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Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Erstes Quartal.

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Auf der Leiter des Glücks.

Die Sorgen, gegen welche das alte Ehepaar in der merkwürdigen Villa in den
nächsten Wochen und Monden anzukämpfen hatte, würden -- um in dem Bilde
des finnischen Sängers zu bleiben -- über die Zugkraft eines ganzen Rudels
Pferde hinausgegangen sein.

Wo war doch das Behagen geblieben, das Kaspar Benedikts gutes altes
Gesicht mit freundlichem Schimmer so manchmal übergössen hatte? Der Orden
war es ja nicht gewesen, was ihm, auch inmitten der Mu ins eg.nMrs-Prä-
tentionen der Mustervilla, das Leben doch immer noch freundlich und lieblich
hatte erscheinen lassen. Auch die lebendige Spieluhr nicht, so gern er ihr zu¬
gehört hatte. Aber wenn er zwischen den Pflanzen seines Gartens spaziert war
und ihre botanischen Namen sich wie das Vaterunser absagen konnte, oder wenn
er, durch seine schön und stilvoll ausgestatteten Räume schlendernd, sich hier
der Dinge erinnerte, die er über das Treiben, Schweifen, Hämmern, Ziseliren
der Flächen gelesen hatte, dort der Übergänge, die von einer Stilart in die
andre führt; wenn er sich Rechenschaft zu geben vermochte, warum an dieser
Stelle ein durch Bouletechnik geschmücktes Schränkchen stand, ja notwendig stehen
mußte, während an jener andern Stelle einzig und allein Schnitzereien im Ge¬
schmack des Sansovino dem Auge wohlthaten; wenn er dann wieder, in dem
grünledernen Polsterstuhl seiner Bibliothek sitzend, der Zeiten gedachte, wo er
sich vor Büchern schier gefürchtet hatte, während er jetzt durch treffliche Über¬
setzungen wie durch ein Guckloch bis in die Häuslichkeit, ja bis in die geistigen
Werkstätten der alten Griechen, Römer, Ägypter zu blicken imstande war --
da hatte Kaspar Benedikts Züge Wohl ein behagliches Etwas umflossen, das sich
dann freundlich in dem Gedanken an seinen fernen Berthold zu ruhiger Be¬
friedigung verdichtete und die so lange beengend gewesene Fessel der merkwür¬
digen Villa kaum noch fühlbar sein ließ.

Das war jetzt alles anders geworden. In der Villa Mockritz hatte man
den bösartigen Hund, von welchem Berthold zerfleischt worden war, als toll
erschießen müssen, und als Kaspar Benedikt bestürzt persönliche Nachfrage bei
Frau von Mockritz gehalten hatte, war die treffliche Frau nicht imstande ge¬
wesen, dem besorgten Vater zu verschweigen, daß seines Sohnes unerklärliche
Sinneswandlung ihr die tiefste Teilnahme einflöße.

Frau Anna schwamm in Thränen. Mit Berthold über die jetzt allseitig
laut werdenden Besorgnisse zu reden, war unmöglich. Die bloße Einbildung
hatte ja schon oft einen gesunden Organismus krank gemacht. Ärzte wurden
im geheimen konsultirt. Dieselben sprachen sich zumeist dahin aus, daß die
gleich anfangs ins Werk gesetzten Vorsichtsmaßregeln alle Befürchtungen zu
entkräften geeignet seien, daß man den Vorfall möglichst in Vergessenheit zu
begraben habe.

Aber wer kann in der Lage des Damokles das über seinem Haupte
hängende Schwert und die leichte Zerreißbarkeit eines Pferdehaars vergessen?


Auf der Leiter des Glücks.

Die Sorgen, gegen welche das alte Ehepaar in der merkwürdigen Villa in den
nächsten Wochen und Monden anzukämpfen hatte, würden — um in dem Bilde
des finnischen Sängers zu bleiben — über die Zugkraft eines ganzen Rudels
Pferde hinausgegangen sein.

Wo war doch das Behagen geblieben, das Kaspar Benedikts gutes altes
Gesicht mit freundlichem Schimmer so manchmal übergössen hatte? Der Orden
war es ja nicht gewesen, was ihm, auch inmitten der Mu ins eg.nMrs-Prä-
tentionen der Mustervilla, das Leben doch immer noch freundlich und lieblich
hatte erscheinen lassen. Auch die lebendige Spieluhr nicht, so gern er ihr zu¬
gehört hatte. Aber wenn er zwischen den Pflanzen seines Gartens spaziert war
und ihre botanischen Namen sich wie das Vaterunser absagen konnte, oder wenn
er, durch seine schön und stilvoll ausgestatteten Räume schlendernd, sich hier
der Dinge erinnerte, die er über das Treiben, Schweifen, Hämmern, Ziseliren
der Flächen gelesen hatte, dort der Übergänge, die von einer Stilart in die
andre führt; wenn er sich Rechenschaft zu geben vermochte, warum an dieser
Stelle ein durch Bouletechnik geschmücktes Schränkchen stand, ja notwendig stehen
mußte, während an jener andern Stelle einzig und allein Schnitzereien im Ge¬
schmack des Sansovino dem Auge wohlthaten; wenn er dann wieder, in dem
grünledernen Polsterstuhl seiner Bibliothek sitzend, der Zeiten gedachte, wo er
sich vor Büchern schier gefürchtet hatte, während er jetzt durch treffliche Über¬
setzungen wie durch ein Guckloch bis in die Häuslichkeit, ja bis in die geistigen
Werkstätten der alten Griechen, Römer, Ägypter zu blicken imstande war —
da hatte Kaspar Benedikts Züge Wohl ein behagliches Etwas umflossen, das sich
dann freundlich in dem Gedanken an seinen fernen Berthold zu ruhiger Be¬
friedigung verdichtete und die so lange beengend gewesene Fessel der merkwür¬
digen Villa kaum noch fühlbar sein ließ.

