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Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Erstes Quartal.

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Unser Reichskanzler.

zu machen, über die Macht des Politikers hinausgeht. Einen Staat mächtig
machen kann der Politiker wohl, aber dabei leitet ihn doch immer die heimliche
Hoffnung, den Menschen eine Wohlthat zu erweisen. Er würde nie zur Macht-
Vergrößerung seines Volkes auch mir den Finger rühren, wenn er nicht voraus¬
setzte, daß dieselbe veredelnd und beglückend wirken müsse. Sieht er aber ein,
daß das Glück der Menschen auf einem andern Gebiete liegt, als auf dem der
Politik, nämlich auf dem von ihm vernachlässigten und ihm deshalb unbekannten
Gebiete der körperlichen und seelischen Gesundheit, sieht er ein, daß die Politik
nur indirekt auf dieses Gebiet einwirken kann, so findet er, daß sein mühe¬
volles politisches Streben überhaupt nutzlos gewesen sei, und wird des ganzen
Treibens überdrüssig. Ich bin der Überzeugung, daß die Gedanken des Kanz¬
lers diesen Weg gegangen sind, und als äußerer Beweis hierfür gilt mir seine
Sozialpolitik. Hier ist schon nicht mehr von der Größe, sondern direkt von
dem Glücke des Volkes die Rede, und es werden Maßregeln getroffen, welche
sich in ihrer Wirkung nicht auf Deutschland beschränken, sondern auf die Ent¬
wicklung der ganzen zivilisirten Welt von erheblichem Einfluß sein werden. Der
Kanzler nähert sich der Wahrheit auf einem Umwege, aber er nähert sich ihr,
wie auch schon ans der Abnahme seiner Popularität deutlich zu erkennen ist.
Viel Feind', viel Ehr'! Was aber seine jetzigen Zweifel an der Bedeutung
seiner Mission betrifft, so möge er bedenken, daß die Gottheit, welche nicht
willkürlich und launisch handelt, eine so wundervolle Vereinigung seltener und
großer Eigenschaften, wie sie zu einem Helden nötig sind, nicht ohne Zweck und
Ziel geordnet hat und sicherlich nicht ohne segensreiche Wirkung lassen wird.
Das Bewußtsein, immer selbstlos für eine große Sache, hohen Zielen hingegeben,
seine beste Kraft eingesetzt zu haben, wird ihm ein Trost sein bei dem Anblick
der menschlichen Erbärmlichkeit, die er nicht zu seiner eignen Hoheit ini Handeln
oder auch nur zu gerechter Beurteilung einer sie überragenden Persönlichkeit
hat erheben können.

Wir aber werden uns, wenn wir Einsicht besitzen, daran erfreuen, daß
unsre Nation im Reichskanzler einen jener seltnen Männer hervorgebracht hat,
deren Gestalt für Jahrhunderte und Jahrtausende bewundernswert für die Völker
dastehen wird, und werden uns damit beschäftigen, die Spuren seines macht¬
vollen Wirkens in unsrer nationalen Entwicklung zu verfolgen und seinen epoche¬
machenden Fußschritten nachzugehen. Er hat einen neuen Geist in das staat¬
liche Leben gebracht, und diesen Geist recht zu erkennen und nicht nur in seiner
zwingenden Gewalt über uns ergehen zu lassen, muß jedem Deutschen eine
Freude sein. Dazu hat Moritz Busch mit seinem reichen, echten, wahrhaftigen
Buche erheblich beigetragen, und wir wollen ihm seine Mühe danken.


August Uiemann.


Grenzboten I. 1884.61
Unser Reichskanzler.

zu machen, über die Macht des Politikers hinausgeht. Einen Staat mächtig
machen kann der Politiker wohl, aber dabei leitet ihn doch immer die heimliche
Hoffnung, den Menschen eine Wohlthat zu erweisen. Er würde nie zur Macht-
Vergrößerung seines Volkes auch mir den Finger rühren, wenn er nicht voraus¬
setzte, daß dieselbe veredelnd und beglückend wirken müsse. Sieht er aber ein,
daß das Glück der Menschen auf einem andern Gebiete liegt, als auf dem der
Politik, nämlich auf dem von ihm vernachlässigten und ihm deshalb unbekannten
Gebiete der körperlichen und seelischen Gesundheit, sieht er ein, daß die Politik
nur indirekt auf dieses Gebiet einwirken kann, so findet er, daß sein mühe¬
volles politisches Streben überhaupt nutzlos gewesen sei, und wird des ganzen
Treibens überdrüssig. Ich bin der Überzeugung, daß die Gedanken des Kanz¬
lers diesen Weg gegangen sind, und als äußerer Beweis hierfür gilt mir seine
Sozialpolitik. Hier ist schon nicht mehr von der Größe, sondern direkt von
dem Glücke des Volkes die Rede, und es werden Maßregeln getroffen, welche
sich in ihrer Wirkung nicht auf Deutschland beschränken, sondern auf die Ent¬
wicklung der ganzen zivilisirten Welt von erheblichem Einfluß sein werden. Der
Kanzler nähert sich der Wahrheit auf einem Umwege, aber er nähert sich ihr,
wie auch schon ans der Abnahme seiner Popularität deutlich zu erkennen ist.
Viel Feind', viel Ehr'! Was aber seine jetzigen Zweifel an der Bedeutung
seiner Mission betrifft, so möge er bedenken, daß die Gottheit, welche nicht
willkürlich und launisch handelt, eine so wundervolle Vereinigung seltener und
großer Eigenschaften, wie sie zu einem Helden nötig sind, nicht ohne Zweck und
Ziel geordnet hat und sicherlich nicht ohne segensreiche Wirkung lassen wird.
Das Bewußtsein, immer selbstlos für eine große Sache, hohen Zielen hingegeben,
seine beste Kraft eingesetzt zu haben, wird ihm ein Trost sein bei dem Anblick
der menschlichen Erbärmlichkeit, die er nicht zu seiner eignen Hoheit ini Handeln
oder auch nur zu gerechter Beurteilung einer sie überragenden Persönlichkeit
hat erheben können.

