brautführer mache
ich selbst.

Und ungefähr fo ist es denn auch ins Werk gesetzt worden, nachdem frei¬
lich zunächst der Polterabend ausfiel, obschon Kaspar Benedikt aus seiner
Bibliothek ein Buch, das Polterabendscherze enthielt, hervorgesucht und darin
durch einige Dutzend Eselsohren die gereimten Ansprachen bezeichnet hatte, für
welche Frau Anna durchaus die nötigen Sprecherinnen auftreiben sollte. Wenn
dieser Teil des Festes dennoch ausfiel, so war vor allem eine Kunde daran
schuld, eine zugleich frohe und unsäglich schmerzliche, die Major von Stobbe
von einem Ausfluge in die Hauptstadt derjenigen Provinz mitbrachte, welche
den Vater Elisens als den Verschulder zahlloser Verarmungen in Hütte und
Haus ansah. Ganz neuerlich hatten nämlich die Widerrufe eines als Haupt¬
zeuge dabei vornehmlich beteiligt Gewesenen zu einer Revision des Prozesses
geführt, und worauf lief das ensgiltige Ergebnis derselben hinaus? Auf Geb-
hardis völlige Schuldlosigkeit! Schon Tags darauf ging die Kunde von dieser
sensationellen Wendung durch die Zeitungen. Sie mußte in der Villa Anna
zunächst geradezu erschütternd wirken. Dann konnte Frau Anna endlich sich
soweit fassen, daß sie für die Mängel der irdischen Richter, unter Hinweis auf
den Richter über den Sternen, erbaulich beschwichtigende Worte fand; daß sie
ferner von diesem Thema auf die so beklagenswert gewesenen Kinder Gebhardis
und auf das Wiederehrbarwerden des fo lange nur mit Verwünschungen aus¬
gesprochenen Namens derselben überlenkte; ja daß sie zu guterletzt sogar Elise
Gebhardi als diejenige bezeichnete, aus welche ebenso Frau Anna wie Kaspar Bene¬
dikt im Grunde bei der Wahl einer standesgemäßen Schwiegertochter hätte ver¬
fallen müssen, wären sie allwissender gewesen als die Richter des Unglücklichen.
Jedenfalls stand soviel fest: die letzten Flecken, die unter der wohlwollenden
Auffassung auch des alten Ehepaares von dem Bilde der vielgeprüften Braut
im Verschwinden gewesen waren, jetzt hatte» sie sich aufs vollständigste verflüch¬
tigt, und als die künftige Tochter den beiden Alten nnter die Augen trat, glaubte
selbst Kaspar Benedikt kaum Worte genng finden zu können, um sie nach Ge¬
bühr zu ehren und willkommen zu heißen. Man hatte zu dem festlichen Hoch¬
zeitsmahle noch keine Einladungen ergehen lassen, glücklicherweise, denn welche
ernsten Schatten blieben doch über diesem Bunde gelagert! Mutter Anna,
sagte Kaspar Benedikt denn auch, wie wäre es, wenn wir die jungen Leute
mit den neugierigen Gesichtern verschonten, die wir um sie zu versammeln be¬
absichtigt hatten? Sollte die Mustervilla nicht endlich einmal uns und den
lieben Unsern ganz allein gehören? Alle Achtung vor der Mustergiltigkeit dieses


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <div n="2">
            <pb facs="#f0590" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/155473"/>
            <fw type="header" place="top"> Auf der Leiter des Glücks.</fw><lb/>
            <p xml:id="ID_2385"> Ich will nichts länger von Aufschub wissen, rief der Fabrikant, sobald er<lb/>
seiner Frau ansichtig wurde. Mutter Anna, thue dazu, daß über vierzehn Tage<lb/>
in unserm grünen Speisesaale die Hochzeit hergerichtet wird. Es soll ein wirk¬<lb/>