Das war jetzt alles anders geworden. In der Villa Mockritz hatte man
den bösartigen Hund, von welchem Berthold zerfleischt worden war, als toll
erschießen müssen, und als Kaspar Benedikt bestürzt persönliche Nachfrage bei
Frau von Mockritz gehalten hatte, war die treffliche Frau nicht imstande ge¬
wesen, dem besorgten Vater zu verschweigen, daß seines Sohnes unerklärliche
Sinneswandlung ihr die tiefste Teilnahme einflöße.

Frau Anna schwamm in Thränen. Mit Berthold über die jetzt allseitig
laut werdenden Besorgnisse zu reden, war unmöglich. Die bloße Einbildung
hatte ja schon oft einen gesunden Organismus krank gemacht. Ärzte wurden
im geheimen konsultirt. Dieselben sprachen sich zumeist dahin aus, daß die
gleich anfangs ins Werk gesetzten Vorsichtsmaßregeln alle Befürchtungen zu
entkräften geeignet seien, daß man den Vorfall möglichst in Vergessenheit zu
begraben habe.

Aber wer kann in der Lage des Damokles das über seinem Haupte
hängende Schwert und die leichte Zerreißbarkeit eines Pferdehaars vergessen?


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[0479] Auf der Leiter des Glücks. Die Sorgen, gegen welche das alte Ehepaar in der merkwürdigen Villa in den nächsten Wochen und Monden anzukämpfen hatte, würden — um in dem Bilde des finnischen Sängers zu bleiben — über die Zugkraft eines ganzen Rudels Pferde hinausgegangen sein. Wo war doch das Behagen geblieben, das Kaspar Benedikts gutes altes Gesicht mit freundlichem Schimmer so manchmal übergössen hatte? Der Orden war es ja nicht gewesen, was ihm, auch inmitten der Mu ins eg.nMrs-Prä- tentionen der Mustervilla, das Leben doch immer noch freundlich und lieblich hatte erscheinen lassen. Auch die lebendige Spieluhr nicht, so gern er ihr zu¬ gehört hatte. Aber wenn er zwischen den Pflanzen seines Gartens spaziert war und ihre botanischen Namen sich wie das Vaterunser absagen konnte, oder wenn er, durch seine schön und stilvoll ausgestatteten Räume schlendernd, sich hier der Dinge erinnerte, die er über das Treiben, Schweifen, Hämmern, Ziseliren der Flächen gelesen hatte, dort der Übergänge, die von einer Stilart in die andre führt; wenn er sich Rechenschaft zu geben vermochte, warum an dieser Stelle ein durch Bouletechnik geschmücktes Schränkchen stand, ja notwendig stehen mußte, während an jener andern Stelle einzig und allein Schnitzereien im Ge¬ schmack des Sansovino dem Auge wohlthaten; wenn er dann wieder, in dem grünledernen Polsterstuhl seiner Bibliothek sitzend, der Zeiten gedachte, wo er sich vor Büchern schier gefürchtet hatte, während er jetzt durch treffliche Über¬ setzungen wie durch ein Guckloch bis in die Häuslichkeit, ja bis in die geistigen Werkstätten der alten Griechen, Römer, Ägypter zu blicken imstande war — da hatte Kaspar Benedikts Züge Wohl ein behagliches Etwas umflossen, das sich dann freundlich in dem Gedanken an seinen fernen Berthold zu ruhiger Be¬ friedigung verdichtete und die so lange beengend gewesene Fessel der merkwür¬ digen Villa kaum noch fühlbar sein ließ. Das war jetzt alles anders geworden. In der Villa Mockritz hatte man den bösartigen Hund, von welchem Berthold zerfleischt worden war, als toll erschießen müssen, und als Kaspar Benedikt bestürzt persönliche Nachfrage bei Frau von Mockritz gehalten hatte, war die treffliche Frau nicht imstande ge¬ wesen, dem besorgten Vater zu verschweigen, daß seines Sohnes unerklärliche Sinneswandlung ihr die tiefste Teilnahme einflöße. Frau Anna schwamm in Thränen. Mit Berthold über die jetzt allseitig laut werdenden Besorgnisse zu reden, war unmöglich. Die bloße Einbildung hatte ja schon oft einen gesunden Organismus krank gemacht. Ärzte wurden im geheimen konsultirt. Dieselben sprachen sich zumeist dahin aus, daß die gleich anfangs ins Werk gesetzten Vorsichtsmaßregeln alle Befürchtungen zu entkräften geeignet seien, daß man den Vorfall möglichst in Vergessenheit zu begraben habe. Aber wer kann in der Lage des Damokles das über seinem Haupte hängende Schwert und die leichte Zerreißbarkeit eines Pferdehaars vergessen?

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341839_158199/479>, abgerufen am 30.06.2024.