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Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Erstes Quartal.

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Auf der Leiter des Glücks.

Und sie fühlte deutlich, daß es nachwirke, obgleich er nicht davon rede;
wie und was er sei, geworden sei ers doch, weil er mit ihr durch jene Schule
der Freude und der Heimsuchung gegangen sei.

Kleine Engel, Mondsichel, Kaspar Venedikt, Frau Anna, das klingt ziemlich
idyllisch, altväterlich und scheint in Verhältnisse zu versetzen, wie sie etwa mit
dem Gedicht "Luise" zusammenklingen, in welchem Johann Heinrich Voß unsern
Großeltern von dem Glücke und der Unschuld bescheidener Ländlichkeit erzählt
hat. Dergleichen trifft hier aber keineswegs zu.

Abgesehen von ihren nicht gerade neumodischen Namen, waren der Fabrikant
Hartig und seine Frau ganz modern geartete Menschen, wie denn ja auch das
wehmütige Festhalten einer lieben Erinnerung dem Herzen nicht nur in diesem
oder jenem Jahrhundert ein Bedürfnis gewesen ist. Was nun dem Ehepaar
zu grübeln gab, war sein neues Besitztum: eine müßig große, vor wenig Jahren
erbaute, mit blauem Schiefer gedeckte zweistöckige Villa, d. h. sie hatte ein hohes,
aus fünf bis sechs Räumen bestehendes Parterre und darüber eine gleich große
erste Etage, war an passenden Stellen mit Balkons und Veranden und einem
Glasanbau, einem Wintcrgartcnzimmer, versehen. Entsprechend wohnliche und
sorglich durchgeführte Einrichtungen enthielt das Souterrain. Es fehlten auch
nicht, in gebührendem Abstände von dem herrschaftlichen Hause, Gcirtuer-
wie Kutscherwohnung, Stallung für eine oder zwei Milchkühe und für vier
Pferde, wie Remise für zwei bis drei Wagen, und daneben Treibhäuser mit
Heiz- und Wasscrdampfvorrichtungen nach dem neuesten System.

Alles dies war, was ein Mann in deu angenehmen Verhältnissen des
Fabrikanten Hartig sich füglich vergönnen konnte. Wenn er bis vor kurzem
sich in seiner Fabrik ohne allen Luxus beholfen hatte, so brauchte er deshalb
noch nicht auf derartige Verschönerungen des Daseins für immer zu verzichten.
Er sowie Frau Anna waren mit allen diesen Dingen ganz einverstanden, gerade
so sehr wie mit der geschmackvoll aus bunten Ziegelstein und geschmiedeten Eisen--
gittcr hergestellten Einfriedigung des Vordcrgartens, mit den mosaikartigen Back-
steintrottoirs, mit den Blumen- und Gcmüsepartien des großen Hintergartens,
mit dem Teiche und seinen Goldfischen, ja selbst mit dem anderthalb Morgen
großen jungen Eichwäldckeu, in welchem Fasanen gehegt werden sollten; etwas
sehr nach dem Muster der kleinen Privatwäldchen in der Umgebung von Paris,
meinte Fran Anna, die mit ihrem Gatten manche Reise gemacht hatte, im übrigen
jedoch nicht zu verachten, da ein Fasanenbraten ja von Zeit zu Zeit jetzt auch
wohl für etwas Erlaubtes gelten dürfte.

Soweit also hatte das Ehepaar keine Ursache, den gemachten Ankauf zu
bereuen. Bei gutem Wetter saß man auf dem Balkon oder auf einer der
Veranden und freute sich an dem Verkehr auf der passend entlegenen Chaussee.
Bei schlechtem Wetter hatte man das Glashaus, der Gärtner nannte es das
Palmenhaus, obschon es nur bescheidnere Blattpflanzen enthielt, Feigenbäume,


Auf der Leiter des Glücks.

Und sie fühlte deutlich, daß es nachwirke, obgleich er nicht davon rede;
wie und was er sei, geworden sei ers doch, weil er mit ihr durch jene Schule
der Freude und der Heimsuchung gegangen sei.

Kleine Engel, Mondsichel, Kaspar Venedikt, Frau Anna, das klingt ziemlich
idyllisch, altväterlich und scheint in Verhältnisse zu versetzen, wie sie etwa mit
dem Gedicht „Luise" zusammenklingen, in welchem Johann Heinrich Voß unsern
Großeltern von dem Glücke und der Unschuld bescheidener Ländlichkeit erzählt
hat. Dergleichen trifft hier aber keineswegs zu.

Abgesehen von ihren nicht gerade neumodischen Namen, waren der Fabrikant
Hartig und seine Frau ganz modern geartete Menschen, wie denn ja auch das
wehmütige Festhalten einer lieben Erinnerung dem Herzen nicht nur in diesem
oder jenem Jahrhundert ein Bedürfnis gewesen ist. Was nun dem Ehepaar
zu grübeln gab, war sein neues Besitztum: eine müßig große, vor wenig Jahren
erbaute, mit blauem Schiefer gedeckte zweistöckige Villa, d. h. sie hatte ein hohes,
aus fünf bis sechs Räumen bestehendes Parterre und darüber eine gleich große
erste Etage, war an passenden Stellen mit Balkons und Veranden und einem
Glasanbau, einem Wintcrgartcnzimmer, versehen. Entsprechend wohnliche und
sorglich durchgeführte Einrichtungen enthielt das Souterrain. Es fehlten auch
nicht, in gebührendem Abstände von dem herrschaftlichen Hause, Gcirtuer-
wie Kutscherwohnung, Stallung für eine oder zwei Milchkühe und für vier
Pferde, wie Remise für zwei bis drei Wagen, und daneben Treibhäuser mit
Heiz- und Wasscrdampfvorrichtungen nach dem neuesten System.

Alles dies war, was ein Mann in deu angenehmen Verhältnissen des
Fabrikanten Hartig sich füglich vergönnen konnte. Wenn er bis vor kurzem
sich in seiner Fabrik ohne allen Luxus beholfen hatte, so brauchte er deshalb
noch nicht auf derartige Verschönerungen des Daseins für immer zu verzichten.
Er sowie Frau Anna waren mit allen diesen Dingen ganz einverstanden, gerade
so sehr wie mit der geschmackvoll aus bunten Ziegelstein und geschmiedeten Eisen--
gittcr hergestellten Einfriedigung des Vordcrgartens, mit den mosaikartigen Back-
steintrottoirs, mit den Blumen- und Gcmüsepartien des großen Hintergartens,
mit dem Teiche und seinen Goldfischen, ja selbst mit dem anderthalb Morgen
großen jungen Eichwäldckeu, in welchem Fasanen gehegt werden sollten; etwas
sehr nach dem Muster der kleinen Privatwäldchen in der Umgebung von Paris,
meinte Fran Anna, die mit ihrem Gatten manche Reise gemacht hatte, im übrigen
jedoch nicht zu verachten, da ein Fasanenbraten ja von Zeit zu Zeit jetzt auch
wohl für etwas Erlaubtes gelten dürfte.

Soweit also hatte das Ehepaar keine Ursache, den gemachten Ankauf zu
bereuen. Bei gutem Wetter saß man auf dem Balkon oder auf einer der
Veranden und freute sich an dem Verkehr auf der passend entlegenen Chaussee.
Bei schlechtem Wetter hatte man das Glashaus, der Gärtner nannte es das
Palmenhaus, obschon es nur bescheidnere Blattpflanzen enthielt, Feigenbäume,


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341839_158199/55>, abgerufen am 30.06.2024.