Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Erstes Quartal.

Bild:
<< vorherige Seite
Auf der Leiter des Glücks.

Rechne selbst.

Wie die Zeit dahingeht! seufzte sie.

Es hat nicht sein sollen! sagte er.

Diese Schar von Enkeln und Urenkeln! -- die Augen Frau Annas strahlten,
aber sie füllten sich mit Thränen -- denn das sage ich dir, es wären gewiß sehr
viele geworden.

Gewiß.

Und nicht wahr, wenn sie anch hie und da in der Villa etwas vom rechten
Flecke gebracht hätten --

Was wäre dabei gewesen!

Drüben zum Beispiel; ich sehe die Stelle nie an, ohne zu deuteln warum
treibe" dort die nichtsnutzigen Schoteudicbe, die Spatzen, ihr Wesen und nicht
ein halbes Dutzend krausköpfiger, rotbäckiger Knaben und Mädchen? Sieh,
wie das ausgelassene Gesindel sich jetzt eben in den gelben Wegsaud einwühlt.
Kinder spielen so gern init Sand! Wie viele Backofen würden dort gebaut
werden!

Kaspar Benedikt seufzte: Ja, ja! gab aber weiter keinen Beitrag zu dem
Thema.

Frau Anna hütete sich, ihren Gefühlen noch mehr freien Lauf zu gönnen.

Sie wußte, daß ihr Mann der Aufheiterung bedurfte und nicht der Er¬
innerung an versagte Sonnenblicke des Geschicks.

Aber tags darauf kam er selbst ans die seit langem nur von fern berührte
Frage zurück, ob denn Berthold den Gedanken, sich ein Weib zu wähle", völlig
aufgegeben habe? Es war die Gewohnheit, einander jede denkbare Verstim¬
mung zu ersparen, aus dem gegenseitigen Verkehr der beiden Alten nach und
nach auch auf ihr Verhalten zu dem Sohne übergegangen, und selbst Fran
Anna hatte es über sich gewonnen, jeden Versuch, ihren lieben Berthold zu
beeinflussen, sich streng zu versagen.

Es ist mir unser gestriges Gespräch die ganze Nacht nicht aus dem Kopfe
gekommen, sagte der Fabrikant. Wenn mit dem Heiratsprojekt dazumal nur
nicht ein so abscheulicher Hornissenschwarm aufgescheucht worden wäre! Ich meine,
die Stiche jucken mich noch heute. Was mag erst unser Berthold damals aus¬
gestanden haben! Kein Wunder, daß ihm die Sache für alle Zeit verleidet
worden ist.

Frau Anna hatte lange auf eine Gelegenheit gewartet, um wenigstens die
Frage auszuwerfen, ob diesmal nicht Kaspar Benedikt selbst nach einer passenden
Partie für den Sohn ausblicken wolle.

Ich habe mit Hermione kein Glück gehabt, sagte sie, aber wie wäre es, wenn
du einmal auf die Suche gingest? Er ist jetzt lange genug den Leuten nur von
der solidesten Seite vor Augen gewesen. Selbst in den besten Häusern wird
man nicht mehr auf Grund jener alten vergessenen Geschichte ihm ein unfreuud-


Auf der Leiter des Glücks.

Rechne selbst.

Wie die Zeit dahingeht! seufzte sie.

Es hat nicht sein sollen! sagte er.

Diese Schar von Enkeln und Urenkeln! — die Augen Frau Annas strahlten,
aber sie füllten sich mit Thränen — denn das sage ich dir, es wären gewiß sehr
viele geworden.

Gewiß.

Und nicht wahr, wenn sie anch hie und da in der Villa etwas vom rechten
Flecke gebracht hätten —

Was wäre dabei gewesen!

Drüben zum Beispiel; ich sehe die Stelle nie an, ohne zu deuteln warum
treibe» dort die nichtsnutzigen Schoteudicbe, die Spatzen, ihr Wesen und nicht
ein halbes Dutzend krausköpfiger, rotbäckiger Knaben und Mädchen? Sieh,
wie das ausgelassene Gesindel sich jetzt eben in den gelben Wegsaud einwühlt.
Kinder spielen so gern init Sand! Wie viele Backofen würden dort gebaut
werden!

Kaspar Benedikt seufzte: Ja, ja! gab aber weiter keinen Beitrag zu dem
Thema.

Frau Anna hütete sich, ihren Gefühlen noch mehr freien Lauf zu gönnen.

