Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Erstes Quartal.

Bild:
<< vorherige Seite
Rußland und die annenischo Lrago,

selten der Rcligivnsgenossenschafte" einmischt, so kann sie des heftigsten Wider¬
standes der kirchlichen Organe gewärtig sein und macht natürliche Verbündete
zu Feinden. Ob das Sultanat noch stark genug ist, solchen Widerstand zu
brechen, ist sehr die Frage. Kenner der orientalischen Verhältnisse erblicken
daher in dem Vorgehen der Regierung gegen den ökumenischen Patriarchen
einen politischen Fehler, der für die Pforte verhängnisvoll werden kann.

Der armenische Patriarch ist weit mehr noch als der Vertreter der orthodoxen
Kirche ein Feind der Neuerungen. Er ist, weil ihm auswärtige Unterstützung
fehlt, mehr als jener abhängig von der Pforte, aber eben deshalb auch mit
allen seinen Interessen an die Pforte gekettet. Eine Stellung wie die, welche
er jetzt einnimmt, kann ihm nur eine mohamedanische Regierung gewähren.
Würde Armenien dem Zarenreich einverleibt, so schwante der größte Teil seines
Einflusses, seiner Befugnisse und Privilegien dahin. Der heilige Shnvd in Moskau
ist nicht so tolerant wie der Scheich ni Islam.

Schon jetzt besteht eine gewisse Rivalität zwischen den Patriarchen in
Konstantinopel und Jerusalem und dem Katholikos in Etschmiadzin, der
nominell als geistliches Oberhaupt aller gregoriauischcu Armenier gilt, dessen
Einfluß aber thatsächlich nicht über die Grenzen des russischen Armenien hinauf-
reicht. Das berühmte Kloster Etschmiadzin, unweit Eriwan gelegen, der Hauptstadt
des einstigen persischen, jetzt russischen Armeniens, ist noch heute die Bildungs¬
stätte für die höhere Geistlichkeit. Die russische Regierung sucht diesen Umstand
in derselben Weise für ihre Pläne auszunutzen wie durch die russischen Mönche
der Klöster vom Berge Athos. Aber die russische Propaganda unter den orthodoxen
Stämmen der Balkanhalbinsel ist leichter als die unter den Armeniern. Griechen
und Bulgaren, Rumänen, Serben und Montenegriner sind durch das natürliche
Band eines gemeinsamen Bekenntnisses mit der russischen Staatskirche verknüpft.
Der letztern aber steht die armenische Kirche noch ablehnender, ja feindlicher
gegenüber als dem römischen Stuhl. Die Versuche der Kurie, die armenische
Kirche wieder mit dem römischen Stuhl zu vereinigen, sind bekanntlich hier und
da gelungen und haben bereits ein Schisma unter den Armeniern bewirkt. Den
Werbungen des Moskaner heiligen Synods gegenüber blieben dieselben stets kalt,
alle Unionsbestrebungen in diesem Sinne scheiterten an der alten, tiefgewurzelten
Abneigung gegen die morgenländische Schwcsterkirche. Eine weit größere An¬
näherung besteht höchst merkwürdigerweise zwischen der armenischen Kirche und
einzelnen Gruppen des abendländischen Protestantismus. Namentlich mit der
anglikanischen Hochkirche teilt die armenische eine gewisse Verwandtschaft der
Lehrmeinungen, welche bereits zu verschiednen malen den Gedanken einer Union
hat auftauchen lassen. Ein hoher englischer Prälat, der Erzbischof von Canterbury,
hat mit dem Patriarchen Narses in Kor flau tinvpcl lange und eingehend darüber
korrespondirt, und noch vor zwei Jahren bereiste ein angesehenes Parlaments¬
mitglied den Orient lediglich zu dem Zwecke, eine Vereinigung dieser beiden


Rußland und die annenischo Lrago,

selten der Rcligivnsgenossenschafte» einmischt, so kann sie des heftigsten Wider¬
standes der kirchlichen Organe gewärtig sein und macht natürliche Verbündete
zu Feinden. Ob das Sultanat noch stark genug ist, solchen Widerstand zu
brechen, ist sehr die Frage. Kenner der orientalischen Verhältnisse erblicken
daher in dem Vorgehen der Regierung gegen den ökumenischen Patriarchen
einen politischen Fehler, der für die Pforte verhängnisvoll werden kann.

