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Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Erstes Quartal.

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Blättern die Rede sein wird, sich die Frage iwch nicht beantworten tonnen, ob
der Platz, auf dem es nach redlicher Arbeit und Thätigkeit angelangt war, so
oder so um schicklichsten einzurichten sei und ob es überhaupt gelingen werde,
sich auf ihm einzurichten.

Das ereignet sich weit öfter im Leben, als die Nichtbeteiligten ahnen, und
diese Frage hat schon manchem Hausherrn und mancher Ehegenossin graue
Haare gemacht, während alle Welt der Meinung war, es wachse das Blümchen
Befriedigung aus jeder Dielenritze des Hauses,

Mit sechzig Jahren kann ein Fabrikant sich ohne Gewissensskrupel zur
Ruhe setzen. Nach dem Ausspruch eines berühmten Statistikers sollte der
Staat sogar jeden Beamten mit dem sechzigsten Jahre Pensioniren und solcher¬
art für den Nachwuchs Platz schaffen. Mit dem sechzigsten Jahre, hatte der
einzige Chef der Firma Gebrüder Hartig, Kaspar Benedikt Hartig, seine Spinnerei
denn auch gegen einige hunderttausend Thaler -- er liebte nicht die Mnrk-
rechnung -- und el" hübsches kleines Besitztum an der Chaussee vertauscht,
und nun galt es, unter den veränderten Verhältnissen guter Dinge zu sein.

Die Ehe war nicht kinderlos gewesen, obschon das Ehepaar jetzt in sei"
neues Heim ohne Kinder und ohne Enkel eingezogen war. Zwei Kinder hatten
ein paar Jahre lang dem Bunde Sorge und Freude bereitet. Dann war eins
nach dem andern abgerufen worden, und Ersatz hatte sich, trotz allem Hoffen
und Harren, nicht eingefunden.

Umsonst war das kurze Dasei" der beiden kleinen Wesen aber nicht ge¬
wesen. Wenn die erste Mondsichel am Himmel sichtbar wurde, erinnerte sich
Frau Anna Hartig allemal eines kleinen blauäugigen Bübchens, das sie auf
dem Arme getragen und dem sie das Wort Mond so oft und so geduldig vor¬
gesprochen hatte, bis es ihm gelungen war, das Wort, wenn auch ohne das
Schluß-d, nachzusprechen. Und Kaspar Benedikt konnte keine roten Hände sehen,
ohne eines kleinen schwarzäugigen Mädchens zu gedenke", dem er einst weh
statt wohl gethan hatte, ja das er bitter hatte weinen machen, als er, um die
frostkalten Händchen seines kleinen Lieblings zu erwärmen, sie mit etwas derbem
Zufassen gerieben hatte.

Das waren so einzelne, aus einer holdseligen Zeit noch nachklingende Töne,
nicht gerade fröhliche, eher fröhlich und schmerzlich gemischte, denen sich in ein¬
samen Stunden andre zugesellten, sodaß zuweilen in den beiden alternden Leuten
allerlei Gesinge und Gesumme war, das sie gegen einander aber sorglich ver¬
schwiegen, denn wozu Wolken aufstören, sagte Kaspar Benedikt vor sich hin,
und Frau Anna philosophirte in ihrer Weise, ohne sichs merken zu lassen.
Wie mein guter Kaspar über jene schöne verschwundene Zeit denkt, darüber redet
er nicht, vielleicht hat er die zwei kleinen Engel glücklich vergessen, und dann
gönne ichs ihm auch. Aber es war doch ein großes Geschenk des Himmels!
Ich kanns nicht anders auffassen: ein großes, nachhaltiges Geschenk!


Blättern die Rede sein wird, sich die Frage iwch nicht beantworten tonnen, ob
der Platz, auf dem es nach redlicher Arbeit und Thätigkeit angelangt war, so
oder so um schicklichsten einzurichten sei und ob es überhaupt gelingen werde,
sich auf ihm einzurichten.

Das ereignet sich weit öfter im Leben, als die Nichtbeteiligten ahnen, und
diese Frage hat schon manchem Hausherrn und mancher Ehegenossin graue
Haare gemacht, während alle Welt der Meinung war, es wachse das Blümchen
Befriedigung aus jeder Dielenritze des Hauses,

Mit sechzig Jahren kann ein Fabrikant sich ohne Gewissensskrupel zur
Ruhe setzen. Nach dem Ausspruch eines berühmten Statistikers sollte der
Staat sogar jeden Beamten mit dem sechzigsten Jahre Pensioniren und solcher¬
art für den Nachwuchs Platz schaffen. Mit dem sechzigsten Jahre, hatte der
einzige Chef der Firma Gebrüder Hartig, Kaspar Benedikt Hartig, seine Spinnerei
denn auch gegen einige hunderttausend Thaler — er liebte nicht die Mnrk-
rechnung — und el» hübsches kleines Besitztum an der Chaussee vertauscht,
und nun galt es, unter den veränderten Verhältnissen guter Dinge zu sein.

Die Ehe war nicht kinderlos gewesen, obschon das Ehepaar jetzt in sei»
neues Heim ohne Kinder und ohne Enkel eingezogen war. Zwei Kinder hatten
ein paar Jahre lang dem Bunde Sorge und Freude bereitet. Dann war eins
nach dem andern abgerufen worden, und Ersatz hatte sich, trotz allem Hoffen
und Harren, nicht eingefunden.

Umsonst war das kurze Dasei» der beiden kleinen Wesen aber nicht ge¬
wesen. Wenn die erste Mondsichel am Himmel sichtbar wurde, erinnerte sich
Frau Anna Hartig allemal eines kleinen blauäugigen Bübchens, das sie auf
dem Arme getragen und dem sie das Wort Mond so oft und so geduldig vor¬
gesprochen hatte, bis es ihm gelungen war, das Wort, wenn auch ohne das
Schluß-d, nachzusprechen. Und Kaspar Benedikt konnte keine roten Hände sehen,
ohne eines kleinen schwarzäugigen Mädchens zu gedenke», dem er einst weh
statt wohl gethan hatte, ja das er bitter hatte weinen machen, als er, um die
frostkalten Händchen seines kleinen Lieblings zu erwärmen, sie mit etwas derbem
Zufassen gerieben hatte.

Das waren so einzelne, aus einer holdseligen Zeit noch nachklingende Töne,
nicht gerade fröhliche, eher fröhlich und schmerzlich gemischte, denen sich in ein¬
samen Stunden andre zugesellten, sodaß zuweilen in den beiden alternden Leuten
allerlei Gesinge und Gesumme war, das sie gegen einander aber sorglich ver¬
schwiegen, denn wozu Wolken aufstören, sagte Kaspar Benedikt vor sich hin,
und Frau Anna philosophirte in ihrer Weise, ohne sichs merken zu lassen.
Wie mein guter Kaspar über jene schöne verschwundene Zeit denkt, darüber redet
er nicht, vielleicht hat er die zwei kleinen Engel glücklich vergessen, und dann
gönne ichs ihm auch. Aber es war doch ein großes Geschenk des Himmels!
Ich kanns nicht anders auffassen: ein großes, nachhaltiges Geschenk!


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341839_158199/54>, abgerufen am 02.07.2024.