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Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Erstes Quartal.

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Der Sprachenstreit i" Österreich.

in den polnischen, tschechischen !c, Volks- und Mittelschulen obligatorischer Lehr¬
gegenstand zu sein habe, obgleich der gloriose Z 19 zugleich besagt, daß "kein
Zwang zur Erlernung einer zweiten Landessprache angewendet werden dürfe."
Wie diese beiden Bestimmungen in Einklang zu bringen sind, wissen die Götter.
Ich habe keine Lust, mir deshalb den Kopf zu zerbrechen und halte mich an die
Sache, wie sie vorliegt. Also in den nichtdeutschen Schulen soll deutsch gelernt
werden. Nun weiß aber jeder praktische Schulmann, welche Resultate in den
Schulen mit der Erlernung fremder Sprachen erzielt werden, namentlich wenn
die Unterrichtsanstalten, wie in Österreich, meist überfüllt sind. Welche Schule
vermag ihren Zöglingen eine vollkommene, gründliche Kenntnis des Französischen,
Englischen, Italienischen mit auf den Lebensweg zu geben? Höchstens kann
sie einen guten Grund legen. Und dabei sind diese Sprachen noch verhältnis¬
mäßig leichte Sprachen. Hierzu kommt aber noch, daß die national fanatisirte
Jugend nur mit Widerwillen das verhaßte Deutsch lernt. Welche Resultate
sich so erzielen lassen, liegt auf der Hand. Die Folge ist, daß die nichtdeutsche
Jugend beim Austritte aus der Schule nur höchst unvollkommen, zuweilen selbst
garnicht Deutsch kann. Außerdem fällt durch die sich immer schroffer gestaltende
Absonderung der Nationalitäten von einander auch die Gelegenheit weg, durch
den Umgang mit Deutschen die Sprache praktisch zu erlernen. So schließt jede
Nationalität sich wie mit einer chinesischen Mauer gegen das Deutsche ab, und
ehe zehn bis zwanzig Jahre ins Land gehen, wird es Hunderttausende von jungen
Polen, Tschechen, Slovenen !c. geben, die der unentbehrlichen deutschen Sprache
nur in sehr geringem Maße, vielleicht garnicht mächtig sind. Was soll
mit diesen Leuten geschehen? Wie sind sie beim Handel, bei der Industrie, bei
den Verkehrsanstalten, im Staatsdienste, im Heere, kurz in jedem Kreise des
öffentlichen Lebens, wo die genaue Kenntnis der doch zunächst in Betracht
kommenden Weltsprache, der deutschen, uuumgünglich notwendig ist, zu ver¬
wenden? Wo nimmt der Staat, der nichts von einer Staatssprache wissen
will, am Ende seine Beamten her, falls er nicht Lust hat, seine Ämter in baby¬
lonische Türme zu verwandeln oder jedem Beamten einen Dolmetsch zur Seite
zu stellen? Und wird, um nur noch eins zu erwähnen, nicht der Zutritt zu
jeder bedeutenderen und somit auch lukrativeren Stellung geradezu zu einem
Monopol für jene glücklich situirte Minderheit gemacht werden, welche die
Mittel besitzt, durch ausgiebigen Privatunterricht nachhelfen zu lassen, oder für
jene, welche klug genug sind, ihre Kinder in deutsche Schulen zu schicken, wäre
es auch auf die Gefahr hin, daß das nationale Lüstre dabei möglicherweise
einige Einbuße erlitten hätte?

Schon jetzt zeigen sich vielfach die Folgen des nationalen Separatismus,
und sie werden immer deutlicher und bedenklicher zu Tage treten. Ungarn im-
portirt derzeit tausende von deutschen Gouvernanten, vor allem für jüdische
Familien, die trotz ihres affektirren Magyarentums sehr gut wissen, wie unent-


Der Sprachenstreit i» Österreich.

in den polnischen, tschechischen !c, Volks- und Mittelschulen obligatorischer Lehr¬
gegenstand zu sein habe, obgleich der gloriose Z 19 zugleich besagt, daß „kein
Zwang zur Erlernung einer zweiten Landessprache angewendet werden dürfe."
Wie diese beiden Bestimmungen in Einklang zu bringen sind, wissen die Götter.
Ich habe keine Lust, mir deshalb den Kopf zu zerbrechen und halte mich an die
Sache, wie sie vorliegt. Also in den nichtdeutschen Schulen soll deutsch gelernt
werden. Nun weiß aber jeder praktische Schulmann, welche Resultate in den
Schulen mit der Erlernung fremder Sprachen erzielt werden, namentlich wenn
die Unterrichtsanstalten, wie in Österreich, meist überfüllt sind. Welche Schule
vermag ihren Zöglingen eine vollkommene, gründliche Kenntnis des Französischen,
Englischen, Italienischen mit auf den Lebensweg zu geben? Höchstens kann
sie einen guten Grund legen. Und dabei sind diese Sprachen noch verhältnis¬
mäßig leichte Sprachen. Hierzu kommt aber noch, daß die national fanatisirte
Jugend nur mit Widerwillen das verhaßte Deutsch lernt. Welche Resultate
sich so erzielen lassen, liegt auf der Hand. Die Folge ist, daß die nichtdeutsche
Jugend beim Austritte aus der Schule nur höchst unvollkommen, zuweilen selbst
garnicht Deutsch kann. Außerdem fällt durch die sich immer schroffer gestaltende
Absonderung der Nationalitäten von einander auch die Gelegenheit weg, durch
den Umgang mit Deutschen die Sprache praktisch zu erlernen. So schließt jede
Nationalität sich wie mit einer chinesischen Mauer gegen das Deutsche ab, und
ehe zehn bis zwanzig Jahre ins Land gehen, wird es Hunderttausende von jungen
Polen, Tschechen, Slovenen !c. geben, die der unentbehrlichen deutschen Sprache
nur in sehr geringem Maße, vielleicht garnicht mächtig sind. Was soll
mit diesen Leuten geschehen? Wie sind sie beim Handel, bei der Industrie, bei
den Verkehrsanstalten, im Staatsdienste, im Heere, kurz in jedem Kreise des
öffentlichen Lebens, wo die genaue Kenntnis der doch zunächst in Betracht
kommenden Weltsprache, der deutschen, uuumgünglich notwendig ist, zu ver¬
wenden? Wo nimmt der Staat, der nichts von einer Staatssprache wissen
will, am Ende seine Beamten her, falls er nicht Lust hat, seine Ämter in baby¬
lonische Türme zu verwandeln oder jedem Beamten einen Dolmetsch zur Seite
zu stellen? Und wird, um nur noch eins zu erwähnen, nicht der Zutritt zu
jeder bedeutenderen und somit auch lukrativeren Stellung geradezu zu einem
Monopol für jene glücklich situirte Minderheit gemacht werden, welche die
Mittel besitzt, durch ausgiebigen Privatunterricht nachhelfen zu lassen, oder für
jene, welche klug genug sind, ihre Kinder in deutsche Schulen zu schicken, wäre
es auch auf die Gefahr hin, daß das nationale Lüstre dabei möglicherweise
einige Einbuße erlitten hätte?