liches Festessen werden. Wir wollen den Leuten zeigen, daß wir unsrer Schwieger¬<lb/>
tochter uns bei Leibe nicht zu schämen brauchen. Ihren Brautführer mache<lb/>
ich selbst.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_2386" next="#ID_2387"> Und ungefähr fo ist es denn auch ins Werk gesetzt worden, nachdem frei¬<lb/>
lich zunächst der Polterabend ausfiel, obschon Kaspar Benedikt aus seiner<lb/>
Bibliothek ein Buch, das Polterabendscherze enthielt, hervorgesucht und darin<lb/>
durch einige Dutzend Eselsohren die gereimten Ansprachen bezeichnet hatte, für<lb/>
welche Frau Anna durchaus die nötigen Sprecherinnen auftreiben sollte. Wenn<lb/>
dieser Teil des Festes dennoch ausfiel, so war vor allem eine Kunde daran<lb/>
schuld, eine zugleich frohe und unsäglich schmerzliche, die Major von Stobbe<lb/>
von einem Ausfluge in die Hauptstadt derjenigen Provinz mitbrachte, welche<lb/>
den Vater Elisens als den Verschulder zahlloser Verarmungen in Hütte und<lb/>
Haus ansah. Ganz neuerlich hatten nämlich die Widerrufe eines als Haupt¬<lb/>
zeuge dabei vornehmlich beteiligt Gewesenen zu einer Revision des Prozesses<lb/>
geführt, und worauf lief das ensgiltige Ergebnis derselben hinaus? Auf Geb-<lb/>
hardis völlige Schuldlosigkeit! Schon Tags darauf ging die Kunde von dieser<lb/>
sensationellen Wendung durch die Zeitungen. Sie mußte in der Villa Anna<lb/>
zunächst geradezu erschütternd wirken. Dann konnte Frau Anna endlich sich<lb/>
soweit fassen, daß sie für die Mängel der irdischen Richter, unter Hinweis auf<lb/>
den Richter über den Sternen, erbaulich beschwichtigende Worte fand; daß sie<lb/>
ferner von diesem Thema auf die so beklagenswert gewesenen Kinder Gebhardis<lb/>
und auf das Wiederehrbarwerden des fo lange nur mit Verwünschungen aus¬<lb/>
gesprochenen Namens derselben überlenkte; ja daß sie zu guterletzt sogar Elise<lb/>
Gebhardi als diejenige bezeichnete, aus welche ebenso Frau Anna wie Kaspar Bene¬<lb/>
dikt im Grunde bei der Wahl einer standesgemäßen Schwiegertochter hätte ver¬<lb/>
fallen müssen, wären sie allwissender gewesen als die Richter des Unglücklichen.<lb/>
Jedenfalls stand soviel fest: die letzten Flecken, die unter der wohlwollenden<lb/>
Auffassung auch des alten Ehepaares von dem Bilde der vielgeprüften Braut<lb/>
im Verschwinden gewesen waren, jetzt hatte» sie sich aufs vollständigste verflüch¬<lb/>
tigt, und als die künftige Tochter den beiden Alten nnter die Augen trat, glaubte<lb/>
selbst Kaspar Benedikt kaum Worte genng finden zu können, um sie nach Ge¬<lb/>
bühr zu ehren und willkommen zu heißen. Man hatte zu dem festlichen Hoch¬<lb/>
zeitsmahle noch keine Einladungen ergehen lassen, glücklicherweise, denn welche<lb/>
ernsten Schatten blieben doch über diesem Bunde gelagert! Mutter Anna,<lb/>
sagte Kaspar Benedikt denn auch, wie wäre es, wenn wir die jungen Leute<lb/>
mit den neugierigen Gesichtern verschonten, die wir um sie zu versammeln be¬<lb/>
absichtigt hatten? Sollte die Mustervilla nicht endlich einmal uns und den<lb/>
