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Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Erstes Quartal.

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Die antisemitische Lpisode,

Folgt!" derselben mit Geschick und Klarheit charakterisirt und eine ziemlich aus¬
führliche Geschichte der Episode enthält. Es ist ein Rückblick auf die Jugend-
periode der Bewegung, der am Anfange eines neuen Lebensabschnittes derselben
recht zeitgemäß kommt, und den wir infolge dessen im nachstehenden in seinen
Hauptzügen soweit wiedergeben, als wir uns die Meinung des Verfassers an¬
eignen können.

Grund und Keim der antisemitischen Bewegung war die Zeit der Gründer
und Schwindler mit dem Krach von 1873. Hier war die Wunde Stelle, die
Laster in seiner bekannten parlamentarischen Rede auszubrennen versprach, aber
nicht ausbrannte, weil das viele seiner politischen Freunde und noch mehr von
seinen Glaubensgenossen schwer getroffen Hütte, die ja zur Schar der Gründer
ein unverhältnismäßig großes Kontingent gestellt hatten. Der ursprüngliche
Antisemitismus hatte denn auch seinen Hnuptsitz in dem vom Gründertum zu¬
nächst geschädigten Mittelstände. Der erste Schlag, den er dem Judentums
beibrachte, waren die Glagauschen Artikel über den Börsen- und Grllndungs-
schwindcl, die im Dezember 1874 in der "Gartenlaube" zu erscheinen begannen.
An Glagau schloß sich die junge Partei der Agrarier an, welche sich die Be¬
kämpfung der unbeschränkten Herrschaft des Kapitals zur Aufgabe machte. Ihr
Organ, die "Deutsche Lcmdeszeituug," von Niendorf redigirt, wurde in Ver¬
bindung mit Gehlsens "Deutscher Eisenbahnzeitung" Vorkämpferin der Gegner
der Juden. Im Niendorfschen Verlage erschien das Buch "Die Sittenlehre des
Talmud und der zerstörende Einfluß des Judentums im deutschen Reich," eine
Schrift, welche reiches Material zur Beurteilung der Frage brachte, aber in
ihren Behauptungen vielfach zu weit ging, wie der Verfasser denn u. a. wissen
wollte, "daß unsre Geschichte seit drei Jahrhunderten von jüdischem Geiste ge¬
schrieben worden sei." Zu gleicher Zeit trat die liberale "Staatsbürgerzeitung"
energisch in den Kampf ein, indem sie ausdrücklich an die Laskerschen Ent¬
hüllungen anknüpfte.

Nachdem die Judenfrage da, wo ihre materielle Seite lag, in dem durch
das Gründertum geprellten Mittelstande Wurzel gefaßt hatte, suchten auch andre
Klassen von ihr zu profitiren und sie politisch auszubeuten. So die Partei
der Kreuzzeitung und des Reichsboteu, die richtig herausfühlte, daß das moderne
Judentum viel zur Zunahme der heutigen Glaubenslosigkeit beigetragen habe.
So ferner die Ultramontanen, welche in der "Germania" aus der Sache Kapital
gegen den Kulturkampf schlugen. Der Antisemitismus griff von jetzt an sehr
rasch um sich. Der Berliner Stadtgcrichtsrat Willmanns veröffentlichte seine
Schrift: "Die goldne Internationale und die Notwendigkeit einer sozialen Re¬
formpartei," und Marrs Broschüre "Der Sieg des Judentums über das
Germanentum," die 1873 erschienen war, erlebte bis 1879 zwölf Auflagen.
Epochemachend wurde für die Bewegung der Eintritt des Hofpredigcrs Stöcker
in dieselbe. Stöcker vertrat zunächst die Kirche, die positive Religion, welche


Die antisemitische Lpisode,

Folgt!» derselben mit Geschick und Klarheit charakterisirt und eine ziemlich aus¬
führliche Geschichte der Episode enthält. Es ist ein Rückblick auf die Jugend-
periode der Bewegung, der am Anfange eines neuen Lebensabschnittes derselben
recht zeitgemäß kommt, und den wir infolge dessen im nachstehenden in seinen
Hauptzügen soweit wiedergeben, als wir uns die Meinung des Verfassers an¬
eignen können.

Grund und Keim der antisemitischen Bewegung war die Zeit der Gründer
und Schwindler mit dem Krach von 1873. Hier war die Wunde Stelle, die
Laster in seiner bekannten parlamentarischen Rede auszubrennen versprach, aber
nicht ausbrannte, weil das viele seiner politischen Freunde und noch mehr von
seinen Glaubensgenossen schwer getroffen Hütte, die ja zur Schar der Gründer
ein unverhältnismäßig großes Kontingent gestellt hatten. Der ursprüngliche
Antisemitismus hatte denn auch seinen Hnuptsitz in dem vom Gründertum zu¬
nächst geschädigten Mittelstände. Der erste Schlag, den er dem Judentums
beibrachte, waren die Glagauschen Artikel über den Börsen- und Grllndungs-
schwindcl, die im Dezember 1874 in der „Gartenlaube" zu erscheinen begannen.
An Glagau schloß sich die junge Partei der Agrarier an, welche sich die Be¬
kämpfung der unbeschränkten Herrschaft des Kapitals zur Aufgabe machte. Ihr
Organ, die „Deutsche Lcmdeszeituug," von Niendorf redigirt, wurde in Ver¬
bindung mit Gehlsens „Deutscher Eisenbahnzeitung" Vorkämpferin der Gegner
der Juden. Im Niendorfschen Verlage erschien das Buch „Die Sittenlehre des
Talmud und der zerstörende Einfluß des Judentums im deutschen Reich," eine
Schrift, welche reiches Material zur Beurteilung der Frage brachte, aber in
ihren Behauptungen vielfach zu weit ging, wie der Verfasser denn u. a. wissen
wollte, „daß unsre Geschichte seit drei Jahrhunderten von jüdischem Geiste ge¬
schrieben worden sei." Zu gleicher Zeit trat die liberale „Staatsbürgerzeitung"
energisch in den Kampf ein, indem sie ausdrücklich an die Laskerschen Ent¬
hüllungen anknüpfte.

