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Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Erstes Quartal.

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Aus dem preußischen Landtage.

Scholz konnte dieselben erst am 18. Dezember in das Haus einbringen. Es
sind zwei tiefeinschneidende Gesetzentwürfe, deren einer die Reform der Ein¬
kommensteuer, der andre die Einführung einer Kapitalrentensteuer betrifft. Die
Einkonnnensteuervorlage will die gesetzlichen Bestimmungen über die Klassensteuer
und die klassifizirte Einkommensteuer unter grundsätzlicher Heranziehung der
Aktien- und Kommanditgesellschaften auf Aktien ersetzen durch eine einfachere und
gleichartigere Besteuerung der Einkommen von über 1200 Mark. Der Steuersatz
soll mit einem Prozent beginnen und aufsteigend in einer allmählichen Stufenfolge
erst bei dem Einkommen von 10 000 Mark den bisherigen Satz von drei Prozent
erreichen. Das Gesetz ist, wie auch der Finanzminister in seiner Einführnngs-
rcde betonte, im wesentlichen dem bisherigen Einkommensteuergesetz nachgebildet;
es führt aber bei verbesserter Veranlagung eine summarische Deklarationspflicht
bezüglich des Nentcnbcsitzes und dadurch eine gerechtere und gleichmäßigere Be¬
steuerung ein. Bei einem Einkommen von nicht über 1800 Mark soll eine Er¬
mäßigung bis zum vollen Erlaß, bei einem Einkommen von nicht über 9000 Mark
bis zum halben Erlaß eintreten dürfen, ferner soll generell bei Notständen die Re¬
gierung ermächtigt werden, die Steuer zu erlassen, und zwar besonders da, wo eine
erzwungene Eintreibung den Nahrungsstand des Steuerpflichtigen zu gefährden
geeignet sei, die Steuerschuld niederzuschlagen. Die dritte und vierte Klassen¬
steuerstufe, ein Einkommen bis zu 1200 Mark umfassend, sollen steuerfrei werdem
in der dem Gesetzentwurfe beigefügten eingehenden Begründung finden sich die
ausführlichen Nachweise für die Notwendigkeit der Befreiung dieser zwei Steuer¬
klassen.

Die Kapitalrentcnsteuervorlage will das bisher von der Besteuerung frei¬
gebliebene Kapitalvermögen treffen, und zwar mit einer progressiven Steuer von
einhalb bis zwei Prozent der Rente. Der Ertrag der Kapitalrente von 000 Mark
bleibt frei, ebenso falls das Gesamteinkommen einschließlich der Kapitalrente
2000 Mark nicht übersteigt. Auch die Kapitalrente von Witwen, Waisen und
Gebrechlichen bis zu 4000 Mark soll der Steuer nicht unterworfen sein. Von
600 bis zu 10 000 Mark Kapitalrente erhöht sich die Steuer stufenweise von
einhalb bis zu zwei Prozent.

Die Erträge beider Gesetze sind dazu bestimmt, die bei der Veränderung
der bisherigen Steuererhebung sich ergebenden Ausfälle zu decken. Die Regierung
berechnet den durch die Einführung des vorgelegten Einkommensteuergesetzes sich
ergebenden Ausfall auf ungefähr 6 267 000 Mark, der gedeckt wird dnrch den
Ertrag aus der Kapitalrentensteuer, welcher sich auf ungefähr 6380 000 Mark
beläuft. Der Finanzminister verwahrte die Regierung bei Einbringung dieser
Gesetze gegen die von den Liberalen verbreitete Annahme, daß die Vorlagen
den Rückzug von der bisher verfolgten Finanzpolitik bedeuteten. Die Gesetze seien
notwendig geworden dadurch, daß die Neichssteucrrcform ins Stocken geraten
sei und die Mindereinnahmen ans den Steuern Deckung erfordern.


Aus dem preußischen Landtage.

Scholz konnte dieselben erst am 18. Dezember in das Haus einbringen. Es
sind zwei tiefeinschneidende Gesetzentwürfe, deren einer die Reform der Ein¬
kommensteuer, der andre die Einführung einer Kapitalrentensteuer betrifft. Die
Einkonnnensteuervorlage will die gesetzlichen Bestimmungen über die Klassensteuer
und die klassifizirte Einkommensteuer unter grundsätzlicher Heranziehung der
Aktien- und Kommanditgesellschaften auf Aktien ersetzen durch eine einfachere und
gleichartigere Besteuerung der Einkommen von über 1200 Mark. Der Steuersatz
soll mit einem Prozent beginnen und aufsteigend in einer allmählichen Stufenfolge
erst bei dem Einkommen von 10 000 Mark den bisherigen Satz von drei Prozent
erreichen. Das Gesetz ist, wie auch der Finanzminister in seiner Einführnngs-
rcde betonte, im wesentlichen dem bisherigen Einkommensteuergesetz nachgebildet;
es führt aber bei verbesserter Veranlagung eine summarische Deklarationspflicht
bezüglich des Nentcnbcsitzes und dadurch eine gerechtere und gleichmäßigere Be¬
steuerung ein. Bei einem Einkommen von nicht über 1800 Mark soll eine Er¬
mäßigung bis zum vollen Erlaß, bei einem Einkommen von nicht über 9000 Mark
bis zum halben Erlaß eintreten dürfen, ferner soll generell bei Notständen die Re¬
gierung ermächtigt werden, die Steuer zu erlassen, und zwar besonders da, wo eine
erzwungene Eintreibung den Nahrungsstand des Steuerpflichtigen zu gefährden
geeignet sei, die Steuerschuld niederzuschlagen. Die dritte und vierte Klassen¬
steuerstufe, ein Einkommen bis zu 1200 Mark umfassend, sollen steuerfrei werdem
in der dem Gesetzentwurfe beigefügten eingehenden Begründung finden sich die
ausführlichen Nachweise für die Notwendigkeit der Befreiung dieser zwei Steuer¬
klassen.