Wir aber werden uns, wenn wir Einsicht besitzen, daran erfreuen, daß
unsre Nation im Reichskanzler einen jener seltnen Männer hervorgebracht hat,
deren Gestalt für Jahrhunderte und Jahrtausende bewundernswert für die Völker
dastehen wird, und werden uns damit beschäftigen, die Spuren seines macht¬
vollen Wirkens in unsrer nationalen Entwicklung zu verfolgen und seinen epoche¬
machenden Fußschritten nachzugehen. Er hat einen neuen Geist in das staat¬
liche Leben gebracht, und diesen Geist recht zu erkennen und nicht nur in seiner
zwingenden Gewalt über uns ergehen zu lassen, muß jedem Deutschen eine
Freude sein. Dazu hat Moritz Busch mit seinem reichen, echten, wahrhaftigen
Buche erheblich beigetragen, und wir wollen ihm seine Mühe danken.


August Uiemann.


Grenzboten I. 1884.61
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[0515] Unser Reichskanzler. zu machen, über die Macht des Politikers hinausgeht. Einen Staat mächtig machen kann der Politiker wohl, aber dabei leitet ihn doch immer die heimliche Hoffnung, den Menschen eine Wohlthat zu erweisen. Er würde nie zur Macht- Vergrößerung seines Volkes auch mir den Finger rühren, wenn er nicht voraus¬ setzte, daß dieselbe veredelnd und beglückend wirken müsse. Sieht er aber ein, daß das Glück der Menschen auf einem andern Gebiete liegt, als auf dem der Politik, nämlich auf dem von ihm vernachlässigten und ihm deshalb unbekannten Gebiete der körperlichen und seelischen Gesundheit, sieht er ein, daß die Politik nur indirekt auf dieses Gebiet einwirken kann, so findet er, daß sein mühe¬ volles politisches Streben überhaupt nutzlos gewesen sei, und wird des ganzen Treibens überdrüssig. Ich bin der Überzeugung, daß die Gedanken des Kanz¬ lers diesen Weg gegangen sind, und als äußerer Beweis hierfür gilt mir seine Sozialpolitik. Hier ist schon nicht mehr von der Größe, sondern direkt von dem Glücke des Volkes die Rede, und es werden Maßregeln getroffen, welche sich in ihrer Wirkung nicht auf Deutschland beschränken, sondern auf die Ent¬ wicklung der ganzen zivilisirten Welt von erheblichem Einfluß sein werden. Der Kanzler nähert sich der Wahrheit auf einem Umwege, aber er nähert sich ihr, wie auch schon ans der Abnahme seiner Popularität deutlich zu erkennen ist. Viel Feind', viel Ehr'! Was aber seine jetzigen Zweifel an der Bedeutung seiner Mission betrifft, so möge er bedenken, daß die Gottheit, welche nicht willkürlich und launisch handelt, eine so wundervolle Vereinigung seltener und großer Eigenschaften, wie sie zu einem Helden nötig sind, nicht ohne Zweck und Ziel geordnet hat und sicherlich nicht ohne segensreiche Wirkung lassen wird. Das Bewußtsein, immer selbstlos für eine große Sache, hohen Zielen hingegeben, seine beste Kraft eingesetzt zu haben, wird ihm ein Trost sein bei dem Anblick der menschlichen Erbärmlichkeit, die er nicht zu seiner eignen Hoheit ini Handeln oder auch nur zu gerechter Beurteilung einer sie überragenden Persönlichkeit hat erheben können. Wir aber werden uns, wenn wir Einsicht besitzen, daran erfreuen, daß unsre Nation im Reichskanzler einen jener seltnen Männer hervorgebracht hat, deren Gestalt für Jahrhunderte und Jahrtausende bewundernswert für die Völker dastehen wird, und werden uns damit beschäftigen, die Spuren seines macht¬ vollen Wirkens in unsrer nationalen Entwicklung zu verfolgen und seinen epoche¬ machenden Fußschritten nachzugehen. Er hat einen neuen Geist in das staat¬ liche Leben gebracht, und diesen Geist recht zu erkennen und nicht nur in seiner zwingenden Gewalt über uns ergehen zu lassen, muß jedem Deutschen eine Freude sein. Dazu hat Moritz Busch mit seinem reichen, echten, wahrhaftigen Buche erheblich beigetragen, und wir wollen ihm seine Mühe danken. August Uiemann. Grenzboten I. 1884.61

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341839_158199/515>, abgerufen am 30.06.2024.