Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Erstes Quartal.Aus dem preußischen Landtage. Am 15. Januar begann die erste Lesung der beiden Gesetzentwürfe. Aus dem preußischen Landtage. Am 15. Januar begann die erste Lesung der beiden Gesetzentwürfe. <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0469" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/155352"/> <fw type="header" place="top"> Aus dem preußischen Landtage.</fw><lb/> <p xml:id="ID_1866" next="#ID_1867"> Am 15. Januar begann die erste Lesung der beiden Gesetzentwürfe.<lb/> 22 Redner hatten sich gegen und nur neun für dieselbe einschreiben lassen. An<lb/> der Spitze der Gegner stand, wie immer in Finanzsachen, Eugen Richter, der<lb/> „blutige Eugen" wie ihn seine Bewunderer in demokratischen Bczirksvereinen<lb/> jetzt nennen. Dieser fortschrittliche Zahlenherkules zeigte sich auch diesmal wieder<lb/> in seiner ganzen Größe. Wie mußte dem Leser der fortschrittlichen und sezessio-<lb/> nistischen Blätter das Herz höher schlagen, wenn er die Rede des „grimmen<lb/> Hagen," las, in welcher an der Regierung und ihren Vorlagen auch nicht ein<lb/> gutes Haar gelassen wurde. Denn die Gesetze bezwecken ja nach Herrn Richters<lb/> Auslassungen nichts andres, als den „armen Mann" noch mehr zu belasten<lb/> und ihm dabei das „Wahlrecht" zu eskamotiren. In den Motiven der Regierung<lb/> zu den Gesetzentwürfen wird zwar ausdrücklich hervorgehoben, daß „eine<lb/> Alterirung des Wahlrechts" vermieden werden solle, aber was kümmert das<lb/> Herrn Richter! Nach ihm sind die Motive geschrieben, um die Wahrheit zu<lb/> verbergen; kann er doch nun seinen beliebten Ausruf wiederholen: „So macht<lb/> man heute Gesetze!" Die ganze dreitägige Debatte bewegte sich mehr in per¬<lb/> sönlichen Ausfällen und schroffer Betonung der Parteitendenzen, als in sachlicher<lb/> Prüfung der Vorlagen, sodaß selbst der Abgeordnete Windthorst sein Bedauern<lb/> darüber auszusprechen für nötig erachtete, daß sich die Diskussion so ver¬<lb/> schiedentlich auf das persönliche Gebiet ausgedehnt habe. Die Frage der Steuer¬<lb/> reform lasse sich doch recht eigentlich sachlich und ohne Verquickung mit<lb/> Persönlichkeiten und Parteirücksichten behandeln. Was an sachlichen Einwen¬<lb/> dungen und Vorschlägen namentlich von konservativer Seite behufs einer Ver¬<lb/> besserung der Vorlagen zu Tage kam, beschränkte sich darauf, Bestimmungen in<lb/> die Gesetze aufzunehmen, welche einmal Sicherheit gewähren gegen mißbräuchliche<lb/> Verwendung der Steuereinkünfte, andrerseits der Volksvertretung das Recht<lb/> geben, je meh Ermessen den Steuersatz zu erhöhen oder zu ermäßigen. Gegen<lb/> diese Forderungen machte der Finanzminister geltend, daß das Verwcndnngs-<lb/> gesetz von 1880 gegeben worden sei, um alles Mißtrauen der preußischen Mit¬<lb/> glieder des Reichstages, das aus der Zweiteilung in Reich und Staat hervorging,<lb/> zu beseitigen. „Soll denn nun, fuhr er fort, die Regierung anfangen, in ihren<lb/> Vorlagen der eignen Volksvertretung Verwendungsgcsetze gegen sich in die Hand<lb/> zu geben? Auf einen solchen Zustand werden wir niemals eingehen." Mit<lb/> Bezug auf die Quotisizirung bemerkte Herr von Scholz: „Durch ein solches Ver¬<lb/> fahren würde die Einheit unsers staatswirtschaftlichen Organismus zerrissen und<lb/> eine Verzettelung der Einkünfte herbeigeführt werden, wie sie vor 1828 in<lb/> Preußen existirte, als noch bei jeder Einnahme zugleich die Ausgabe spezialisirt<lb/> wurde. Jetzt würden wir mit diesem System in ein paar Jahren dahin kommen,<lb/> daß kein Kalkulator mehr aus der Geschichte sich herausfinden würde. Erwarten<lb/> Sie doch von solchen Mitteln, die aus übertriebener Neigung zum Mißtrauen<lb/> gegen die Regierung herrühren, keine praktische Wirkung auf das Budget. Wir</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0469]
Aus dem preußischen Landtage.
