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Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Erstes Quartal.

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Auf der Leiter des Glücks.

Räumen der Villa Anna aus- und einschliipften. Das Hartigsche Häuschen
"Villa Anna" zu taufen war ein erstes Wagnis in jener Richtung auf das
Barbarische gewesen, denn Villa Anna, Villa Augusta, Villa Marie heißen eine
Menge geschmackloser Architektur-Machwerke, das in Rede stehende Häuschen
oder Haus war aber ursprünglich -- wie die Engländer es ausdrücken würden --
die Villa gewesen, d. h. der Inbegriff alles Geschmackvollen, was eine Villa sein
soll, also gewissermaßen eine Mustervilla, etwas, in dessen Hervorbringung die
Vereinigung von Sinn für Raumschönheit, für Farbenreiz, für bildnerischen
Schmuck, für geistige Feinfühligkeit und für häusliches Behagen ihren höchsten
Trumpf ausgespielt hatte.

Selbstverständlich war sie demnach in den Besitz Kaspar Benedikts nicht
als ein Gebäude gelangt, in dem man diesen oder jenen alten Familienhausrat
mit unterbringt, an dessen Wänden mau eine von der Großmutter ererbte Kukuks¬
uhr oder das stark verzeichnete Kreidebild des Großvaters aufhängt, auf dessen
Fensterbrett man eine kränkelnde Mirthe stellt, die von der silbernen Hochzeit
herstammt, oder das Glas mit einer Leiter und einem Laubfrosch, das schon
vor Jahren einmal aus dem Fenster gefallene Glas, das man, gerade weil es,
bis auf einen Sprung, bei dem Fall sich so tapfer gehalten hat, mit einer ge¬
wissen verhätschelnden Treue bis ans Ende der Tage zu hegen gedachte.

Als ein so freundlich zu allem ein harmloses Gesicht machendes Gebände
war die namenlose Villa nicht in den Besitz Kaspar Benedikts gelangt. Viel¬
mehr hatte er sie fix und fertig, von oben bis unten möblirt, übernommen, noch
nie bewohnt und benutzt, ein Ideal von Vollkommenheit, die Erfüllung der
jemals in Bezug auf schöne und liebliche Einrichtung durch Frau Annas Seele
gezogene Träume, für Kaspar Benedikt eine Erlösung von dem erwerbsstaubigen
Dasein, in dem er vierzig Jahre seines Lebens zwischen knarrenden Maschinen
und sausenden Spindeln und dickleibigen Rechnungsbüchern verbracht hatte.

Eine Erlösung -- so hatte er gewöhnt. Und der Verkäufer, der erste
Architekt des Landes, dem auf einer Industrieausstellung für die jetzt in der
Villa befindlichen Möbel und Kunstschätze als Prämie für geschmackvolle Zimmer¬
einrichtungen die große goldne Medaille zuerkannt worden war, hatte bei der
Übergabe der Villa gesagt: ihm sei's, als gebe er ein Stück seines Herzens her;
aber das sei das Schicksal jedes Architekten; er wolle nicht murren; in bessere
Hände wenigstens habe sein kleines Schmuckkästchen wohl nicht gelangen können.

Das kleine Schmuckkästchen kam in dem Anrechnungsgeschäft auf nahe an
hunderttausend Thaler zu stehen, aber Kaspar Benedikt und seine Frau waren
damals der Meinung gewesen, im Grunde sei es unbezahlbar, und sie würden
nie müde werden, die reizend ausgestatteten Räume selbander zu durchwandeln.

Wie übrigens in Bezug auf seine verstorbenen Kinder das Ehepaar sich
gegenseitig ein schonendes Schweigen auferlegt hatte, so pflegten auch Trübungen
untergeordneter Art nicht ohne Not zur Sprache gebracht zu werden, und es


Auf der Leiter des Glücks.

Räumen der Villa Anna aus- und einschliipften. Das Hartigsche Häuschen
„Villa Anna" zu taufen war ein erstes Wagnis in jener Richtung auf das
Barbarische gewesen, denn Villa Anna, Villa Augusta, Villa Marie heißen eine
Menge geschmackloser Architektur-Machwerke, das in Rede stehende Häuschen
oder Haus war aber ursprünglich — wie die Engländer es ausdrücken würden —
die Villa gewesen, d. h. der Inbegriff alles Geschmackvollen, was eine Villa sein
soll, also gewissermaßen eine Mustervilla, etwas, in dessen Hervorbringung die
Vereinigung von Sinn für Raumschönheit, für Farbenreiz, für bildnerischen
Schmuck, für geistige Feinfühligkeit und für häusliches Behagen ihren höchsten
Trumpf ausgespielt hatte.

Selbstverständlich war sie demnach in den Besitz Kaspar Benedikts nicht
als ein Gebäude gelangt, in dem man diesen oder jenen alten Familienhausrat
mit unterbringt, an dessen Wänden mau eine von der Großmutter ererbte Kukuks¬
uhr oder das stark verzeichnete Kreidebild des Großvaters aufhängt, auf dessen
Fensterbrett man eine kränkelnde Mirthe stellt, die von der silbernen Hochzeit
herstammt, oder das Glas mit einer Leiter und einem Laubfrosch, das schon
vor Jahren einmal aus dem Fenster gefallene Glas, das man, gerade weil es,
bis auf einen Sprung, bei dem Fall sich so tapfer gehalten hat, mit einer ge¬
wissen verhätschelnden Treue bis ans Ende der Tage zu hegen gedachte.