Nachdem die Judenfrage da, wo ihre materielle Seite lag, in dem durch
das Gründertum geprellten Mittelstande Wurzel gefaßt hatte, suchten auch andre
Klassen von ihr zu profitiren und sie politisch auszubeuten. So die Partei
der Kreuzzeitung und des Reichsboteu, die richtig herausfühlte, daß das moderne
Judentum viel zur Zunahme der heutigen Glaubenslosigkeit beigetragen habe.
So ferner die Ultramontanen, welche in der „Germania" aus der Sache Kapital
gegen den Kulturkampf schlugen. Der Antisemitismus griff von jetzt an sehr
rasch um sich. Der Berliner Stadtgcrichtsrat Willmanns veröffentlichte seine
Schrift: „Die goldne Internationale und die Notwendigkeit einer sozialen Re¬
formpartei," und Marrs Broschüre „Der Sieg des Judentums über das
Germanentum," die 1873 erschienen war, erlebte bis 1879 zwölf Auflagen.
Epochemachend wurde für die Bewegung der Eintritt des Hofpredigcrs Stöcker
in dieselbe. Stöcker vertrat zunächst die Kirche, die positive Religion, welche


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[0049] Die antisemitische Lpisode, Folgt!» derselben mit Geschick und Klarheit charakterisirt und eine ziemlich aus¬ führliche Geschichte der Episode enthält. Es ist ein Rückblick auf die Jugend- periode der Bewegung, der am Anfange eines neuen Lebensabschnittes derselben recht zeitgemäß kommt, und den wir infolge dessen im nachstehenden in seinen Hauptzügen soweit wiedergeben, als wir uns die Meinung des Verfassers an¬ eignen können. Grund und Keim der antisemitischen Bewegung war die Zeit der Gründer und Schwindler mit dem Krach von 1873. Hier war die Wunde Stelle, die Laster in seiner bekannten parlamentarischen Rede auszubrennen versprach, aber nicht ausbrannte, weil das viele seiner politischen Freunde und noch mehr von seinen Glaubensgenossen schwer getroffen Hütte, die ja zur Schar der Gründer ein unverhältnismäßig großes Kontingent gestellt hatten. Der ursprüngliche Antisemitismus hatte denn auch seinen Hnuptsitz in dem vom Gründertum zu¬ nächst geschädigten Mittelstände. Der erste Schlag, den er dem Judentums beibrachte, waren die Glagauschen Artikel über den Börsen- und Grllndungs- schwindcl, die im Dezember 1874 in der „Gartenlaube" zu erscheinen begannen. An Glagau schloß sich die junge Partei der Agrarier an, welche sich die Be¬ kämpfung der unbeschränkten Herrschaft des Kapitals zur Aufgabe machte. Ihr Organ, die „Deutsche Lcmdeszeituug," von Niendorf redigirt, wurde in Ver¬ bindung mit Gehlsens „Deutscher Eisenbahnzeitung" Vorkämpferin der Gegner der Juden. Im Niendorfschen Verlage erschien das Buch „Die Sittenlehre des Talmud und der zerstörende Einfluß des Judentums im deutschen Reich," eine Schrift, welche reiches Material zur Beurteilung der Frage brachte, aber in ihren Behauptungen vielfach zu weit ging, wie der Verfasser denn u. a. wissen wollte, „daß unsre Geschichte seit drei Jahrhunderten von jüdischem Geiste ge¬ schrieben worden sei." Zu gleicher Zeit trat die liberale „Staatsbürgerzeitung" energisch in den Kampf ein, indem sie ausdrücklich an die Laskerschen Ent¬ hüllungen anknüpfte. Nachdem die Judenfrage da, wo ihre materielle Seite lag, in dem durch das Gründertum geprellten Mittelstande Wurzel gefaßt hatte, suchten auch andre Klassen von ihr zu profitiren und sie politisch auszubeuten. So die Partei der Kreuzzeitung und des Reichsboteu, die richtig herausfühlte, daß das moderne Judentum viel zur Zunahme der heutigen Glaubenslosigkeit beigetragen habe. So ferner die Ultramontanen, welche in der „Germania" aus der Sache Kapital gegen den Kulturkampf schlugen. Der Antisemitismus griff von jetzt an sehr rasch um sich. Der Berliner Stadtgcrichtsrat Willmanns veröffentlichte seine Schrift: „Die goldne Internationale und die Notwendigkeit einer sozialen Re¬ formpartei," und Marrs Broschüre „Der Sieg des Judentums über das Germanentum," die 1873 erschienen war, erlebte bis 1879 zwölf Auflagen. Epochemachend wurde für die Bewegung der Eintritt des Hofpredigcrs Stöcker in dieselbe. Stöcker vertrat zunächst die Kirche, die positive Religion, welche

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341839_158199/49>, abgerufen am 30.06.2024.