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Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Erstes Quartal.

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Der Sprachenstreit in Österreich.

behrlich die Kenntnis des Deutschen ist. In Böhmen giebt es eine Menge
Handlungsgehilfen, welche keine Stellung finden können, weil ihnen die Kenntnis
der deutschen Sprache ganz oder zum großen Teile abgeht. Das schönste dabei
ist, daß tschechische Koryphäen von reinstem Wasser, wie z. B. der Großindu¬
strielle Herr O. in Prag, keinen jungen Maun ins Geschäft nehmen, wenn er
nicht des Deutschen in Wort und Schrift vollkommen mächtig ist. Daß Ähn¬
liches auch anderswo geschieht, begreift sich, denn wo die persönlichen Interessen
ins Spiel kommen, muß der nationale Chauvinismus zurücktreten. Wenn je¬
mals das alte Wort cMäauiä Äölirant röZss seine volle Anwendung findet,
so ist es bei dem Sprachenstreitc in Österreich. Leider erkennen diejenigen, welche
schließlich die Rechnung bezahlen müssen, den wahren Stand der Dinge erst
dann, wenn es zu spät ist, das Versäumte nachzuholen.

Daß es auch für den Deutschen in Österreich sehr wünschenswert ist, we¬
nigstens eine slavische Sprache -- oder falls er sein Augenmerk auf Ungarn
richtet, das Magyarische -- gründlich zu kennen, steht außer Frage, denn ab¬
gesehen von der praktischen Verwendbarkeit des Slavischen für Österreich, er¬
wirbt er sich mit der Kenntnis desselben zugleich den Schlüssel zu der ebenso
wichtigen wie schwierigen russischen Sprache. Trotzdem steht die Bedeutung der
Kenntnis einer slavischen Sprache für die Dentschösterreicher in keinem Verhält¬
nisse zu der Wichtigkeit des Deutschen für die nichtdeutschen, denn während
erstere, gleich den Paarmalhuuderttausend bei Österreich gebliebenen Italienern
schlimmstenfalls für ihre geistige oder materielle Thätigkeit auch außerhalb des
Kaiserstaates noch eine lohnende Verwendung finden können, befinden sich die
andern in einer ungleich ungünstigeren Lage. Im Inlande werden sie, der
mangelnden Sprachkenntnis wegen, stets nur auf untergeordnete Stellungen be¬
schränkt bleiben, und im "slavischen Auslande" ist nicht viel zu machen, denn
was es mit dem seinerzeit so gerühmten Export "slavischer Intelligenz" nach
Rußland für eine Bewandtnis hat, weiß man in Prag am besten. Wohl haben
einige begabte nationale Streber in letzter Zeit auch in Österreich Karriere ge¬
macht, aber wäre dies den betreffenden Herren ohne ihre gründliche Kenntnis des
Deutschen überhaupt möglich gewesen? Für den nationalen Nachwuchs dagegen
wird sich die Sache, falls es so fortgeht, gewiß ganz anders gestalten, und
wenn auch einzelne aus dem heillosen Sprachenstreite Vorteile zu ziehen wissen,
so sind doch für die Massen die Nachteile handgreiflich. Die, welche unter
allen Umständen dabei Profitiren, sind, wie immer, die gescheiten Juden. In
Polen, in Böhmen, in Ungarn, kurz überall, wo sie ihre Heimstätte haben,
lassen sie ihre Kinder, oft mit großen Opfern, Deutsch lernen, und finden ihre
Rechnung dabei. Ich denke, die Herren, welche im Reichsrate so nachdrücklich
gegen die deutsche Staatssprache protestirten, dürften Wohl daran thun, diese
Erscheinung nicht außer Acht zu lassen, denn sie zeigt am deutlichsten, wie weit
die Dinge bereits gediehen sind und wohin wir treiben.




Der Sprachenstreit in Österreich.

behrlich die Kenntnis des Deutschen ist. In Böhmen giebt es eine Menge
Handlungsgehilfen, welche keine Stellung finden können, weil ihnen die Kenntnis
der deutschen Sprache ganz oder zum großen Teile abgeht. Das schönste dabei
ist, daß tschechische Koryphäen von reinstem Wasser, wie z. B. der Großindu¬
strielle Herr O. in Prag, keinen jungen Maun ins Geschäft nehmen, wenn er
nicht des Deutschen in Wort und Schrift vollkommen mächtig ist. Daß Ähn¬
liches auch anderswo geschieht, begreift sich, denn wo die persönlichen Interessen
ins Spiel kommen, muß der nationale Chauvinismus zurücktreten. Wenn je¬
mals das alte Wort cMäauiä Äölirant röZss seine volle Anwendung findet,
so ist es bei dem Sprachenstreitc in Österreich. Leider erkennen diejenigen, welche
schließlich die Rechnung bezahlen müssen, den wahren Stand der Dinge erst
dann, wenn es zu spät ist, das Versäumte nachzuholen.