Der armenische Patriarch ist weit mehr noch als der Vertreter der orthodoxen
Kirche ein Feind der Neuerungen. Er ist, weil ihm auswärtige Unterstützung
fehlt, mehr als jener abhängig von der Pforte, aber eben deshalb auch mit
allen seinen Interessen an die Pforte gekettet. Eine Stellung wie die, welche
er jetzt einnimmt, kann ihm nur eine mohamedanische Regierung gewähren.
Würde Armenien dem Zarenreich einverleibt, so schwante der größte Teil seines
Einflusses, seiner Befugnisse und Privilegien dahin. Der heilige Shnvd in Moskau
ist nicht so tolerant wie der Scheich ni Islam.

Schon jetzt besteht eine gewisse Rivalität zwischen den Patriarchen in
Konstantinopel und Jerusalem und dem Katholikos in Etschmiadzin, der
nominell als geistliches Oberhaupt aller gregoriauischcu Armenier gilt, dessen
Einfluß aber thatsächlich nicht über die Grenzen des russischen Armenien hinauf-
reicht. Das berühmte Kloster Etschmiadzin, unweit Eriwan gelegen, der Hauptstadt
des einstigen persischen, jetzt russischen Armeniens, ist noch heute die Bildungs¬
stätte für die höhere Geistlichkeit. Die russische Regierung sucht diesen Umstand
in derselben Weise für ihre Pläne auszunutzen wie durch die russischen Mönche
der Klöster vom Berge Athos. Aber die russische Propaganda unter den orthodoxen
Stämmen der Balkanhalbinsel ist leichter als die unter den Armeniern. Griechen
und Bulgaren, Rumänen, Serben und Montenegriner sind durch das natürliche
Band eines gemeinsamen Bekenntnisses mit der russischen Staatskirche verknüpft.
Der letztern aber steht die armenische Kirche noch ablehnender, ja feindlicher
gegenüber als dem römischen Stuhl. Die Versuche der Kurie, die armenische
Kirche wieder mit dem römischen Stuhl zu vereinigen, sind bekanntlich hier und
da gelungen und haben bereits ein Schisma unter den Armeniern bewirkt. Den
Werbungen des Moskaner heiligen Synods gegenüber blieben dieselben stets kalt,
alle Unionsbestrebungen in diesem Sinne scheiterten an der alten, tiefgewurzelten
Abneigung gegen die morgenländische Schwcsterkirche. Eine weit größere An¬
näherung besteht höchst merkwürdigerweise zwischen der armenischen Kirche und
einzelnen Gruppen des abendländischen Protestantismus. Namentlich mit der
anglikanischen Hochkirche teilt die armenische eine gewisse Verwandtschaft der
Lehrmeinungen, welche bereits zu verschiednen malen den Gedanken einer Union
hat auftauchen lassen. Ein hoher englischer Prälat, der Erzbischof von Canterbury,
hat mit dem Patriarchen Narses in Kor flau tinvpcl lange und eingehend darüber
korrespondirt, und noch vor zwei Jahren bereiste ein angesehenes Parlaments¬
mitglied den Orient lediglich zu dem Zwecke, eine Vereinigung dieser beiden