Schon jetzt zeigen sich vielfach die Folgen des nationalen Separatismus,
und sie werden immer deutlicher und bedenklicher zu Tage treten. Ungarn im-
portirt derzeit tausende von deutschen Gouvernanten, vor allem für jüdische
Familien, die trotz ihres affektirren Magyarentums sehr gut wissen, wie unent-


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[0494] Der Sprachenstreit i» Österreich. in den polnischen, tschechischen !c, Volks- und Mittelschulen obligatorischer Lehr¬ gegenstand zu sein habe, obgleich der gloriose Z 19 zugleich besagt, daß „kein Zwang zur Erlernung einer zweiten Landessprache angewendet werden dürfe." Wie diese beiden Bestimmungen in Einklang zu bringen sind, wissen die Götter. Ich habe keine Lust, mir deshalb den Kopf zu zerbrechen und halte mich an die Sache, wie sie vorliegt. Also in den nichtdeutschen Schulen soll deutsch gelernt werden. Nun weiß aber jeder praktische Schulmann, welche Resultate in den Schulen mit der Erlernung fremder Sprachen erzielt werden, namentlich wenn die Unterrichtsanstalten, wie in Österreich, meist überfüllt sind. Welche Schule vermag ihren Zöglingen eine vollkommene, gründliche Kenntnis des Französischen, Englischen, Italienischen mit auf den Lebensweg zu geben? Höchstens kann sie einen guten Grund legen. Und dabei sind diese Sprachen noch verhältnis¬ mäßig leichte Sprachen. Hierzu kommt aber noch, daß die national fanatisirte Jugend nur mit Widerwillen das verhaßte Deutsch lernt. Welche Resultate sich so erzielen lassen, liegt auf der Hand. Die Folge ist, daß die nichtdeutsche Jugend beim Austritte aus der Schule nur höchst unvollkommen, zuweilen selbst garnicht Deutsch kann. Außerdem fällt durch die sich immer schroffer gestaltende Absonderung der Nationalitäten von einander auch die Gelegenheit weg, durch den Umgang mit Deutschen die Sprache praktisch zu erlernen. So schließt jede Nationalität sich wie mit einer chinesischen Mauer gegen das Deutsche ab, und ehe zehn bis zwanzig Jahre ins Land gehen, wird es Hunderttausende von jungen Polen, Tschechen, Slovenen !c. geben, die der unentbehrlichen deutschen Sprache nur in sehr geringem Maße, vielleicht garnicht mächtig sind. Was soll mit diesen Leuten geschehen? Wie sind sie beim Handel, bei der Industrie, bei den Verkehrsanstalten, im Staatsdienste, im Heere, kurz in jedem Kreise des öffentlichen Lebens, wo die genaue Kenntnis der doch zunächst in Betracht kommenden Weltsprache, der deutschen, uuumgünglich notwendig ist, zu ver¬ wenden? Wo nimmt der Staat, der nichts von einer Staatssprache wissen will, am Ende seine Beamten her, falls er nicht Lust hat, seine Ämter in baby¬ lonische Türme zu verwandeln oder jedem Beamten einen Dolmetsch zur Seite zu stellen? Und wird, um nur noch eins zu erwähnen, nicht der Zutritt zu jeder bedeutenderen und somit auch lukrativeren Stellung geradezu zu einem Monopol für jene glücklich situirte Minderheit gemacht werden, welche die Mittel besitzt, durch ausgiebigen Privatunterricht nachhelfen zu lassen, oder für jene, welche klug genug sind, ihre Kinder in deutsche Schulen zu schicken, wäre es auch auf die Gefahr hin, daß das nationale Lüstre dabei möglicherweise einige Einbuße erlitten hätte? Schon jetzt zeigen sich vielfach die Folgen des nationalen Separatismus, und sie werden immer deutlicher und bedenklicher zu Tage treten. Ungarn im- portirt derzeit tausende von deutschen Gouvernanten, vor allem für jüdische Familien, die trotz ihres affektirren Magyarentums sehr gut wissen, wie unent-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341839_158199/494>, abgerufen am 02.10.2024.