Daß es auch für den Deutschen in Österreich sehr wünschenswert ist, we¬
nigstens eine slavische Sprache — oder falls er sein Augenmerk auf Ungarn
richtet, das Magyarische — gründlich zu kennen, steht außer Frage, denn ab¬
gesehen von der praktischen Verwendbarkeit des Slavischen für Österreich, er¬
wirbt er sich mit der Kenntnis desselben zugleich den Schlüssel zu der ebenso
wichtigen wie schwierigen russischen Sprache. Trotzdem steht die Bedeutung der
Kenntnis einer slavischen Sprache für die Dentschösterreicher in keinem Verhält¬
nisse zu der Wichtigkeit des Deutschen für die nichtdeutschen, denn während
erstere, gleich den Paarmalhuuderttausend bei Österreich gebliebenen Italienern
schlimmstenfalls für ihre geistige oder materielle Thätigkeit auch außerhalb des
Kaiserstaates noch eine lohnende Verwendung finden können, befinden sich die
andern in einer ungleich ungünstigeren Lage. Im Inlande werden sie, der
mangelnden Sprachkenntnis wegen, stets nur auf untergeordnete Stellungen be¬
schränkt bleiben, und im „slavischen Auslande" ist nicht viel zu machen, denn
was es mit dem seinerzeit so gerühmten Export „slavischer Intelligenz" nach
Rußland für eine Bewandtnis hat, weiß man in Prag am besten. Wohl haben
einige begabte nationale Streber in letzter Zeit auch in Österreich Karriere ge¬
macht, aber wäre dies den betreffenden Herren ohne ihre gründliche Kenntnis des
Deutschen überhaupt möglich gewesen? Für den nationalen Nachwuchs dagegen
wird sich die Sache, falls es so fortgeht, gewiß ganz anders gestalten, und
wenn auch einzelne aus dem heillosen Sprachenstreite Vorteile zu ziehen wissen,
so sind doch für die Massen die Nachteile handgreiflich. Die, welche unter
allen Umständen dabei Profitiren, sind, wie immer, die gescheiten Juden. In
Polen, in Böhmen, in Ungarn, kurz überall, wo sie ihre Heimstätte haben,
lassen sie ihre Kinder, oft mit großen Opfern, Deutsch lernen, und finden ihre
Rechnung dabei. Ich denke, die Herren, welche im Reichsrate so nachdrücklich
gegen die deutsche Staatssprache protestirten, dürften Wohl daran thun, diese
Erscheinung nicht außer Acht zu lassen, denn sie zeigt am deutlichsten, wie weit
die Dinge bereits gediehen sind und wohin wir treiben.




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[0495] Der Sprachenstreit in Österreich. behrlich die Kenntnis des Deutschen ist. In Böhmen giebt es eine Menge Handlungsgehilfen, welche keine Stellung finden können, weil ihnen die Kenntnis der deutschen Sprache ganz oder zum großen Teile abgeht. Das schönste dabei ist, daß tschechische Koryphäen von reinstem Wasser, wie z. B. der Großindu¬ strielle Herr O. in Prag, keinen jungen Maun ins Geschäft nehmen, wenn er nicht des Deutschen in Wort und Schrift vollkommen mächtig ist. Daß Ähn¬ liches auch anderswo geschieht, begreift sich, denn wo die persönlichen Interessen ins Spiel kommen, muß der nationale Chauvinismus zurücktreten. Wenn je¬ mals das alte Wort cMäauiä Äölirant röZss seine volle Anwendung findet, so ist es bei dem Sprachenstreitc in Österreich. Leider erkennen diejenigen, welche schließlich die Rechnung bezahlen müssen, den wahren Stand der Dinge erst dann, wenn es zu spät ist, das Versäumte nachzuholen. Daß es auch für den Deutschen in Österreich sehr wünschenswert ist, we¬ nigstens eine slavische Sprache — oder falls er sein Augenmerk auf Ungarn richtet, das Magyarische — gründlich zu kennen, steht außer Frage, denn ab¬ gesehen von der praktischen Verwendbarkeit des Slavischen für Österreich, er¬ wirbt er sich mit der Kenntnis desselben zugleich den Schlüssel zu der ebenso wichtigen wie schwierigen russischen Sprache. Trotzdem steht die Bedeutung der Kenntnis einer slavischen Sprache für die Dentschösterreicher in keinem Verhält¬ nisse zu der Wichtigkeit des Deutschen für die nichtdeutschen, denn während erstere, gleich den Paarmalhuuderttausend bei Österreich gebliebenen Italienern schlimmstenfalls für ihre geistige oder materielle Thätigkeit auch außerhalb des Kaiserstaates noch eine lohnende Verwendung finden können, befinden sich die andern in einer ungleich ungünstigeren Lage. Im Inlande werden sie, der mangelnden Sprachkenntnis wegen, stets nur auf untergeordnete Stellungen be¬ schränkt bleiben, und im „slavischen Auslande" ist nicht viel zu machen, denn was es mit dem seinerzeit so gerühmten Export „slavischer Intelligenz" nach Rußland für eine Bewandtnis hat, weiß man in Prag am besten. Wohl haben einige begabte nationale Streber in letzter Zeit auch in Österreich Karriere ge¬ macht, aber wäre dies den betreffenden Herren ohne ihre gründliche Kenntnis des Deutschen überhaupt möglich gewesen? Für den nationalen Nachwuchs dagegen wird sich die Sache, falls es so fortgeht, gewiß ganz anders gestalten, und wenn auch einzelne aus dem heillosen Sprachenstreite Vorteile zu ziehen wissen, so sind doch für die Massen die Nachteile handgreiflich. Die, welche unter allen Umständen dabei Profitiren, sind, wie immer, die gescheiten Juden. In Polen, in Böhmen, in Ungarn, kurz überall, wo sie ihre Heimstätte haben, lassen sie ihre Kinder, oft mit großen Opfern, Deutsch lernen, und finden ihre Rechnung dabei. Ich denke, die Herren, welche im Reichsrate so nachdrücklich gegen die deutsche Staatssprache protestirten, dürften Wohl daran thun, diese Erscheinung nicht außer Acht zu lassen, denn sie zeigt am deutlichsten, wie weit die Dinge bereits gediehen sind und wohin wir treiben.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341839_158199/495>, abgerufen am 24.08.2024.