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0448" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/155331"/>
          <fw type="header" place="top"> Rußland und die annenischo Lrago,</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_1809" prev="#ID_1808"> selten der Rcligivnsgenossenschafte» einmischt, so kann sie des heftigsten Wider¬<lb/>
standes der kirchlichen Organe gewärtig sein und macht natürliche Verbündete<lb/>
zu Feinden. Ob das Sultanat noch stark genug ist, solchen Widerstand zu<lb/>
brechen, ist sehr die Frage. Kenner der orientalischen Verhältnisse erblicken<lb/>
daher in dem Vorgehen der Regierung gegen den ökumenischen Patriarchen<lb/>
einen politischen Fehler, der für die Pforte verhängnisvoll werden kann.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1810"> Der armenische Patriarch ist weit mehr noch als der Vertreter der orthodoxen<lb/>
Kirche ein Feind der Neuerungen. Er ist, weil ihm auswärtige Unterstützung<lb/>
fehlt, mehr als jener abhängig von der Pforte, aber eben deshalb auch mit<lb/>
allen seinen Interessen an die Pforte gekettet. Eine Stellung wie die, welche<lb/>
er jetzt einnimmt, kann ihm nur eine mohamedanische Regierung gewähren.<lb/>
Würde Armenien dem Zarenreich einverleibt, so schwante der größte Teil seines<lb/>
Einflusses, seiner Befugnisse und Privilegien dahin. Der heilige Shnvd in Moskau<lb/>
ist nicht so tolerant wie der Scheich ni Islam.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1811" next="#ID_1812"> Schon jetzt besteht eine gewisse Rivalität zwischen den Patriarchen in<lb/>
Konstantinopel und Jerusalem und dem Katholikos in Etschmiadzin, der<lb/>
nominell als geistliches Oberhaupt aller gregoriauischcu Armenier gilt, dessen<lb/>
Einfluß aber thatsächlich nicht über die Grenzen des russischen Armenien hinauf-<lb/>
reicht. Das berühmte Kloster Etschmiadzin, unweit Eriwan gelegen, der Hauptstadt<lb/>
des einstigen persischen, jetzt russischen Armeniens, ist noch heute die Bildungs¬<lb/>
stätte für die höhere Geistlichkeit. Die russische Regierung sucht diesen Umstand<lb/>
in derselben Weise für ihre Pläne auszunutzen wie durch die russischen Mönche<lb/>
der Klöster vom Berge Athos. Aber die russische Propaganda unter den orthodoxen<lb/>
Stämmen der Balkanhalbinsel ist leichter als die unter den Armeniern. Griechen<lb/>
und Bulgaren, Rumänen, Serben und Montenegriner sind durch das natürliche<lb/>
Band eines gemeinsamen Bekenntnisses mit der russischen Staatskirche verknüpft.<lb/>
Der letztern aber steht die armenische Kirche noch ablehnender, ja feindlicher<lb/>
gegenüber als dem römischen Stuhl. Die Versuche der Kurie, die armenische<lb/>
Kirche wieder mit dem römischen Stuhl zu vereinigen, sind bekanntlich hier und<lb/>
da gelungen und haben bereits ein Schisma unter den Armeniern bewirkt. Den<lb/>
Werbungen des Moskaner heiligen Synods gegenüber blieben dieselben stets kalt,<lb/>
alle Unionsbestrebungen in diesem Sinne scheiterten an der alten, tiefgewurzelten<lb/>
Abneigung gegen die morgenländische Schwcsterkirche. Eine weit größere An¬<lb/>
näherung besteht höchst merkwürdigerweise zwischen der armenischen Kirche und<lb/>
einzelnen Gruppen des abendländischen Protestantismus. Namentlich mit der<lb/>
anglikanischen Hochkirche teilt die armenische eine gewisse Verwandtschaft der<lb/>
Lehrmeinungen, welche bereits zu verschiednen malen den Gedanken einer Union<lb/>
hat auftauchen lassen. Ein hoher englischer Prälat, der Erzbischof von Canterbury,<lb/>
hat mit dem Patriarchen Narses in Kor flau tinvpcl lange und eingehend darüber<lb/>