Am 15. Januar begann die erste Lesung der beiden Gesetzentwürfe.
22 Redner hatten sich gegen und nur neun für dieselbe einschreiben lassen. An
der Spitze der Gegner stand, wie immer in Finanzsachen, Eugen Richter, der
„blutige Eugen" wie ihn seine Bewunderer in demokratischen Bczirksvereinen
jetzt nennen. Dieser fortschrittliche Zahlenherkules zeigte sich auch diesmal wieder
in seiner ganzen Größe. Wie mußte dem Leser der fortschrittlichen und sezessio-
nistischen Blätter das Herz höher schlagen, wenn er die Rede des „grimmen
Hagen," las, in welcher an der Regierung und ihren Vorlagen auch nicht ein
gutes Haar gelassen wurde. Denn die Gesetze bezwecken ja nach Herrn Richters
Auslassungen nichts andres, als den „armen Mann" noch mehr zu belasten
und ihm dabei das „Wahlrecht" zu eskamotiren. In den Motiven der Regierung
zu den Gesetzentwürfen wird zwar ausdrücklich hervorgehoben, daß „eine
Alterirung des Wahlrechts" vermieden werden solle, aber was kümmert das
Herrn Richter! Nach ihm sind die Motive geschrieben, um die Wahrheit zu
verbergen; kann er doch nun seinen beliebten Ausruf wiederholen: „So macht
man heute Gesetze!" Die ganze dreitägige Debatte bewegte sich mehr in per¬
sönlichen Ausfällen und schroffer Betonung der Parteitendenzen, als in sachlicher
Prüfung der Vorlagen, sodaß selbst der Abgeordnete Windthorst sein Bedauern
darüber auszusprechen für nötig erachtete, daß sich die Diskussion so ver¬
schiedentlich auf das persönliche Gebiet ausgedehnt habe. Die Frage der Steuer¬
reform lasse sich doch recht eigentlich sachlich und ohne Verquickung mit
Persönlichkeiten und Parteirücksichten behandeln. Was an sachlichen Einwen¬
dungen und Vorschlägen namentlich von konservativer Seite behufs einer Ver¬
besserung der Vorlagen zu Tage kam, beschränkte sich darauf, Bestimmungen in
die Gesetze aufzunehmen, welche einmal Sicherheit gewähren gegen mißbräuchliche
Verwendung der Steuereinkünfte, andrerseits der Volksvertretung das Recht
geben, je meh Ermessen den Steuersatz zu erhöhen oder zu ermäßigen. Gegen
diese Forderungen machte der Finanzminister geltend, daß das Verwcndnngs-
gesetz von 1880 gegeben worden sei, um alles Mißtrauen der preußischen Mit¬
glieder des Reichstages, das aus der Zweiteilung in Reich und Staat hervorging,
zu beseitigen. „Soll denn nun, fuhr er fort, die Regierung anfangen, in ihren
Vorlagen der eignen Volksvertretung Verwendungsgcsetze gegen sich in die Hand
zu geben? Auf einen solchen Zustand werden wir niemals eingehen." Mit
Bezug auf die Quotisizirung bemerkte Herr von Scholz: „Durch ein solches Ver¬
fahren würde die Einheit unsers staatswirtschaftlichen Organismus zerrissen und
eine Verzettelung der Einkünfte herbeigeführt werden, wie sie vor 1828 in
Preußen existirte, als noch bei jeder Einnahme zugleich die Ausgabe spezialisirt
wurde. Jetzt würden wir mit diesem System in ein paar Jahren dahin kommen,
daß kein Kalkulator mehr aus der Geschichte sich herausfinden würde. Erwarten
Sie doch von solchen Mitteln, die aus übertriebener Neigung zum Mißtrauen
gegen die Regierung herrühren, keine praktische Wirkung auf das Budget. Wir
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