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Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Erstes Quartal.

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Die volkswirtschaftliche Bedeutung der Fischerei.

17 Millionen Kilogramm Fische im Werte von 6 800 000 Mark geliefert und
den Austernkonsum der bedeutendsten Städte der Union schätzt UerollÄirt's NagÄ-
2lo,s g,na <üommsr<M Ksvisv im Jahre 18S9 auf 4000 Millionen Stück.

Das sind Zahlen, die mehr als Worte sprechen. Was kann Deutschland
den andern Nationen darin entgegensetzen? Vor kurzem noch ergab eine Ge-
wcrbezählung in Deutschland im ganzen, also einschließlich der Binnenfischer ---
19623 Fischer! 19623 Fischer bei einem Volke von 46 Millionen, einem
Volke, das in tausend Meilen seine Küste vom Meere bespült sieht lind das sich
mit Vorliebe von seiner "germanischen" Tüchtigkeit zur See vvrerzählt! In
den letzten dreißig Jahren betrug die Einfuhr in die Zollvercinslande etwa
2S0 Millionen Mark! Zur Zeit der Blüte der Hanse war der Walfischfaiig
Hamburgs allein bedeutender als der Englands und Schottlands zusammen¬
genommen! Das ist längst vorbei; aber können sich denn die Verhältnisse nicht
wieder besser gestalten? Vor fünfzig Jahren sorgten für Londons Bedarf an
Fischfleisch etwa fünfzig Boote von Grnndnetzsischern, jetzt hat sich ihre Zahl
um das zwanzigfache vermehrt. Hull zieht allein aus seiner Grundnetzfischerci
eine Million Thaler Reingewinn, und zwar zumeist aus der Doggerbank, die
uns viel näher liegt als den Engländern. Wir beschränken uns auf die ver¬
hältnismäßig fischarme Ostsee! Warum thun wir es, warum lassen wir alle
beliebigen Völker die Schätze des "deutschen Meeres," wie die Engländer, nicht
wir, die Nordsee benennen, uns vor der Nase wegfangen? Sollen wir denn
immer Hans im Traume spielen, behaglich in dem Gedanken, daß wir im ir¬
dischen Besitz um einmal zu kurz gekommen seien? Wir wiederholen tausend-
fach das Dogma von der natürlichen Armut des deutschen Landes gegenüber
den gesegneten Fluren des reichen Frankreichs, wir finden es selbstverständlich
und ganz naturgemäß, daß England Geld hat und wir nicht. Freilich, wenn
wir die natürlichen Hilfsmittel, die uns zu Gebote stehen, in so unverantwort¬
licher Weise außer Acht lassen, dann mit Recht. So wird es uns schließlich
mit der Hochseefischerei wohl gehen wie mit den Kolonien. Wir sollten doch
bedenken, daß andre Völker auch einmal angefangen haben, und sollten deshalb
nur einmal beginnen zu handeln! Statt dessen lassen wir uns wohlgefällig das
Volk der Dichter und Denker nennen und meinen damit genug gethan zu haben.
Ganz abgesehen davon, daß andre Leute auch gedacht haben, in letzter Instanz
nähren sich doch auch Dichter und Denker von Fleisch und Rüben, und wenn
das einmal ausgeht, so hats mit dem Denken und Dichten ein Ende. Mit
andern Worten, dem Geisteswohlstande muß ein materieller Wohlstand zur Seite
gehen, wenn die vorhandenen Blüten ausreifen sollen. Uns steckt viel zu sehr
die Hamletnatur im Leibe.

Das eine Gute ist im vorliegenden Falle: daß wir bisher nur zurückge¬
blieben sind. Noch ist das Meer internationales Eigentum, und noch können
wir nachholen, was wir versäumt haben. Schon haben wir eine Wissenschaft-


Die volkswirtschaftliche Bedeutung der Fischerei.

17 Millionen Kilogramm Fische im Werte von 6 800 000 Mark geliefert und
den Austernkonsum der bedeutendsten Städte der Union schätzt UerollÄirt's NagÄ-
2lo,s g,na <üommsr<M Ksvisv im Jahre 18S9 auf 4000 Millionen Stück.

Das sind Zahlen, die mehr als Worte sprechen. Was kann Deutschland
den andern Nationen darin entgegensetzen? Vor kurzem noch ergab eine Ge-
wcrbezählung in Deutschland im ganzen, also einschließlich der Binnenfischer —-
19623 Fischer! 19623 Fischer bei einem Volke von 46 Millionen, einem
Volke, das in tausend Meilen seine Küste vom Meere bespült sieht lind das sich
mit Vorliebe von seiner „germanischen" Tüchtigkeit zur See vvrerzählt! In
den letzten dreißig Jahren betrug die Einfuhr in die Zollvercinslande etwa
2S0 Millionen Mark! Zur Zeit der Blüte der Hanse war der Walfischfaiig
Hamburgs allein bedeutender als der Englands und Schottlands zusammen¬
genommen! Das ist längst vorbei; aber können sich denn die Verhältnisse nicht
wieder besser gestalten? Vor fünfzig Jahren sorgten für Londons Bedarf an
Fischfleisch etwa fünfzig Boote von Grnndnetzsischern, jetzt hat sich ihre Zahl
um das zwanzigfache vermehrt. Hull zieht allein aus seiner Grundnetzfischerci
eine Million Thaler Reingewinn, und zwar zumeist aus der Doggerbank, die
uns viel näher liegt als den Engländern. Wir beschränken uns auf die ver¬
hältnismäßig fischarme Ostsee! Warum thun wir es, warum lassen wir alle
beliebigen Völker die Schätze des „deutschen Meeres," wie die Engländer, nicht
wir, die Nordsee benennen, uns vor der Nase wegfangen? Sollen wir denn
immer Hans im Traume spielen, behaglich in dem Gedanken, daß wir im ir¬
dischen Besitz um einmal zu kurz gekommen seien? Wir wiederholen tausend-
fach das Dogma von der natürlichen Armut des deutschen Landes gegenüber
den gesegneten Fluren des reichen Frankreichs, wir finden es selbstverständlich
und ganz naturgemäß, daß England Geld hat und wir nicht. Freilich, wenn
wir die natürlichen Hilfsmittel, die uns zu Gebote stehen, in so unverantwort¬
licher Weise außer Acht lassen, dann mit Recht. So wird es uns schließlich
mit der Hochseefischerei wohl gehen wie mit den Kolonien. Wir sollten doch
bedenken, daß andre Völker auch einmal angefangen haben, und sollten deshalb
nur einmal beginnen zu handeln! Statt dessen lassen wir uns wohlgefällig das
Volk der Dichter und Denker nennen und meinen damit genug gethan zu haben.
Ganz abgesehen davon, daß andre Leute auch gedacht haben, in letzter Instanz
nähren sich doch auch Dichter und Denker von Fleisch und Rüben, und wenn
das einmal ausgeht, so hats mit dem Denken und Dichten ein Ende. Mit
andern Worten, dem Geisteswohlstande muß ein materieller Wohlstand zur Seite
gehen, wenn die vorhandenen Blüten ausreifen sollen. Uns steckt viel zu sehr
die Hamletnatur im Leibe.

Das eine Gute ist im vorliegenden Falle: daß wir bisher nur zurückge¬
blieben sind. Noch ist das Meer internationales Eigentum, und noch können
wir nachholen, was wir versäumt haben. Schon haben wir eine Wissenschaft-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341839_158199/554>, abgerufen am 25.08.2024.