Als ein so freundlich zu allem ein harmloses Gesicht machendes Gebände
war die namenlose Villa nicht in den Besitz Kaspar Benedikts gelangt. Viel¬
mehr hatte er sie fix und fertig, von oben bis unten möblirt, übernommen, noch
nie bewohnt und benutzt, ein Ideal von Vollkommenheit, die Erfüllung der
jemals in Bezug auf schöne und liebliche Einrichtung durch Frau Annas Seele
gezogene Träume, für Kaspar Benedikt eine Erlösung von dem erwerbsstaubigen
Dasein, in dem er vierzig Jahre seines Lebens zwischen knarrenden Maschinen
und sausenden Spindeln und dickleibigen Rechnungsbüchern verbracht hatte.

Eine Erlösung — so hatte er gewöhnt. Und der Verkäufer, der erste
Architekt des Landes, dem auf einer Industrieausstellung für die jetzt in der
Villa befindlichen Möbel und Kunstschätze als Prämie für geschmackvolle Zimmer¬
einrichtungen die große goldne Medaille zuerkannt worden war, hatte bei der
Übergabe der Villa gesagt: ihm sei's, als gebe er ein Stück seines Herzens her;
aber das sei das Schicksal jedes Architekten; er wolle nicht murren; in bessere
Hände wenigstens habe sein kleines Schmuckkästchen wohl nicht gelangen können.

Das kleine Schmuckkästchen kam in dem Anrechnungsgeschäft auf nahe an
hunderttausend Thaler zu stehen, aber Kaspar Benedikt und seine Frau waren
damals der Meinung gewesen, im Grunde sei es unbezahlbar, und sie würden
nie müde werden, die reizend ausgestatteten Räume selbander zu durchwandeln.

Wie übrigens in Bezug auf seine verstorbenen Kinder das Ehepaar sich
gegenseitig ein schonendes Schweigen auferlegt hatte, so pflegten auch Trübungen
untergeordneter Art nicht ohne Not zur Sprache gebracht zu werden, und es


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[0057] Auf der Leiter des Glücks. Räumen der Villa Anna aus- und einschliipften. Das Hartigsche Häuschen „Villa Anna" zu taufen war ein erstes Wagnis in jener Richtung auf das Barbarische gewesen, denn Villa Anna, Villa Augusta, Villa Marie heißen eine Menge geschmackloser Architektur-Machwerke, das in Rede stehende Häuschen oder Haus war aber ursprünglich — wie die Engländer es ausdrücken würden — die Villa gewesen, d. h. der Inbegriff alles Geschmackvollen, was eine Villa sein soll, also gewissermaßen eine Mustervilla, etwas, in dessen Hervorbringung die Vereinigung von Sinn für Raumschönheit, für Farbenreiz, für bildnerischen Schmuck, für geistige Feinfühligkeit und für häusliches Behagen ihren höchsten Trumpf ausgespielt hatte. Selbstverständlich war sie demnach in den Besitz Kaspar Benedikts nicht als ein Gebäude gelangt, in dem man diesen oder jenen alten Familienhausrat mit unterbringt, an dessen Wänden mau eine von der Großmutter ererbte Kukuks¬ uhr oder das stark verzeichnete Kreidebild des Großvaters aufhängt, auf dessen Fensterbrett man eine kränkelnde Mirthe stellt, die von der silbernen Hochzeit herstammt, oder das Glas mit einer Leiter und einem Laubfrosch, das schon vor Jahren einmal aus dem Fenster gefallene Glas, das man, gerade weil es, bis auf einen Sprung, bei dem Fall sich so tapfer gehalten hat, mit einer ge¬ wissen verhätschelnden Treue bis ans Ende der Tage zu hegen gedachte. Als ein so freundlich zu allem ein harmloses Gesicht machendes Gebände war die namenlose Villa nicht in den Besitz Kaspar Benedikts gelangt. Viel¬ mehr hatte er sie fix und fertig, von oben bis unten möblirt, übernommen, noch nie bewohnt und benutzt, ein Ideal von Vollkommenheit, die Erfüllung der jemals in Bezug auf schöne und liebliche Einrichtung durch Frau Annas Seele gezogene Träume, für Kaspar Benedikt eine Erlösung von dem erwerbsstaubigen Dasein, in dem er vierzig Jahre seines Lebens zwischen knarrenden Maschinen und sausenden Spindeln und dickleibigen Rechnungsbüchern verbracht hatte. Eine Erlösung — so hatte er gewöhnt. Und der Verkäufer, der erste Architekt des Landes, dem auf einer Industrieausstellung für die jetzt in der Villa befindlichen Möbel und Kunstschätze als Prämie für geschmackvolle Zimmer¬ einrichtungen die große goldne Medaille zuerkannt worden war, hatte bei der Übergabe der Villa gesagt: ihm sei's, als gebe er ein Stück seines Herzens her; aber das sei das Schicksal jedes Architekten; er wolle nicht murren; in bessere Hände wenigstens habe sein kleines Schmuckkästchen wohl nicht gelangen können. Das kleine Schmuckkästchen kam in dem Anrechnungsgeschäft auf nahe an hunderttausend Thaler zu stehen, aber Kaspar Benedikt und seine Frau waren damals der Meinung gewesen, im Grunde sei es unbezahlbar, und sie würden nie müde werden, die reizend ausgestatteten Räume selbander zu durchwandeln. Wie übrigens in Bezug auf seine verstorbenen Kinder das Ehepaar sich gegenseitig ein schonendes Schweigen auferlegt hatte, so pflegten auch Trübungen untergeordneter Art nicht ohne Not zur Sprache gebracht zu werden, und es

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341839_158199/57>, abgerufen am 30.06.2024.