Sie wußte, daß ihr Mann der Aufheiterung bedurfte und nicht der Er¬
innerung an versagte Sonnenblicke des Geschicks.

Aber tags darauf kam er selbst ans die seit langem nur von fern berührte
Frage zurück, ob denn Berthold den Gedanken, sich ein Weib zu wähle», völlig
aufgegeben habe? Es war die Gewohnheit, einander jede denkbare Verstim¬
mung zu ersparen, aus dem gegenseitigen Verkehr der beiden Alten nach und
nach auch auf ihr Verhalten zu dem Sohne übergegangen, und selbst Fran
Anna hatte es über sich gewonnen, jeden Versuch, ihren lieben Berthold zu
beeinflussen, sich streng zu versagen.

Es ist mir unser gestriges Gespräch die ganze Nacht nicht aus dem Kopfe
gekommen, sagte der Fabrikant. Wenn mit dem Heiratsprojekt dazumal nur
nicht ein so abscheulicher Hornissenschwarm aufgescheucht worden wäre! Ich meine,
die Stiche jucken mich noch heute. Was mag erst unser Berthold damals aus¬
gestanden haben! Kein Wunder, daß ihm die Sache für alle Zeit verleidet
worden ist.

Frau Anna hatte lange auf eine Gelegenheit gewartet, um wenigstens die
Frage auszuwerfen, ob diesmal nicht Kaspar Benedikt selbst nach einer passenden
Partie für den Sohn ausblicken wolle.

Ich habe mit Hermione kein Glück gehabt, sagte sie, aber wie wäre es, wenn
du einmal auf die Suche gingest? Er ist jetzt lange genug den Leuten nur von
der solidesten Seite vor Augen gewesen. Selbst in den besten Häusern wird
man nicht mehr auf Grund jener alten vergessenen Geschichte ihm ein unfreuud-