Die Kapitalrentcnsteuervorlage will das bisher von der Besteuerung frei¬
gebliebene Kapitalvermögen treffen, und zwar mit einer progressiven Steuer von
einhalb bis zwei Prozent der Rente. Der Ertrag der Kapitalrente von 000 Mark
bleibt frei, ebenso falls das Gesamteinkommen einschließlich der Kapitalrente
2000 Mark nicht übersteigt. Auch die Kapitalrente von Witwen, Waisen und
Gebrechlichen bis zu 4000 Mark soll der Steuer nicht unterworfen sein. Von
600 bis zu 10 000 Mark Kapitalrente erhöht sich die Steuer stufenweise von
einhalb bis zu zwei Prozent.

Die Erträge beider Gesetze sind dazu bestimmt, die bei der Veränderung
der bisherigen Steuererhebung sich ergebenden Ausfälle zu decken. Die Regierung
berechnet den durch die Einführung des vorgelegten Einkommensteuergesetzes sich
ergebenden Ausfall auf ungefähr 6 267 000 Mark, der gedeckt wird dnrch den
Ertrag aus der Kapitalrentensteuer, welcher sich auf ungefähr 6380 000 Mark
beläuft. Der Finanzminister verwahrte die Regierung bei Einbringung dieser
Gesetze gegen die von den Liberalen verbreitete Annahme, daß die Vorlagen
den Rückzug von der bisher verfolgten Finanzpolitik bedeuteten. Die Gesetze seien
notwendig geworden dadurch, daß die Neichssteucrrcform ins Stocken geraten
sei und die Mindereinnahmen ans den Steuern Deckung erfordern.


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[0468] Aus dem preußischen Landtage. Scholz konnte dieselben erst am 18. Dezember in das Haus einbringen. Es sind zwei tiefeinschneidende Gesetzentwürfe, deren einer die Reform der Ein¬ kommensteuer, der andre die Einführung einer Kapitalrentensteuer betrifft. Die Einkonnnensteuervorlage will die gesetzlichen Bestimmungen über die Klassensteuer und die klassifizirte Einkommensteuer unter grundsätzlicher Heranziehung der Aktien- und Kommanditgesellschaften auf Aktien ersetzen durch eine einfachere und gleichartigere Besteuerung der Einkommen von über 1200 Mark. Der Steuersatz soll mit einem Prozent beginnen und aufsteigend in einer allmählichen Stufenfolge erst bei dem Einkommen von 10 000 Mark den bisherigen Satz von drei Prozent erreichen. Das Gesetz ist, wie auch der Finanzminister in seiner Einführnngs- rcde betonte, im wesentlichen dem bisherigen Einkommensteuergesetz nachgebildet; es führt aber bei verbesserter Veranlagung eine summarische Deklarationspflicht bezüglich des Nentcnbcsitzes und dadurch eine gerechtere und gleichmäßigere Be¬ steuerung ein. Bei einem Einkommen von nicht über 1800 Mark soll eine Er¬ mäßigung bis zum vollen Erlaß, bei einem Einkommen von nicht über 9000 Mark bis zum halben Erlaß eintreten dürfen, ferner soll generell bei Notständen die Re¬ gierung ermächtigt werden, die Steuer zu erlassen, und zwar besonders da, wo eine erzwungene Eintreibung den Nahrungsstand des Steuerpflichtigen zu gefährden geeignet sei, die Steuerschuld niederzuschlagen. Die dritte und vierte Klassen¬ steuerstufe, ein Einkommen bis zu 1200 Mark umfassend, sollen steuerfrei werdem in der dem Gesetzentwurfe beigefügten eingehenden Begründung finden sich die ausführlichen Nachweise für die Notwendigkeit der Befreiung dieser zwei Steuer¬ klassen. Die Kapitalrentcnsteuervorlage will das bisher von der Besteuerung frei¬ gebliebene Kapitalvermögen treffen, und zwar mit einer progressiven Steuer von einhalb bis zwei Prozent der Rente. Der Ertrag der Kapitalrente von 000 Mark bleibt frei, ebenso falls das Gesamteinkommen einschließlich der Kapitalrente 2000 Mark nicht übersteigt. Auch die Kapitalrente von Witwen, Waisen und Gebrechlichen bis zu 4000 Mark soll der Steuer nicht unterworfen sein. Von 600 bis zu 10 000 Mark Kapitalrente erhöht sich die Steuer stufenweise von einhalb bis zu zwei Prozent. Die Erträge beider Gesetze sind dazu bestimmt, die bei der Veränderung der bisherigen Steuererhebung sich ergebenden Ausfälle zu decken. Die Regierung berechnet den durch die Einführung des vorgelegten Einkommensteuergesetzes sich ergebenden Ausfall auf ungefähr 6 267 000 Mark, der gedeckt wird dnrch den Ertrag aus der Kapitalrentensteuer, welcher sich auf ungefähr 6380 000 Mark beläuft. Der Finanzminister verwahrte die Regierung bei Einbringung dieser Gesetze gegen die von den Liberalen verbreitete Annahme, daß die Vorlagen den Rückzug von der bisher verfolgten Finanzpolitik bedeuteten. Die Gesetze seien notwendig geworden dadurch, daß die Neichssteucrrcform ins Stocken geraten sei und die Mindereinnahmen ans den Steuern Deckung erfordern.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341839_158199/468>, abgerufen am 25.07.2024.