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Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Erstes Quartal.

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Die antisemitische Episode.

durch die snvole und unverschämte Aufklärung, die sich in reformjüdischen Kreisen
häusig findet, verletzt wurden war, er hatte anfänglich keine radikalen Neigungen,
vielmehr die Absicht, durch offnen Tadel des Schlechten und ebenso offne An¬
erkennung des Guten für Juden und Christen Ersprießliches zu schassen; die
Elemente aber, die sich um ihn scharten und aus denen sich die christlich-soziale
Partei entwickelte, gingen weiter und zogen ihn mit sich sort, auch bewog ihn
wohl die dreiste und unwürdige Art, wie die von Juden redigirten Zeitungen
ihn angriffen und verhöhnten, allmählich zu schärferer Polemik. Die Bewegung
schwoll nun immer mehr an. Am 19. September 1878 hielt Stöcker seine erste
Rede über die Juden, im Oktober folgte die zweite. Unterdessen bereitete sich,
von dem Ghmuasiallehrcr Bernhard Förster veranlaßt, die bekannte Antisemiten-
Petition vor, in welcher vom Reichskanzler Verhinderung der Einwanderung
von Juden in Deutschland, Einschränkung des Judentums im Richter- und
Gymnasiallehrerstande, Fernhaltung derselben von den Volksschullehrerstellen und
Durchführung einer Statistik über die Juden verlangt wurden, und welche
Hunderttausende von Unterschriften fand, aber sonst ohne Erfolg blieb. Wieder
von Bedeutung war, daß ein angesehener deutscher Publizist wie Heinrich von
Treitschke sich über die Bewegung ausließ. Er that dies im November 1879.
in den von ihm herausgegebenen Preußischen Jahrbüchern, wobei er die Juden¬
frage als berechtigt anerkannte und dadurch den beiden bisher bezeichneten Rich¬
tungen derselben, der Gegenwirkung gegen die materielle und derjenigen gegen
die moralische Schädigung des deutschen Volkes durch die Juden, eine dritte
zuführte, die, besonders in den obern Schichten der Bevölkerung fußend, die
Reaktion gegen die sich im persönlichen Verkehr geltend machenden unerfreulichen
spezifisch jüdischen Eigenschaften zum Wesen hatte. Treitschke dachte nicht daran,
sich mit der Bewegung zu identifiziren, ja er wendete sich in gewisser Beziehung
ausdrücklich von ihr ab, betonte aber ihre Existenz, und das veranlaßte in der
jüdischen Presse lautes Wutgeheul. Sehr charakteristisch für die Kampfweise
der Preßjuden war die Flugschrift eines Herrn S. Meyer gegen Treitschke.
Von Eingehen auf die Berechtigung des von diesem Gesagten war darin nicht
die Rede, es war nur ein dünkelhaftes, anmaßliches Herunterreißen, Verdächtigen
und Verunglimpfen, welches bewies, daß der Verfasser einer von den vielen war,
welche auch nach Treitschkes milder Meinung mit ihrem jüdischen Wesen dem
Germanentum als völlig fremdes Element gegenüberstehen. Besser war das
Sendschreiben Professor Breßlaus an Treitschke. Derselbe gestand zu, daß im
Judentume viele schlechte Elemente seien, bestritt aber, daß diese das eigentliche
Judentum seien, das letztere werde vielmehr durch die "jüdische städtische Durch¬
schnittsbevölkerung" vertreten, "die ohne den vordringlichen Luxus der Geld¬
aristokratie und ohne den verkommenen Schmutz des Wucherer- und Trödler-
tums in stiller bürgerlicher Arbeitsamkeit lebt." Ein solcher idyllischer Mittel¬
stand existirt aber nicht, und ferner darf man bei Beurteilung eines Volkes dessen
Auswüchse nicht unbeachtet lassen.


Die antisemitische Episode.

durch die snvole und unverschämte Aufklärung, die sich in reformjüdischen Kreisen
häusig findet, verletzt wurden war, er hatte anfänglich keine radikalen Neigungen,
vielmehr die Absicht, durch offnen Tadel des Schlechten und ebenso offne An¬
erkennung des Guten für Juden und Christen Ersprießliches zu schassen; die
Elemente aber, die sich um ihn scharten und aus denen sich die christlich-soziale
Partei entwickelte, gingen weiter und zogen ihn mit sich sort, auch bewog ihn
wohl die dreiste und unwürdige Art, wie die von Juden redigirten Zeitungen
ihn angriffen und verhöhnten, allmählich zu schärferer Polemik. Die Bewegung
schwoll nun immer mehr an. Am 19. September 1878 hielt Stöcker seine erste
Rede über die Juden, im Oktober folgte die zweite. Unterdessen bereitete sich,
von dem Ghmuasiallehrcr Bernhard Förster veranlaßt, die bekannte Antisemiten-
Petition vor, in welcher vom Reichskanzler Verhinderung der Einwanderung
von Juden in Deutschland, Einschränkung des Judentums im Richter- und
Gymnasiallehrerstande, Fernhaltung derselben von den Volksschullehrerstellen und
Durchführung einer Statistik über die Juden verlangt wurden, und welche
Hunderttausende von Unterschriften fand, aber sonst ohne Erfolg blieb. Wieder
von Bedeutung war, daß ein angesehener deutscher Publizist wie Heinrich von
Treitschke sich über die Bewegung ausließ. Er that dies im November 1879.
in den von ihm herausgegebenen Preußischen Jahrbüchern, wobei er die Juden¬
frage als berechtigt anerkannte und dadurch den beiden bisher bezeichneten Rich¬
tungen derselben, der Gegenwirkung gegen die materielle und derjenigen gegen
die moralische Schädigung des deutschen Volkes durch die Juden, eine dritte
zuführte, die, besonders in den obern Schichten der Bevölkerung fußend, die
Reaktion gegen die sich im persönlichen Verkehr geltend machenden unerfreulichen
spezifisch jüdischen Eigenschaften zum Wesen hatte. Treitschke dachte nicht daran,
sich mit der Bewegung zu identifiziren, ja er wendete sich in gewisser Beziehung
ausdrücklich von ihr ab, betonte aber ihre Existenz, und das veranlaßte in der
jüdischen Presse lautes Wutgeheul. Sehr charakteristisch für die Kampfweise
der Preßjuden war die Flugschrift eines Herrn S. Meyer gegen Treitschke.
Von Eingehen auf die Berechtigung des von diesem Gesagten war darin nicht
die Rede, es war nur ein dünkelhaftes, anmaßliches Herunterreißen, Verdächtigen
und Verunglimpfen, welches bewies, daß der Verfasser einer von den vielen war,
welche auch nach Treitschkes milder Meinung mit ihrem jüdischen Wesen dem
Germanentum als völlig fremdes Element gegenüberstehen. Besser war das
Sendschreiben Professor Breßlaus an Treitschke. Derselbe gestand zu, daß im
Judentume viele schlechte Elemente seien, bestritt aber, daß diese das eigentliche
Judentum seien, das letztere werde vielmehr durch die „jüdische städtische Durch¬
schnittsbevölkerung" vertreten, „die ohne den vordringlichen Luxus der Geld¬
aristokratie und ohne den verkommenen Schmutz des Wucherer- und Trödler-
tums in stiller bürgerlicher Arbeitsamkeit lebt." Ein solcher idyllischer Mittel¬
stand existirt aber nicht, und ferner darf man bei Beurteilung eines Volkes dessen
Auswüchse nicht unbeachtet lassen.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341839_158199/50>, abgerufen am 02.07.2024.