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Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Erstes Quartal.

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Auf der Leiter des Glücks.

Nein, nein, nein, kein Duell, Mama, um Himmelswillen kein Duell!

Freilich, sagte Frau von Mockritz, dergleichen kommt in die Zeitungen, und
dann kannst du nur getrost in die Wüste fliehen.

Das ist es nicht! schluchzte Hermione, du vergißt, daß ich Berthold liebe.

Aber zum Schreiben brachte Frau von Mockritz sie dennoch nicht. Der
ganze Abend ging unter Wechselreden dieser Art hin. Spät noch wurde die
kundschaftcrnde Sabine zur Ermittlung der weiter in Villa Anna vorbereiteten
Schritte auf ein Stündchen beurlaubt. Sie kam indessen ohne Nachrichten heim.
Nur daß es zwischen Vater, Mutter und Sohn in der Villa Anna sogut wie
keinen Verkehr mehr gebe, und daß der Sohn an einem Briefe schreibe -- das
hatte sie herausgebracht.

Frau von Mockritz überlegte, ob sie nun im eignen Namen schreiben solle,
sie kam aber davon zurück; daß die Absage von Hermione selbst ausging, war
doch das wesentliche.

Es folgte eine von Mutter und Tochter schlaflos verbrachte Nacht. Als
Hermione im Morgengrauen etwas eingeschlummert war, kam der Mutter eine
Erleuchtung. Sie warf ihr Neglige über und begab sich auf die Bodenkammer,
wo George, der Hundejnngc, schlief. Sie rüttelte ihn wach, drückte ihm ein
Stück Geld in die Hand und sagte: Nicht wahr, George, du kannst nicht dafür
einstehen, daß Pluto -- der überlebende Leonberger -- nicht toll ist?

Der Bursche glotzte seine Herrin groß an.

Sie gab ihm ein zweites Stück Geld. Du hörtest ihn gestern heiserer als
gewöhnlich bellen, und er schnappte nach dir. Nicht wahr, so sagtest du?

Er rieb sich die Augen und gähnte.

Steh auf, sagte sie, nimm die gelcidne Büchse, die hinter dem Rauchfang
des Treibhauses steht, ziele gut und mache keinen weitern Lärm. An einem
Unglücklichen haben wir mehr als genug. Wo wirst du Pluto finden?

Er ist ja um diese Zeit schon wieder bei der Hundehütte.

Umso besser. Wenn du ihn so triffst, daß er auf der Stelle tot ist, so
kannst du dir hier dies noch holen.

George begriff, daß ihm im Schlafe das Glück gekommen war. Er tummelte
sich diensteifrigst, den ihm gewordnen Auftrag zu vollziehen, und Frau von
Mockritz begab sich wieder auf ihr Zimmer.

Bald darauf fiel der Schuß, und Hermione erwachte. Es war der nämliche
Schuß, den Vater Hartig im Morgenschlummer vernommen und mit dem
amerikanischen Duell in Zusammenhang gebracht hatte.

Es ist nichts, beruhigte die Mutter ihre erschrockene Tochter; Pluto hatte
gestern Symptome von Tollwut gezeigt, ich habe ihn erschießen lassen.

Also doch Tollwut! rief Hermione; und Berthold, den er gebissen hat!

Sie pflegt sich ganz nach und nach zu entwickeln, sagte Frau von Mockritz;
die Ärzte wollen Fälle beobachtet haben, wo sechs, acht, zehn Wochen ins Land
gingen, ehe der Gebissene für seine Umgebung gefährlich ward.


Auf der Leiter des Glücks.

Nein, nein, nein, kein Duell, Mama, um Himmelswillen kein Duell!

Freilich, sagte Frau von Mockritz, dergleichen kommt in die Zeitungen, und
dann kannst du nur getrost in die Wüste fliehen.

Das ist es nicht! schluchzte Hermione, du vergißt, daß ich Berthold liebe.

Aber zum Schreiben brachte Frau von Mockritz sie dennoch nicht. Der
ganze Abend ging unter Wechselreden dieser Art hin. Spät noch wurde die
kundschaftcrnde Sabine zur Ermittlung der weiter in Villa Anna vorbereiteten
Schritte auf ein Stündchen beurlaubt. Sie kam indessen ohne Nachrichten heim.
Nur daß es zwischen Vater, Mutter und Sohn in der Villa Anna sogut wie
keinen Verkehr mehr gebe, und daß der Sohn an einem Briefe schreibe — das
hatte sie herausgebracht.

Frau von Mockritz überlegte, ob sie nun im eignen Namen schreiben solle,
sie kam aber davon zurück; daß die Absage von Hermione selbst ausging, war
doch das wesentliche.

Es folgte eine von Mutter und Tochter schlaflos verbrachte Nacht. Als
Hermione im Morgengrauen etwas eingeschlummert war, kam der Mutter eine
Erleuchtung. Sie warf ihr Neglige über und begab sich auf die Bodenkammer,
wo George, der Hundejnngc, schlief. Sie rüttelte ihn wach, drückte ihm ein
Stück Geld in die Hand und sagte: Nicht wahr, George, du kannst nicht dafür
einstehen, daß Pluto — der überlebende Leonberger — nicht toll ist?