korrespondirt, und noch vor zwei Jahren bereiste ein angesehenes Parlaments¬<lb/>
mitglied den Orient lediglich zu dem Zwecke, eine Vereinigung dieser beiden</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0448] Rußland und die annenischo Lrago, selten der Rcligivnsgenossenschafte» einmischt, so kann sie des heftigsten Wider¬ standes der kirchlichen Organe gewärtig sein und macht natürliche Verbündete zu Feinden. Ob das Sultanat noch stark genug ist, solchen Widerstand zu brechen, ist sehr die Frage. Kenner der orientalischen Verhältnisse erblicken daher in dem Vorgehen der Regierung gegen den ökumenischen Patriarchen einen politischen Fehler, der für die Pforte verhängnisvoll werden kann. Der armenische Patriarch ist weit mehr noch als der Vertreter der orthodoxen Kirche ein Feind der Neuerungen. Er ist, weil ihm auswärtige Unterstützung fehlt, mehr als jener abhängig von der Pforte, aber eben deshalb auch mit allen seinen Interessen an die Pforte gekettet. Eine Stellung wie die, welche er jetzt einnimmt, kann ihm nur eine mohamedanische Regierung gewähren. Würde Armenien dem Zarenreich einverleibt, so schwante der größte Teil seines Einflusses, seiner Befugnisse und Privilegien dahin. Der heilige Shnvd in Moskau ist nicht so tolerant wie der Scheich ni Islam. Schon jetzt besteht eine gewisse Rivalität zwischen den Patriarchen in Konstantinopel und Jerusalem und dem Katholikos in Etschmiadzin, der nominell als geistliches Oberhaupt aller gregoriauischcu Armenier gilt, dessen Einfluß aber thatsächlich nicht über die Grenzen des russischen Armenien hinauf- reicht. Das berühmte Kloster Etschmiadzin, unweit Eriwan gelegen, der Hauptstadt des einstigen persischen, jetzt russischen Armeniens, ist noch heute die Bildungs¬ stätte für die höhere Geistlichkeit. Die russische Regierung sucht diesen Umstand in derselben Weise für ihre Pläne auszunutzen wie durch die russischen Mönche der Klöster vom Berge Athos. Aber die russische Propaganda unter den orthodoxen Stämmen der Balkanhalbinsel ist leichter als die unter den Armeniern. Griechen und Bulgaren, Rumänen, Serben und Montenegriner sind durch das natürliche Band eines gemeinsamen Bekenntnisses mit der russischen Staatskirche verknüpft. Der letztern aber steht die armenische Kirche noch ablehnender, ja feindlicher gegenüber als dem römischen Stuhl. Die Versuche der Kurie, die armenische Kirche wieder mit dem römischen Stuhl zu vereinigen, sind bekanntlich hier und da gelungen und haben bereits ein Schisma unter den Armeniern bewirkt. Den Werbungen des Moskaner heiligen Synods gegenüber blieben dieselben stets kalt, alle Unionsbestrebungen in diesem Sinne scheiterten an der alten, tiefgewurzelten Abneigung gegen die morgenländische Schwcsterkirche. Eine weit größere An¬ näherung besteht höchst merkwürdigerweise zwischen der armenischen Kirche und einzelnen Gruppen des abendländischen Protestantismus. Namentlich mit der anglikanischen Hochkirche teilt die armenische eine gewisse Verwandtschaft der Lehrmeinungen, welche bereits zu verschiednen malen den Gedanken einer Union hat auftauchen lassen. Ein hoher englischer Prälat, der Erzbischof von Canterbury, hat mit dem Patriarchen Narses in Kor flau tinvpcl lange und eingehend darüber korrespondirt, und noch vor zwei Jahren bereiste ein angesehenes Parlaments¬ mitglied den Orient lediglich zu dem Zwecke, eine Vereinigung dieser beiden

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341839_158199
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341839_158199/448
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341839_158199/448>, abgerufen am 01.07.2024.