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Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Erstes Quartal.

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Auf der Leiter des Glücks.

Endlich -- der Winter hatte schon begonnen brach der Fabrikant das
lange vorsichtig beobachtete Schweigen. Einstweilen allerdings nur gegenüber
seiner Frau.

Liebe Anna, sagte er, heute sind zwölf Wochen verstrichen, seit wir unter
dem Druck jener schrecklichen Besorgnis leben. Wir sind bemüht gewesen, uns
heiter und sorglos zu stellen. Aber ich fürchte, unser armer Berthold hat uns
doch angemerkt, daß noch andres auf uns lastete als die Verstimmung über
seine Entlobung. Fräulein von Mockritz ist jetzt Fron Professorin von Falcken-
berg, hat sich zur Sternkunde bekehrt und schreibt ihrer Mama, sie lebe wie im
Himmel; wie wäre es, wenn wir dies frohe Ereignis vorschöben, um unsre Er¬
lösung von jener andern qualvollen Sorge dahinter zu verbergen? Die letztere
dürfen wir nachgerade als eine bloße Chimäre bekämpfen. Wie haben aus
Vorsicht sie gegen unsern Berthold verschwiegen, ja kaum uns untereinander
darüber ein Wort gestattet. Laß uns jetzt dem Himmel danken, daß alles vor¬
über ist, und wundre dich nicht, wenn ich heute bei Tisch dich und Berthold zum
fröhlichen Anstoßen auf die Neuvermählten auffordere. Unser Amerikaner hätte
dem guten Mädchen durch sein ungestümes Sturmlaufen und alles, was drum
und dran hing, leicht den ganzen Lebensweg gründlich verschütten können. Es
ist glücklicherweise anders gekommen. Mag er sich darüber mit uns freuen, und
ziehen wir gemeinsam einen breiten Strich über jene ganze, nunmehr ab¬
geschlossene Lebensphase.

Wie der Fabrikant sichs im stillen ausgeklügelt hatte, so wurde die Sache
denn auch in Szene gesetzt. Zwar war kurz vor Tisch der gichtische Major
von Stobbe mit einer Menge Papieren und architektonischen Aufrissen dem Fa¬
brikanten aufs Zimmer gerückt -- es handelte sich um ein von dem Major seit
Jahr und Tag eingeleitetes Projekt zur Gründung eines Asyls für kränkliche
Lehrerinnen --, und er mußte mit zur Tafel gezogen werden; aber wenn der
allenthalben bekannte Major etwa in der Nachbarschaft erzählte, mit welchen
unverbitterten Worten in der Villa Anna auf ein glückliches Eheleben der vor¬
maligen Braut des Adoptivsohns angestoßen worden war, so konnte das den
Beteiligten nur zur Ehre gereichen.

Der gute Wein des Fabrikanten war einst der soeben als Frau Professorin
durch Segenswünsche Gefeierten zu Kopfe gestiegen, damals, als sie nach der
kleinen Verlobungsfete ihren Bräutigam im Oktogon über seine bisherigen Er¬
oberungen examinirt hatte, heute machte er dem gichtischen Major die Wohl-
rednerische Zunge nur noch wohlrednerischer, und bei dem Dessert erhob der
Major denn sein Glas, um zum Entsetzen des alten Ehepaares von allerlei
vulkanischen und Plutonischen Dingen Plötzlich auf den Leonberger Pluto über¬
zuspringen, dann aber von Wasserscheu auf den Weinkultus zu sprechen zu
kommen, indem er zu guterletzt denjenigen leben ließ, der durch die Fügung
gnädiger Götter vor jenem Übel bewahrt worden sei, und dagegen hoffentlich


Auf der Leiter des Glücks.

Endlich — der Winter hatte schon begonnen brach der Fabrikant das
lange vorsichtig beobachtete Schweigen. Einstweilen allerdings nur gegenüber
seiner Frau.

Liebe Anna, sagte er, heute sind zwölf Wochen verstrichen, seit wir unter
dem Druck jener schrecklichen Besorgnis leben. Wir sind bemüht gewesen, uns
heiter und sorglos zu stellen. Aber ich fürchte, unser armer Berthold hat uns
doch angemerkt, daß noch andres auf uns lastete als die Verstimmung über
seine Entlobung. Fräulein von Mockritz ist jetzt Fron Professorin von Falcken-
berg, hat sich zur Sternkunde bekehrt und schreibt ihrer Mama, sie lebe wie im
Himmel; wie wäre es, wenn wir dies frohe Ereignis vorschöben, um unsre Er¬
lösung von jener andern qualvollen Sorge dahinter zu verbergen? Die letztere
dürfen wir nachgerade als eine bloße Chimäre bekämpfen. Wie haben aus
Vorsicht sie gegen unsern Berthold verschwiegen, ja kaum uns untereinander
darüber ein Wort gestattet. Laß uns jetzt dem Himmel danken, daß alles vor¬
über ist, und wundre dich nicht, wenn ich heute bei Tisch dich und Berthold zum
fröhlichen Anstoßen auf die Neuvermählten auffordere. Unser Amerikaner hätte
dem guten Mädchen durch sein ungestümes Sturmlaufen und alles, was drum
und dran hing, leicht den ganzen Lebensweg gründlich verschütten können. Es
ist glücklicherweise anders gekommen. Mag er sich darüber mit uns freuen, und
ziehen wir gemeinsam einen breiten Strich über jene ganze, nunmehr ab¬
geschlossene Lebensphase.