lieben Unsern ganz allein gehören? Alle Achtung vor der Mustergiltigkeit dieses</p><lb/>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0590] Auf der Leiter des Glücks. Ich will nichts länger von Aufschub wissen, rief der Fabrikant, sobald er seiner Frau ansichtig wurde. Mutter Anna, thue dazu, daß über vierzehn Tage in unserm grünen Speisesaale die Hochzeit hergerichtet wird. Es soll ein wirk¬ liches Festessen werden. Wir wollen den Leuten zeigen, daß wir unsrer Schwieger¬ tochter uns bei Leibe nicht zu schämen brauchen. Ihren Brautführer mache ich selbst. Und ungefähr fo ist es denn auch ins Werk gesetzt worden, nachdem frei¬ lich zunächst der Polterabend ausfiel, obschon Kaspar Benedikt aus seiner Bibliothek ein Buch, das Polterabendscherze enthielt, hervorgesucht und darin durch einige Dutzend Eselsohren die gereimten Ansprachen bezeichnet hatte, für welche Frau Anna durchaus die nötigen Sprecherinnen auftreiben sollte. Wenn dieser Teil des Festes dennoch ausfiel, so war vor allem eine Kunde daran schuld, eine zugleich frohe und unsäglich schmerzliche, die Major von Stobbe von einem Ausfluge in die Hauptstadt derjenigen Provinz mitbrachte, welche den Vater Elisens als den Verschulder zahlloser Verarmungen in Hütte und Haus ansah. Ganz neuerlich hatten nämlich die Widerrufe eines als Haupt¬ zeuge dabei vornehmlich beteiligt Gewesenen zu einer Revision des Prozesses geführt, und worauf lief das ensgiltige Ergebnis derselben hinaus? Auf Geb- hardis völlige Schuldlosigkeit! Schon Tags darauf ging die Kunde von dieser sensationellen Wendung durch die Zeitungen. Sie mußte in der Villa Anna zunächst geradezu erschütternd wirken. Dann konnte Frau Anna endlich sich soweit fassen, daß sie für die Mängel der irdischen Richter, unter Hinweis auf den Richter über den Sternen, erbaulich beschwichtigende Worte fand; daß sie ferner von diesem Thema auf die so beklagenswert gewesenen Kinder Gebhardis und auf das Wiederehrbarwerden des fo lange nur mit Verwünschungen aus¬ gesprochenen Namens derselben überlenkte; ja daß sie zu guterletzt sogar Elise Gebhardi als diejenige bezeichnete, aus welche ebenso Frau Anna wie Kaspar Bene¬ dikt im Grunde bei der Wahl einer standesgemäßen Schwiegertochter hätte ver¬ fallen müssen, wären sie allwissender gewesen als die Richter des Unglücklichen. Jedenfalls stand soviel fest: die letzten Flecken, die unter der wohlwollenden Auffassung auch des alten Ehepaares von dem Bilde der vielgeprüften Braut im Verschwinden gewesen waren, jetzt hatte» sie sich aufs vollständigste verflüch¬ tigt, und als die künftige Tochter den beiden Alten nnter die Augen trat, glaubte selbst Kaspar Benedikt kaum Worte genng finden zu können, um sie nach Ge¬ bühr zu ehren und willkommen zu heißen. Man hatte zu dem festlichen Hoch¬ zeitsmahle noch keine Einladungen ergehen lassen, glücklicherweise, denn welche ernsten Schatten blieben doch über diesem Bunde gelagert! Mutter Anna, sagte Kaspar Benedikt denn auch, wie wäre es, wenn wir die jungen Leute mit den neugierigen Gesichtern verschonten, die wir um sie zu versammeln be¬ absichtigt hatten? Sollte die Mustervilla nicht endlich einmal uns und den lieben Unsern ganz allein gehören? Alle Achtung vor der Mustergiltigkeit dieses

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341839_158199
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341839_158199/590
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341839_158199/590>, abgerufen am 22.07.2024.