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0528" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/155411"/>
          <fw type="header" place="top"> Auf der Leiter des Glücks.</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_2125"> Rechne selbst.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_2126"> Wie die Zeit dahingeht! seufzte sie.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_2127"> Es hat nicht sein sollen! sagte er.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_2128"> Diese Schar von Enkeln und Urenkeln! &#x2014; die Augen Frau Annas strahlten,<lb/>
aber sie füllten sich mit Thränen &#x2014; denn das sage ich dir, es wären gewiß sehr<lb/>
viele geworden.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_2129"> Gewiß.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_2130"> Und nicht wahr, wenn sie anch hie und da in der Villa etwas vom rechten<lb/>
Flecke gebracht hätten &#x2014;</p><lb/>
          <p xml:id="ID_2131"> Was wäre dabei gewesen!</p><lb/>
          <p xml:id="ID_2132"> Drüben zum Beispiel; ich sehe die Stelle nie an, ohne zu deuteln warum<lb/>
treibe» dort die nichtsnutzigen Schoteudicbe, die Spatzen, ihr Wesen und nicht<lb/>
ein halbes Dutzend krausköpfiger, rotbäckiger Knaben und Mädchen? Sieh,<lb/>
wie das ausgelassene Gesindel sich jetzt eben in den gelben Wegsaud einwühlt.<lb/>
Kinder spielen so gern init Sand! Wie viele Backofen würden dort gebaut<lb/>
werden!</p><lb/>
          <p xml:id="ID_2133"> Kaspar Benedikt seufzte: Ja, ja! gab aber weiter keinen Beitrag zu dem<lb/>
Thema.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_2134"> Frau Anna hütete sich, ihren Gefühlen noch mehr freien Lauf zu gönnen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_2135"> Sie wußte, daß ihr Mann der Aufheiterung bedurfte und nicht der Er¬<lb/>
innerung an versagte Sonnenblicke des Geschicks.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_2136"> Aber tags darauf kam er selbst ans die seit langem nur von fern berührte<lb/>
Frage zurück, ob denn Berthold den Gedanken, sich ein Weib zu wähle», völlig<lb/>
aufgegeben habe? Es war die Gewohnheit, einander jede denkbare Verstim¬<lb/>
mung zu ersparen, aus dem gegenseitigen Verkehr der beiden Alten nach und<lb/>
nach auch auf ihr Verhalten zu dem Sohne übergegangen, und selbst Fran<lb/>
Anna hatte es über sich gewonnen, jeden Versuch, ihren lieben Berthold zu<lb/>
beeinflussen, sich streng zu versagen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_2137"> Es ist mir unser gestriges Gespräch die ganze Nacht nicht aus dem Kopfe<lb/>
gekommen, sagte der Fabrikant. Wenn mit dem Heiratsprojekt dazumal nur<lb/>
nicht ein so abscheulicher Hornissenschwarm aufgescheucht worden wäre! Ich meine,<lb/>
die Stiche jucken mich noch heute. Was mag erst unser Berthold damals aus¬<lb/>
gestanden haben! Kein Wunder, daß ihm die Sache für alle Zeit verleidet<lb/>
worden ist.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_2138"> Frau Anna hatte lange auf eine Gelegenheit gewartet, um wenigstens die<lb/>
Frage auszuwerfen, ob diesmal nicht Kaspar Benedikt selbst nach einer passenden<lb/>
Partie für den Sohn ausblicken wolle.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_2139" next="#ID_2140"> Ich habe mit Hermione kein Glück gehabt, sagte sie, aber wie wäre es, wenn<lb/>
du einmal auf die Suche gingest? Er ist jetzt lange genug den Leuten nur von<lb/>
der solidesten Seite vor Augen gewesen. Selbst in den besten Häusern wird<lb/>
man nicht mehr auf Grund jener alten vergessenen Geschichte ihm ein unfreuud-</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0528] Auf der Leiter des Glücks. Rechne selbst. Wie die Zeit dahingeht! seufzte sie. Es hat nicht sein sollen! sagte er. Diese Schar von Enkeln und Urenkeln! — die Augen Frau Annas strahlten, aber sie füllten sich mit Thränen — denn das sage ich dir, es wären gewiß sehr viele geworden. Gewiß. Und nicht wahr, wenn sie anch hie und da in der Villa etwas vom rechten Flecke gebracht hätten — Was wäre dabei gewesen! Drüben zum Beispiel; ich sehe die Stelle nie an, ohne zu deuteln warum treibe» dort die nichtsnutzigen Schoteudicbe, die Spatzen, ihr Wesen und nicht ein halbes Dutzend krausköpfiger, rotbäckiger Knaben und Mädchen? Sieh, wie das ausgelassene Gesindel sich jetzt eben in den gelben Wegsaud einwühlt. Kinder spielen so gern init Sand! Wie viele Backofen würden dort gebaut werden! Kaspar Benedikt seufzte: Ja, ja! gab aber weiter keinen Beitrag zu dem Thema. Frau Anna hütete sich, ihren Gefühlen noch mehr freien Lauf zu gönnen. Sie wußte, daß ihr Mann der Aufheiterung bedurfte und nicht der Er¬ innerung an versagte Sonnenblicke des Geschicks. Aber tags darauf kam er selbst ans die seit langem nur von fern berührte Frage zurück, ob denn Berthold den Gedanken, sich ein Weib zu wähle», völlig aufgegeben habe? Es war die Gewohnheit, einander jede denkbare Verstim¬ mung zu ersparen, aus dem gegenseitigen Verkehr der beiden Alten nach und nach auch auf ihr Verhalten zu dem Sohne übergegangen, und selbst Fran Anna hatte es über sich gewonnen, jeden Versuch, ihren lieben Berthold zu beeinflussen, sich streng zu versagen. Es ist mir unser gestriges Gespräch die ganze Nacht nicht aus dem Kopfe gekommen, sagte der Fabrikant. Wenn mit dem Heiratsprojekt dazumal nur nicht ein so abscheulicher Hornissenschwarm aufgescheucht worden wäre! Ich meine, die Stiche jucken mich noch heute. Was mag erst unser Berthold damals aus¬ gestanden haben! Kein Wunder, daß ihm die Sache für alle Zeit verleidet worden ist. Frau Anna hatte lange auf eine Gelegenheit gewartet, um wenigstens die Frage auszuwerfen, ob diesmal nicht Kaspar Benedikt selbst nach einer passenden Partie für den Sohn ausblicken wolle. Ich habe mit Hermione kein Glück gehabt, sagte sie, aber wie wäre es, wenn du einmal auf die Suche gingest? Er ist jetzt lange genug den Leuten nur von der solidesten Seite vor Augen gewesen. Selbst in den besten Häusern wird man nicht mehr auf Grund jener alten vergessenen Geschichte ihm ein unfreuud-

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341839_158199
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341839_158199/528
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341839_158199/528>, abgerufen am 30.06.2024.