Der Bursche glotzte seine Herrin groß an.

Sie gab ihm ein zweites Stück Geld. Du hörtest ihn gestern heiserer als
gewöhnlich bellen, und er schnappte nach dir. Nicht wahr, so sagtest du?

Er rieb sich die Augen und gähnte.

Steh auf, sagte sie, nimm die gelcidne Büchse, die hinter dem Rauchfang
des Treibhauses steht, ziele gut und mache keinen weitern Lärm. An einem
Unglücklichen haben wir mehr als genug. Wo wirst du Pluto finden?

Er ist ja um diese Zeit schon wieder bei der Hundehütte.

Umso besser. Wenn du ihn so triffst, daß er auf der Stelle tot ist, so
kannst du dir hier dies noch holen.

George begriff, daß ihm im Schlafe das Glück gekommen war. Er tummelte
sich diensteifrigst, den ihm gewordnen Auftrag zu vollziehen, und Frau von
Mockritz begab sich wieder auf ihr Zimmer.

Bald darauf fiel der Schuß, und Hermione erwachte. Es war der nämliche
Schuß, den Vater Hartig im Morgenschlummer vernommen und mit dem
amerikanischen Duell in Zusammenhang gebracht hatte.

Es ist nichts, beruhigte die Mutter ihre erschrockene Tochter; Pluto hatte
gestern Symptome von Tollwut gezeigt, ich habe ihn erschießen lassen.

Also doch Tollwut! rief Hermione; und Berthold, den er gebissen hat!

Sie pflegt sich ganz nach und nach zu entwickeln, sagte Frau von Mockritz;
die Ärzte wollen Fälle beobachtet haben, wo sechs, acht, zehn Wochen ins Land
gingen, ehe der Gebissene für seine Umgebung gefährlich ward.


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[0477] Auf der Leiter des Glücks. Nein, nein, nein, kein Duell, Mama, um Himmelswillen kein Duell! Freilich, sagte Frau von Mockritz, dergleichen kommt in die Zeitungen, und dann kannst du nur getrost in die Wüste fliehen. Das ist es nicht! schluchzte Hermione, du vergißt, daß ich Berthold liebe. Aber zum Schreiben brachte Frau von Mockritz sie dennoch nicht. Der ganze Abend ging unter Wechselreden dieser Art hin. Spät noch wurde die kundschaftcrnde Sabine zur Ermittlung der weiter in Villa Anna vorbereiteten Schritte auf ein Stündchen beurlaubt. Sie kam indessen ohne Nachrichten heim. Nur daß es zwischen Vater, Mutter und Sohn in der Villa Anna sogut wie keinen Verkehr mehr gebe, und daß der Sohn an einem Briefe schreibe — das hatte sie herausgebracht. Frau von Mockritz überlegte, ob sie nun im eignen Namen schreiben solle, sie kam aber davon zurück; daß die Absage von Hermione selbst ausging, war doch das wesentliche. Es folgte eine von Mutter und Tochter schlaflos verbrachte Nacht. Als Hermione im Morgengrauen etwas eingeschlummert war, kam der Mutter eine Erleuchtung. Sie warf ihr Neglige über und begab sich auf die Bodenkammer, wo George, der Hundejnngc, schlief. Sie rüttelte ihn wach, drückte ihm ein Stück Geld in die Hand und sagte: Nicht wahr, George, du kannst nicht dafür einstehen, daß Pluto — der überlebende Leonberger — nicht toll ist? Der Bursche glotzte seine Herrin groß an. Sie gab ihm ein zweites Stück Geld. Du hörtest ihn gestern heiserer als gewöhnlich bellen, und er schnappte nach dir. Nicht wahr, so sagtest du? Er rieb sich die Augen und gähnte. Steh auf, sagte sie, nimm die gelcidne Büchse, die hinter dem Rauchfang des Treibhauses steht, ziele gut und mache keinen weitern Lärm. An einem Unglücklichen haben wir mehr als genug. Wo wirst du Pluto finden? Er ist ja um diese Zeit schon wieder bei der Hundehütte. Umso besser. Wenn du ihn so triffst, daß er auf der Stelle tot ist, so kannst du dir hier dies noch holen. George begriff, daß ihm im Schlafe das Glück gekommen war. Er tummelte sich diensteifrigst, den ihm gewordnen Auftrag zu vollziehen, und Frau von Mockritz begab sich wieder auf ihr Zimmer. Bald darauf fiel der Schuß, und Hermione erwachte. Es war der nämliche Schuß, den Vater Hartig im Morgenschlummer vernommen und mit dem amerikanischen Duell in Zusammenhang gebracht hatte. Es ist nichts, beruhigte die Mutter ihre erschrockene Tochter; Pluto hatte gestern Symptome von Tollwut gezeigt, ich habe ihn erschießen lassen. Also doch Tollwut! rief Hermione; und Berthold, den er gebissen hat! Sie pflegt sich ganz nach und nach zu entwickeln, sagte Frau von Mockritz; die Ärzte wollen Fälle beobachtet haben, wo sechs, acht, zehn Wochen ins Land gingen, ehe der Gebissene für seine Umgebung gefährlich ward.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341839_158199/477>, abgerufen am 30.06.2024.