Wie der Fabrikant sichs im stillen ausgeklügelt hatte, so wurde die Sache
denn auch in Szene gesetzt. Zwar war kurz vor Tisch der gichtische Major
von Stobbe mit einer Menge Papieren und architektonischen Aufrissen dem Fa¬
brikanten aufs Zimmer gerückt — es handelte sich um ein von dem Major seit
Jahr und Tag eingeleitetes Projekt zur Gründung eines Asyls für kränkliche
Lehrerinnen —, und er mußte mit zur Tafel gezogen werden; aber wenn der
allenthalben bekannte Major etwa in der Nachbarschaft erzählte, mit welchen
unverbitterten Worten in der Villa Anna auf ein glückliches Eheleben der vor¬
maligen Braut des Adoptivsohns angestoßen worden war, so konnte das den
Beteiligten nur zur Ehre gereichen.

Der gute Wein des Fabrikanten war einst der soeben als Frau Professorin
durch Segenswünsche Gefeierten zu Kopfe gestiegen, damals, als sie nach der
kleinen Verlobungsfete ihren Bräutigam im Oktogon über seine bisherigen Er¬
oberungen examinirt hatte, heute machte er dem gichtischen Major die Wohl-
rednerische Zunge nur noch wohlrednerischer, und bei dem Dessert erhob der
Major denn sein Glas, um zum Entsetzen des alten Ehepaares von allerlei
vulkanischen und Plutonischen Dingen Plötzlich auf den Leonberger Pluto über¬
zuspringen, dann aber von Wasserscheu auf den Weinkultus zu sprechen zu
kommen, indem er zu guterletzt denjenigen leben ließ, der durch die Fügung
gnädiger Götter vor jenem Übel bewahrt worden sei, und dagegen hoffentlich


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[0480] Auf der Leiter des Glücks. Endlich — der Winter hatte schon begonnen brach der Fabrikant das lange vorsichtig beobachtete Schweigen. Einstweilen allerdings nur gegenüber seiner Frau. Liebe Anna, sagte er, heute sind zwölf Wochen verstrichen, seit wir unter dem Druck jener schrecklichen Besorgnis leben. Wir sind bemüht gewesen, uns heiter und sorglos zu stellen. Aber ich fürchte, unser armer Berthold hat uns doch angemerkt, daß noch andres auf uns lastete als die Verstimmung über seine Entlobung. Fräulein von Mockritz ist jetzt Fron Professorin von Falcken- berg, hat sich zur Sternkunde bekehrt und schreibt ihrer Mama, sie lebe wie im Himmel; wie wäre es, wenn wir dies frohe Ereignis vorschöben, um unsre Er¬ lösung von jener andern qualvollen Sorge dahinter zu verbergen? Die letztere dürfen wir nachgerade als eine bloße Chimäre bekämpfen. Wie haben aus Vorsicht sie gegen unsern Berthold verschwiegen, ja kaum uns untereinander darüber ein Wort gestattet. Laß uns jetzt dem Himmel danken, daß alles vor¬ über ist, und wundre dich nicht, wenn ich heute bei Tisch dich und Berthold zum fröhlichen Anstoßen auf die Neuvermählten auffordere. Unser Amerikaner hätte dem guten Mädchen durch sein ungestümes Sturmlaufen und alles, was drum und dran hing, leicht den ganzen Lebensweg gründlich verschütten können. Es ist glücklicherweise anders gekommen. Mag er sich darüber mit uns freuen, und ziehen wir gemeinsam einen breiten Strich über jene ganze, nunmehr ab¬ geschlossene Lebensphase. Wie der Fabrikant sichs im stillen ausgeklügelt hatte, so wurde die Sache denn auch in Szene gesetzt. Zwar war kurz vor Tisch der gichtische Major von Stobbe mit einer Menge Papieren und architektonischen Aufrissen dem Fa¬ brikanten aufs Zimmer gerückt — es handelte sich um ein von dem Major seit Jahr und Tag eingeleitetes Projekt zur Gründung eines Asyls für kränkliche Lehrerinnen —, und er mußte mit zur Tafel gezogen werden; aber wenn der allenthalben bekannte Major etwa in der Nachbarschaft erzählte, mit welchen unverbitterten Worten in der Villa Anna auf ein glückliches Eheleben der vor¬ maligen Braut des Adoptivsohns angestoßen worden war, so konnte das den Beteiligten nur zur Ehre gereichen. Der gute Wein des Fabrikanten war einst der soeben als Frau Professorin durch Segenswünsche Gefeierten zu Kopfe gestiegen, damals, als sie nach der kleinen Verlobungsfete ihren Bräutigam im Oktogon über seine bisherigen Er¬ oberungen examinirt hatte, heute machte er dem gichtischen Major die Wohl- rednerische Zunge nur noch wohlrednerischer, und bei dem Dessert erhob der Major denn sein Glas, um zum Entsetzen des alten Ehepaares von allerlei vulkanischen und Plutonischen Dingen Plötzlich auf den Leonberger Pluto über¬ zuspringen, dann aber von Wasserscheu auf den Weinkultus zu sprechen zu kommen, indem er zu guterletzt denjenigen leben ließ, der durch die Fügung gnädiger Götter vor jenem Übel bewahrt worden sei, und dagegen hoffentlich

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341839_158199/480>, abgerufen am 02.07.2024.