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Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Erstes Quartal.

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Auf der Leiter des Glücks.

dauerte daher lange, ehe Kaspar Benedikt seinerseits, und ihrerseits wiederum
Frau Anna, nur erst jedes für sich die Einrichtung der Villa mit etwas
kritischem Auge zu prüfen begannen.

Zunächst hatten sie die in ihnen gesondert aufgestiegenen Bedenken dadurch
zu zerstreuen gesucht, daß sie ihre Bildung nach den Forderungen der Einrich¬
tung vertieften.

Ich hatte mich geirrt, sagte der Fabrikant zu seiner Gattin, unser B-Zimmer
ist deutsche Frührenaissance, nicht schlechthin deutsche Renaissance; der Baron,
der sich eben empfahl, hat sich immer des ersteren Ausdrucks bedient. Er bat
um die Erlaubnis, Excellenz den Höchstkommcmdirenden gelegentlich auch einmal
bei uns einzuführen. Wir sind plötzlich berühmte Leute geworden. Ich glaube,
seit wir die Villa bezogen haben, ist auf jede Woche wenigstens ein Besucher
dieser Art gekommen. Es soll in einem Kunstblatte von einer bevorstehenden
Umgestaltung der Einrichtung die Rede gewesen sein. Daher das Drängen um
Besichtigungserlaubnis. Ich habe den Baron gebeten, die Leute zu beruhigen.
Als ob wir nicht froh sein müßten, wie das blinde Huhn zu einem so guten
Funde gekommen zu sein. Wer möchte sich denn hier getrauen, auch nur einen
Sessel vom Platze zu rücken!

Frau Anna hatte die Baronin herumgeführt und gestand, daß auch sie
einen glücklicherweise unbemerkt gebliebenen Schnitzer begangen habe. Unsre
sogenannten Herrenzimmer hielt ich für Frührenaissance, sagte sie, es ist aber
ini Gegenteil Spätrenaissauee, oder vielmehr, wie die Baronin sich ausdrückte,
individuelle Beherrschung der Renaiffcmceformen in freier, verständnisvoller Ver¬
wendung für moderne Einrichtungen. Die Baronin erwartet unsern Gegen¬
besuch. Sie hofft, wir werden gute Nachbarschaft halten. Der Baron hat
eine Kegelbahn, wir müssen uns überlegen, wieweit wir über unsre bisherige
Stellung hinaus wollen.

Du hast Recht, erwiederte der Fabrikant nachdrücklich; das will sehr über¬
legt sein. Bis unser Berthold von seiner großen Reise zurückkommt, ergänzte
Frau Anna, sind wir ja Herren unsrer Zeit. Man muß keine Vorurteile haben.
Unter dem Adel giebt es auch Menschen, denen man nicht aus dem Wege zu
gehen braucht.

Unser Berthold, ein Ingenieur, der Adoptivsohn des Paares, konnte von
seiner Studienreise durch die Vereinigten Staaten Nordamerikas noch in Jahr
und Tag nicht zurückerwartet werden. Zeit hatte das Ehepaar also in der That.

Vorher aber die Wagen- und Pferdefrage zu erledigen, schien dem Fabrikanten
doch ratsam. Die Sache spielte bereits lange genug. Eigentlich war man längst
im klaren, wennschon der Gatte immer noch etwas mehr nach der Seite der
Arbeitstüchtigkeit der anzuschaffenden Vierbeiner neigte, Frau Anna hingegen
nach der Seite einer eleganten Erscheinung derselben.


Auf der Leiter des Glücks.

dauerte daher lange, ehe Kaspar Benedikt seinerseits, und ihrerseits wiederum
Frau Anna, nur erst jedes für sich die Einrichtung der Villa mit etwas
kritischem Auge zu prüfen begannen.

Zunächst hatten sie die in ihnen gesondert aufgestiegenen Bedenken dadurch
zu zerstreuen gesucht, daß sie ihre Bildung nach den Forderungen der Einrich¬
tung vertieften.

Ich hatte mich geirrt, sagte der Fabrikant zu seiner Gattin, unser B-Zimmer
ist deutsche Frührenaissance, nicht schlechthin deutsche Renaissance; der Baron,
der sich eben empfahl, hat sich immer des ersteren Ausdrucks bedient. Er bat
um die Erlaubnis, Excellenz den Höchstkommcmdirenden gelegentlich auch einmal
bei uns einzuführen. Wir sind plötzlich berühmte Leute geworden. Ich glaube,
seit wir die Villa bezogen haben, ist auf jede Woche wenigstens ein Besucher
dieser Art gekommen. Es soll in einem Kunstblatte von einer bevorstehenden
Umgestaltung der Einrichtung die Rede gewesen sein. Daher das Drängen um
Besichtigungserlaubnis. Ich habe den Baron gebeten, die Leute zu beruhigen.
Als ob wir nicht froh sein müßten, wie das blinde Huhn zu einem so guten
Funde gekommen zu sein. Wer möchte sich denn hier getrauen, auch nur einen
Sessel vom Platze zu rücken!

Frau Anna hatte die Baronin herumgeführt und gestand, daß auch sie
einen glücklicherweise unbemerkt gebliebenen Schnitzer begangen habe. Unsre
sogenannten Herrenzimmer hielt ich für Frührenaissance, sagte sie, es ist aber
ini Gegenteil Spätrenaissauee, oder vielmehr, wie die Baronin sich ausdrückte,
individuelle Beherrschung der Renaiffcmceformen in freier, verständnisvoller Ver¬
wendung für moderne Einrichtungen. Die Baronin erwartet unsern Gegen¬
besuch. Sie hofft, wir werden gute Nachbarschaft halten. Der Baron hat
eine Kegelbahn, wir müssen uns überlegen, wieweit wir über unsre bisherige
Stellung hinaus wollen.

Du hast Recht, erwiederte der Fabrikant nachdrücklich; das will sehr über¬
legt sein. Bis unser Berthold von seiner großen Reise zurückkommt, ergänzte
Frau Anna, sind wir ja Herren unsrer Zeit. Man muß keine Vorurteile haben.
Unter dem Adel giebt es auch Menschen, denen man nicht aus dem Wege zu
gehen braucht.

Unser Berthold, ein Ingenieur, der Adoptivsohn des Paares, konnte von
seiner Studienreise durch die Vereinigten Staaten Nordamerikas noch in Jahr
und Tag nicht zurückerwartet werden. Zeit hatte das Ehepaar also in der That.

Vorher aber die Wagen- und Pferdefrage zu erledigen, schien dem Fabrikanten
doch ratsam. Die Sache spielte bereits lange genug. Eigentlich war man längst
im klaren, wennschon der Gatte immer noch etwas mehr nach der Seite der
Arbeitstüchtigkeit der anzuschaffenden Vierbeiner neigte, Frau Anna hingegen
nach der Seite einer eleganten Erscheinung derselben.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341839_158199/58>, abgerufen am 02.07.2024.